Text: David Schnapp
Jeroen Achtien, worauf sind Sie nach fünf Jahren in der Schweiz besonders stolz?
Stolz macht mich vor allem, dass es mir gelungen ist, eine gute Verbindung zu den Lieferanten hier zu etablieren. Ich sprach am Anfang ja gar kein Deutsch, und das war alles nicht so einfach. Auch das Team, das ich aufbauen konnte, macht mich sehr zufrieden.
Was ist Ihnen nicht gelungen?
Das ist eine schwierige Frage. Es kommt mir nichts in den Sinn, was von Bedeutung wäre. Was nicht heisst, dass mir alles fehlerlos gelungen ist.
Sie haben die Schweizer Fine-Dining-Szene um ein charmantes Element der gut dosierten Verrücktheit bereichert, oder wie sehen Sie das?
Das sehe ich genau gleich (lacht), ich würde es aber vielleicht einfach Kreativität nennen. Ich habe schon nach kurzer Zeit einige unserer Ideen in den Menüs anderer guter Chefs wiedererkannt – zum Beispiel das geräucherte, getrocknete Rinderherz oder die Langoustine mit Mole-Sauce und Schweineblut. Das fand ich aber voll in Ordnung und sehe es als Kompliment.
Ist diese besondere Portion Kreativität eigentlich etwas typisch Holländisches, oder ist es einfach Ihre Persönlichkeit?
Ich finde es einfach interessant, in unerwarteten Aromen und Kombinationen zu denken. Aber diese Art der Kreativität ist in Hollands Küche verbreitet und hat vielleicht mit den vielen Einflüssen zu tun, die im Laufe der Jahrhunderte über das Meer zu uns gekommen sind.
Fällt Ihnen der Abschied aus der Schweiz schwer?
Es war keine leichte Entscheidung. Ich war eigentlich mental noch nicht bereit für eine Rückkehr. Meine Frau war schneller davon überzeugt, dass wir das tun sollten. Ich fühle mich sehr wohl in der Schweiz und habe nicht nur beruflich viel erreicht, sondern auch ein Leben mit vielen Freunden und vielen guten Kontakten in der Chefs-Szene aufgebaut. Das werde ich vermissen.
Sie lassen etwas zurück, einen kreativen Funken sozusagen. Nehmen Sie auch etwas mit?
Ich habe 250 Kilogramm Rigi-Alpenbutter bestellt, die werde ich auf jeden Fall mitnehmen. Es gibt zwar auch in den Niederlanden gute Butter, aber eben keine Alpenbutter. Auch das portugiesische Olivenöl, das ein Schweizer Paar aus Küssnacht für mich produziert, verwende ich weiterhin. Dazu kommen ganz viele Erfahrungen und mittlerweile ziemlich gute Deutschkenntnisse, die ich behalte.
Erlauben Sie mir zum Ende noch ein wenig Kritik?
Ja.
Mir schien zwischendurch, Sie sind mit dem Fine Dining im «Sens» fulminant gestartet, aber die vielen Aufgaben als Executive Chef eines dynamischen Hotels haben Sie mit der Zeit in Ihrer Kreativität gebremst.
Das stimmt. Der Vitznauerhof ist stark gewachsen: Im ersten Jahr hatten wir 35 Hochzeiten, jetzt machen wir 70. Das ist ein unglaublicher organisatorischer Aufwand. Es gab aber auch einige privaten Krisen, die Väter meiner Frau und mir wurden beide nacheinander krank und sind verstorben. Und irgendwann leidet die Kreativität unter all dem. Zu viel Dynamik kann den Nachteil haben, dass man den Fokus verliert. Man lernt zwar viel, aber es schadet der Kreativität.
Wir treffen uns im «Birdy’s by Achtien» in Brunnen zu diesem Gespräch. Bleibt Ihr Name auf dem Schild an der Hausfassade?
Der Name bleibt, ich bin ja zusammen mit Küchenchef Christian Vogel auch Mitbesitzer hier. Ich wollte nicht einfach meinen Namen irgendwo draufschreiben, ohne auch wirklich Verantwortung zu übernehmen. Wenn man das nicht tut, kann der eigene Namen auch schnell beschädigt werden. Heute komme ich ab und zu vorbei und gebe Feedback. Bei den letzten beiden Menüs hätte es mich aber gar nicht mehr gebraucht. Zu Christian habe ich volles Vertrauen. In Zukunft werde ich vielleicht alle zwei, drei Monate für eine Strategiesitzung in die Schweiz kommen.
Mit Ihrem Abgang aus Vitznau ist das Konzept im «Sens» in Frage gestellt. Was kommt nach «J18»?
Es ist noch unklar, wie die Zukunft des «Sens» aussehen wird. Es gab schon einige gute Köche, die sich für das Restaurant interessiert haben. Ich bin auch gespannt, was ich vorfinden werden, wenn ich nächstes Jahr wieder zum Essen komme (lacht).
Allgemein gefragt: Ist Fine Dining in der Krise?
(Denkt lange nach). Mir scheint eher, dass es in der Schweiz ein bisschen zu viel davon gibt. Wenn man das Verhältnis zwischen Einwohnerzahl und Anzahl Gourmetrestaurants anschaut, gibt es in Holland auf 17 Millionen gleich viele Restaurants mit Punkten und Sternen wie in der Schweiz mit knapp 9 Millionen Einwohnern.
Künftig arbeiten Sie in der Provinz Zeeland in Meeresnähe – wie stark wird das Ihre Karte verändern?
Ich mag zwar Süsswasserfisch und werde auch weiterhin damit arbeiten. Aber Meeresprodukte habe ich am Vierwaldstättersee schon vermisst. Das war letztlich einer der Gründe, weshalb ich zurückgehe. Ich arbeite sehr gern mit Makrelen, Schalen- und Krustentieren. Ich habe in Vitznau einmal Makrele auf die Karte geschrieben und nach zwei Wochen wieder aufgegeben, weil die Qualität der Produkte einfach zu schwankend war. Die Lieferanten für Meeresprodukte sind in Holland fünf und sieben Minuten vom Restaurant entfernt, gleichzeitig gibt es auch viele Bauernhöfe in der Gegend – das sind paradiesische Zustände für mich als Koch.
Welches Gericht aus Vitznau werden Sie auch Ihren Gästen in Zeeland servieren?
Ich habe kaum Zeit, um mich am neuen Ort völlig neu zu erfinden. Es geht ja auch darum, in der Küche ein neues Team von zehn Leuten aufzubauen. Ich werde deshalb am Anfang sicher einige Gerichte aus dem «Sens» servieren; zum Beispiel den Koji-gereiften Zander, dazu servieren wir seit kurzem eine Sauce Barigoule.
Haben Sie die Auswahl der Produkte in der Schweiz als einschränkend empfunden?
Ich habe mich ja bewusst dafür entschieden, im «Sens» hauptsächlich Produkte aus der Schweiz zu verwenden. Aber ich habe jetzt auch wieder ein Gericht mit Langoustinen aus Norwegen auf der Karte – einfach, weil ich das selbst auch gerne esse. Es geht immer um die Balance: Wenn alle nur noch regional kochen, gibt es dann nirgendwo in der Schweiz mehr Langustinen zu essen? Das wäre doch auch schade!
Sie haben seit der Ankündigung Ihres neuen Engagements gleichzeitig das Projekt in Ihrer Heimat vorangetrieben und den Laden in Vitznau am Laufen gehalten. Wie war diese Zeit?
Das Schwierigste war, die Motivation im Team hochzuhalten, dessen Zukunft ungewiss ist. Zum Glück konnte ich die Aufgaben als Executive Chef schnell meinem Nachfolger übergeben. Aber ich hatte im letzten halben Jahr trotzdem nur drei Tage frei. Wir bauen in unserem neuen Restaurant «Inter Scaldes» stark um, das gibt viel zu entscheiden. Gleichzeitig wollte ich meine Leute in Vitznau nicht im Stich lassen. Manchmal bin ich um 5.30 Uhr in Holland losgefahren, um zum Abendservice wieder im «Sens» zu sein.
Haben Sie sich schon über Ihr letztes Menü im «Sens» Gedanken gemacht?
Ich habe darüber nachgedacht und mich gefragt, ob ich etwas anderes kochen soll als das, was wir gerade servieren. Ich bin überzeugt, das jetzige Menü mit fünf neuen Gerichten ist das Beste, was wir je gekocht haben. Deshalb will ich nicht etwas einbauen, was es irgendwann in den letzten fünf Jahren mal gab.
>> Am 16. November 2023 eröffnet Jeroen Achtien sein neues Restaurant «Inter Scaldes» («zwischen den Salzseen») im niederländischen Kruiningen. Im Restaurant Sens im Hotel Vitznauerhof ist Achtien mit 18 Punkten und zwei Sternen bewertet, 2019 war er «Aufsteiger des Jahres» im GaultMillau. Das letzte Menü in Vitznau serviert Achtien am 26. August 2023.
Fotos: Caspar Martig, Thomas Buchwalder, Digitale Massarbeit, Stefan Kaiser