Fotos: Olivia Pulver
Zwei Chefs im Betrieb. Alexander Bindig richtet gerade das Pre-Dessert an. Ein Himbeer-Basilikumsorbet mit Joghurt-Espuma und Honig-Himbeer-Hüpe. «Gut so? Oder hättest du es anders gemacht?», fragt Bindig seinen Küchenchef Nicolai Pfister. Bindig ist der Executive Chef und hat das Sagen im «Trübli» in Winterthur. Das hält ihn nicht ab, seinen Kompagnon nach seiner Meinung zu fragen. Das Konzept von Küchenchef und Executive Chef kennt man eher aus der Hotelgastronomie. Weniger aus kleinen Betrieben. «Mir geht es nicht unbedingt um die Titel, aber ich möchte Nici einfach den Respekt zollen, den er verdient.»
Altes Gemäuer, moderne Küche. Das «Trübli» ist ein geschichtsträchtiges Haus. Das merkt man bereits an der Eingangstür, für die man ordentlich Kraft braucht, um sie aufzustossen. Seit 1785 wird hier gewirtet. Die Bar wirkt noch wie aus einer anderen Zeit. Der Restaurantteil ist hell und modern. Die Tische sind mit weissen Tischtüchern gedeckt, bieder wirkt das keineswegs. Alexander Bindig führt das Lokal seit 2019. Das «Trübli» ist das beste Restaurant der Stadt. Vor zwei Jahren stieg es direkt mit 15 Punkten in den GaultMillau ein. «Das hat uns extrem geschmeichelt. Wir stecken sehr viel Arbeit rein. Dass das offiziell gewertschätzt wird, ist mega schön», sagt Bindig.
Zweifler vom Gegenteil überzeugt. Wer im «Trübli» isst, hat nicht die Qual der Wahl beim Essen. «Wir servieren einfach ein Menü», erklärt Bindig. Auf Vegetarier und Gäste mit Unverträglichkeiten wird selbstverständlich Rücksicht genommen. Das Konzept kommt bei den Gästen an. «Am Anfang gab es Stimmen, die sagten, das funktioniere nicht. Nicht in Winterthur. Da können wir in einigen Monaten Konkurs anmelden. Aber wir sind immer noch hier.» Für die Karte ist Bindig verantwortlich. «Ich gebe die Richtung vor. Wir diskutieren das Ganze im Team und kommen so auf einen Nenner. Manchmal gehen wir die Sache auch umgekehrt an. Ich habe einen Wein, den ich gerne servieren möchte, und suche dann ein Gericht, das dazu passt.» So war das zum Beispiel beim Trübli-Sekt, eine Eigenabfüllung von einem Winzer aus dem Rheingau. Dazu gibt es aktuell einen bei 36 Grad geschmorten Bio-Lachs mit Gurke, Erdnuss, Rüeblipüree und Curryschaum.
Selbständig mit 28 Jahren. Dass Alexander Bindig einmal Koch wird, das war schon früh klar. «Seit ich neun Jahre alt bin, träume ich davon, Koch zu werden, so wie andere Feuerwehrmann werden wollen. Als es um eine Lehrstelle ging, gab es keine Alternative. Die Stimmung in einer Küche fand ich von Anfang an cool.» Die Lehre absolvierte Bindig im «National» in Winterthur bei Hansruedi Bosshard. «Er war in Winti die Gastro-Koriphäe. Er war sehr fordernd. Aber wenn man geliefert hat, hatte man wirklich ein tolles Leben», erinnert sich Bindig. Danach ging er nach Klosters ins «Alpina». Bereits mit 21 Jahren wurde Bindig Souschef im «Conti» hinter dem Opernhaus in Zürich. Dann verschlägt es Bindig zurück in die Eulachstadt. Erst ist er im «Bunten Hund», später übernimmt er das «Trübli» – da ist Bindig gerade mal 28 Jahre alt.
Erinnerungen schaffen. Aktuell im Überraschungsmenü ist ein Gang aus Gelbschwanzmakrele mit Chorizo, Knoblauchcreme, Tomatenchutney und Gazpacho. Ein geschmacksintensives Gericht, das trotzdem sommerlich leicht daherkommt. Zum Dessert gibt es Thurgauer Erdbeeren mit Rubyschokolade, Biskuit und Champagner-Erdbeersorbet. Serviert werden die Gerichte vom Chef selbst. «Ich bin tagsüber immer in der Küche, am Abend begrüsse ich die Gäste und bin im Service.» Die Küche weiss er in guten Händen. «Mit Nici verstehe ich mich blind. Dieses Vertrauen tut so gut. Er ist ehrlich und hinterfragt mich auch kritisch. Wenn dir einer einfach sagt, wie toll du bist, dann kann man sich nicht weiterentwickeln.» Die Doppelrolle gefällt dem Winterthurer. «Das Tolle an unserem Beruf ist ja, dass wir den Gästen Erinnerungen schenken können. Und das Wort Gastgeber sagt es ja schon. Ich gebe extrem gerne, denn es kommt auch sehr viel retour.»
Die deutsche Weinbotschaft. Im «Trübli» spielt nicht nur das Essen eine grosse Rolle, sondern eben auch die Trauben – oder besser gesagt der Wein. «Wir fokussieren uns auf deutsche Weine, was einzigartig ist in der Schweiz.» Das «Trübli» ist denn auch die «deutsche Weinbotschaft». «Die deutschen Weine stehen noch immer im Schatten der französischen und italienischen Weine. Dabei sind sie Weltklasse, haben aber noch nicht dieses Resümee. Aber ich bin zum Beispiel absoluter Riesling-Fan. Dieses Aromenspektrum, diese Emotionen! Diese Botschaft möchten wir gerne in die Welt hinaustragen.» Steht Alex Bindig in der Küche, sind seine Handgriffe bedacht und überlegt. Das Mise en Place ist perfektionistisch aufgebaut. Die Sorbetnocken für die Desserts müssen perfekt sein. Wenn Bindig über seinen Beruf – beziehungsweise seine Berufung – spricht, dann sprudelt es förmlich aus ihm. «Ich liebe Essen, ich liebe Wein. Das ist meine DNA. Ich lebe das mit jeder Faser meines Körpers.»