Text: Knut Schwander I Fotos: Guillaume Cottancin
Jazz-Fans aufgepasst: Das «Lemantine» im Montreux Palace ist das Pop-up des Sommers am Genfersee! Kulinarisch schlägt es eine Brücke zwischen dem Libanon und dem Lac Léman, damit die Gerichte dem Niveau des Swiss Deluxe Hotels gerecht werden, hat man Starchef Alan Geaam (16,5 GaultMillau-Punkte) engagiert. Auf der Speisekarte stehen Gerichte wie Freekeh-Salat mit kandierter Schulter vom Alpenlamm oder Schweizer Saibling mit Tahini-Sauce «Samke Harra»». (Grosses Foto oben: Alan Geeam und sein Gericht aus Artischocke, Kaviar und Tahini.)
Sie sind während des Kriegs in Liberia geboren, heute sind Sie erfolgreicher Küchenchef in Paris. Wie kam das?
Ich wurde 1975 in Monrovia, Liberia, geboren, dort herrschte Krieg. Mit meinen Eltern bin ich nach Tripoli im Libanon ausgewandert, ebenfalls ein Kriegsgebiet. Ich hatte also eine komplizierte Kindheit - und so wollte ich, als ich nach Europa kam, einen Schlussstrich unter diese schmerzhaften Episoden ziehen.
Warum wurden Sie gerade Koch?
Dank meiner Mutter, mit der ich viel Zeit in der Küche verbrachte, war es schon immer mein Kindheitstraum gewesen, Koch zu werden. Und mit diesem Ziel vor Augen bin ich nach Frankreich gekommen. Es war ein harter Weg, ich bin Autodidakt: Zuerst habe ich die französische Sprache gelernt, dann widmete ich mich der französischen Küche. Zuerst arbeitete ich als Tellerwäscher, dann als Küchenhilfe, um die Köche beobachten zu können. Meine Devise lautete: Immer als Erster kommen und als Letzter gehen! Eines Tages verletzte sich der Chefkoch des Restaurants an der Hand - und ich sprang kurzfristig für ihn ein. So hat alles angefangen.
Inzwischen leiten Sie vier Restaurants… Unglaublich!
Mein Vater hatte einen Lebensmittelladen. Als ich zehn Jahre alt war, nahm er mich mit, um mir das Geschäftsleben beizubringen. Er war streng zu mir, aber er hat mir eine wichtige Lektion beigebracht: Wenn Du zwei verdienst, lege einen zurück… Das hatte ich immer vor Augen. Und so konnte ich 2006 das Restaurant Nicolas Flamel in Paris übernehmen. Indem ich da und dort Kredite aufnahm, brachte ich irgendwie die erforderlichen 80'000 Euro zusammen. Der Anfang war harzig, aber nach und nach füllte sich das Lokal. Und da ich heute immer besser sein will als gestern, wurde es zu einem Erfolg.
Ihre libanesischen Wurzeln verdrängten Sie.
Lange Zeit habe ich mich für meine Geschichte als armes Kind, das aus dem Krieg kam, geschämt. Ich stand nicht dazu. Daher widmete ich mich nur der französischen Küche. Erst 2016 wurde mir plötzlich klar, dass der Libanon und meine Erlebnisse Teil meiner Identität sind. Von da an begann ich, libanesische Aromen in meine Gerichte einzubauen. Der GaultMillau wurde auf mich aufmerksam, das hat mir Selbstvertrauen gegeben. Im Jahr 2018 brachte mir meine Fusionsküche die 16,5 Punkte und einen Michelin-Stern.
Was macht Ihre Küche einzigartig?
Sie schlägt eine Brücke zwischen Orient und Okzident. Viele Gerichte sind vegetarisch. Die Einfachheit ist mir wichtig, denn die libanesische Küche ist eine Küche der Mütter, die nicht sehr technisch ist und auf Erfahrung und Weitergabe beruht. In einem echten Hummus steckt viel Arbeit. Fürs Tabouleh muss man wissen, dass man Petersilie nicht mehr als einmal hacken darf. Und um die libanesischen Kibbeh-Klösschen knusprig hinzubekommen, braucht es die entsprechende Fingerfertigkeit. Erst in Verbindung mit europäischen Techniken kann diese Küche zu einer Gourmetküche werden!
In Montreux verwenden Sie Schweizer Produkte für die Gerichte.
Ja, wie der Name des Lokals schon sagt, ist «Lemantine» eine Fusion zwischen meinen Kindheitserinnerungen und der Schweiz. Dafür war ein reger Austausch mit Frédéric Gardette nötig, dem Executive Chef des Swiss Deluxe Hotels Montreux Palace. Darauf habe ich im Internet recherchiert, bevor ich in die entsprechenden Ortschaften gefahren bin, um die Produkte und deren Produzenten kennen zu lernen. Auf der Speisekarte stehen nun Geflügel aus dem Greyerzerland. Oder «Graved Lachs» von der Schweizer Forelle mit Sumach. Ziger nimmt den Platz von Feta ein, und Crème double ersetzt Achta, die libanesische Milchcreme.
Kannten Sie die Schweiz schon, bevor Sie nach Montreux kamen?
Die Schweiz ist mir erst seit diesem Jahr ein Begriff, seit ich zum Gourmet Festival in St. Moritz eingeladen war. Es war das erste Mal, dass ich ausserhalb Frankreichs gekocht habe. Und ich habe mich geradezu in die Schweiz verliebt, in ihre Natur und die ruhigen Plätzchen. Es ist ein Land des Friedens.
Ihre Begeisterung ist spürbar. Werden Sie bald mal ein Restaurant in der Schweiz eröffnen?
Im Moment bin ich stolz darauf, dass ich hier im Fairmont Le Montreux Palace Emotionen vermitteln kann. Lange Zeit hielt ich es für unmöglich, meine Küche zu duplizieren. Und ich will auch weiterhin kein massentaugliches Konzept lancieren. Aber mittlerweile weiss ich, dass man die Dinge auch aus der Ferne kontrollieren kann, wenn man alles richtig macht. Und wenn der Ort stimmt. Ich habe mehrere Angebote, unter anderem aus den Golfstaaten, abgelehnt. In der Schweiz schätze ich die Sensibilität des Publikums und die menschlichen Beziehungen: Das passt zu mir - und es könnte der Beginn eines schönen Abenteuers sein...
>> Lemantine by Alan Geaam, Fairmont Le Montreux Palace, diesen Sommer abends täglich