Fotos: Gabriel Monnet
Oft wird betont, dass Sie als Küchenchef vergleichsweise jung und darüber hinaus eine Frau sind. Ärgert Sie das?
Ich fühle mich jung und stark. Manchmal bin ich sogar noch ein Kind im Kopf und mache Scherze mit dem Team, lache über dies und das. Auch als Chefin einer Brigade muss man nicht alles todernst nehmen. Und: Ich bin eine Frau in einer Männerwelt – die genannten Attribute sind also nicht verkehrt.
Führt eine Frau eine Küchenbrigade anders?
Für uns alle ist der Job gleich hart, aber womöglich bin ich feinfühliger als viele Männer. Ich habe ein offenes Ohr, wenn jemand aus meinem Team eines braucht. Kürzlich bemerkte ich etwa, dass mit einem meiner Köche etwas nicht stimmte. Er wollte erst nicht damit herausrücken – aber er hatte schreckliche Rückenschmerzen. Ich schickte ihn nach Hause. Männer sind, darum erzähle ich das, manchmal allzu stolz. Dabei sind wir alle keine Roboter.
Trotzdem braucht es in einer Küchenbrigade Respekt. Wie fordern Sie ihn ein?
Man muss selber anpacken! Ich erscheine nicht erst kurz vor dem Mittagsservice am Arbeitsplatz, sondern helfe schon morgens überall mit, etwa beim Mise en place. Wenn zehn Kilogramm Karotten geschält werden müssen, dann mache ich fünf Kilos davon.
Aber den Chefposten müssen Sie dennoch ausfüllen.
Selbstverständlich. Ich kreiere jeden Monat neue Gerichte, teile die Posten ein, schaue, dass alle Mitarbeiter die Zimmerstunde einhalten – auch wenn die Arbeit dann manchmal an mir hängen bleibt.
Ist denn Ihr Kochstil besonders weiblich?
Das höre ich regelmässig, frage ich mich aber, ob dies ein Klischee ist. Weil ich sehr farbenfrohe Gerichte mache. Weil ich Gemüse oft zu Blumen schneide.
Und Sie verwenden in salzigen Zubereitungen fast immer Früchte.
Das Lustige ist ja, dass ich selber praktisch keine Früchte esse. Fruchtsalat käme bei mir nie und nimmer auf den Tisch.
Was war denn Ihre beste Kreation 2024?
Krebs mit Erdbeere und Gurke? Thunfisch mit Rande mit Crème Double aus Gruyère? Ich habe eigentlich keine Favoriten. Für die Gäste war womöglich die Kombination von Foie gras, Senf und Estragon auf dem Menü besonders überraschend.
Haben Sie damit auch jemanden vor den Kopf gestossen?
Ehrlich gesagt waren die Kollegen an der EHL, als ich im Sommer 2023 hier in Lausanne begonnen habe, schon hin und wieder irritiert. Nachdem es mir dieses Jahr aber gelungen ist, den Michelin-Stern des Hauses zu verteidigen und vom GaultMillau sogar noch einen Punkt mehr als mein Vorgänger zu bekommen, sind die Vorbehalte diesbezüglich verschwunden.
Kann man wirklich alles Mögliche kombinieren?
Probieren muss man wilde Kombis natürlich immer. Aber es ist schon verblüffend, was alles funktioniert. Kürzlich kam etwa ein Gericht mit Jakobsmuscheln mit Lychee und Schwarzwurzel aufs Menü.
Wild! Wie kommt man darauf?
Das ist eigentlich mein grosses Geheimnis… Meine Ideen basieren meist auf den Farben der Zutaten – weil ich beispielsweise finde, dass weiss und grün zusammenpassen. So entstand eine Kombination wie grüner Spargel mit Erdnüssen und Kaffirlimette. Ein anderes Beispiel? Mönchsfisch mit Sellerie, Mandarine und Lakritze, also schwarze, weisse und orange Komponenten, sowas passt.
Haben Sie sich Ziele gesetzt für 2025?
Natürlich träume ich hin und wieder von noch höheren Bewertungen – aber an der Hotelfachschule dürfte das nicht leicht werden. Unmöglich ist es aber auch hier nicht.
Ist es eigentlich schwierig, mit wöchentlich wechselnden Studenten zu arbeiten?
Viele Studenten sind nervös, wenn sie den ersten Arbeitstag in der Küche haben. Und es gibt schon Teams, die weniger harmonieren als andere. Schön ist aber vor allem die Neugierde, die sie alle mitbringen. Und wir geben unser Wissen gerne weiter.
Auf der Homepage ist von «The Beauty of Imperfection» die Rede. Einverstanden mit der Formulierung?
Eigentlich können wir uns Unperfektion nicht leisten – weil wir den Studenten ja keine Fehler weitergeben wollen. Wäre es mein eigenes Restaurant, würde ich vielleicht eine andere Formulierung wählen und Leonardo Da Vinci zitieren: Details machen Perfektion, aber Perfektion ist kein Detail.
Wie motivieren Sie sich für den Arbeitstag?
Nach dem Aufwachen um etwa 7 Uhr brauche ich als erstes zwei Espressi, ohne Zucker, ohne Milch. Dann gehe ich für eine Stunde ins Fitnessstudio, erst danach zur Arbeit. Dort instruiere ich das Team, checke Emails, beteilige mich am Mise en place. Oder ich pröble an neuen Gerichten herum. Und vor dem Mittagsservice muss ich unbedingt noch etwas essen!
Und wie geht der Tag weiter?
Auch nachmittags probiere ich regelmässig an Gerichten herum. Oder ich organisiere den Kühlschrank. Oder helfe dem Team, damit alle rechtzeitig in die Zimmerstunde gehen können.
Essen Sie abends nach dem Service nochmals?
Meist gibt es dann Salat mit einem Stück Brot, bevor ich noch mit meinem Freund plaudere, mit meinem Hasen kuschle oder TV schaue. Um 2 Uhr gehts ins Bett.
Und vor dem Schlafengehen – lieber einen Negroni oder ein Glas Rotwein?
Kommt auf den Wochentag an. Freitags darf’s durchaus Negroni sein.
Auch immer wieder ein Thema sind Ihre vielen Tattoos. Haben Sie für 2025 schon ein Motiv ins Auge gefasst?
Nach der schmerzvollen Zitrone diesen Sommer wird es vielleicht ein Fuchs sein. Oder ein Croissant. Das wird sich im Laufe der nächsten Monate zeigen.
>> Lucrèce Lacchio ist GaultMillaus «Aufsteigerin des Jahres in der Westschweiz». Die gebürtige Französin, 31-jährig, leitet das Restaurant Berceau de Sens in der Hotelfachschule Lausanne (EHL). Für ihre Arbeit dort hat sie dieses Jahr 17 Punkte und einen Michelin-Stern bekommen.
Foto Preisverleihung: Adrian Bretscher