Text: David Schnapp | Fotos: Valeriano Di Domenico, Digitale Massarbeit
Antonio Colaianni, als Koch haben Sie Ihre Biografie umgesetzt: italienische Wurzeln mit hiesiger (französischer) Technik. War das ein Weg, den Sie bewusst gegangen sind?
Das hat sich eher so ergeben. Ich komme aus sehr einfachen Verhältnissen und habe erst während der Lehre gemerkt, wie gut wir zu Hause immer gegessen haben.
Warum wurden Sie überhaupt Koch?
Ich habe drei ältere Geschwister, wir hatten eine Tagesmutter; eine Schweizerin, die noch den Krieg erlebt und mir immer gesagt hat: «Wenn du Koch wirst, kannst du überall arbeiten und musst nie Hunger leiden.» Das habe ich nicht vergessen, und als es um die Schnupperlehre ging, kam es mir wieder in den Sinn. Mir liegt alles, was man mit den Händen tun kann. Ich war ein schlechter Schüler und wurde deswegen oft von Lehrern und Eltern kritisiert. Als ich in einer Bäckerei und in einer Restaurantküche «geschnuppert» habe, wurde ich hingegen zum ersten Mal gelobt für etwas, was ich gemacht habe. Das hat mir Mut gemacht. Weil Bäcker aber so früh aufstehen müssen, wurde ich Koch (lacht).
Sie sind 1969 geboren, ein typisches Einwandererkind dieser Zeit. «Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen», lautet das berühmte Zitat des Schriftstellers Max Frisch zu den damaligen Auseinandersetzungen von Einwanderern und Eingeborenen. In welcher Atmosphäre sind Sie aufgewachsen?
Ich habe das Schimpfwort «Tschingg» sehr oft gehört. Mein älterer Bruder hat geboxt und mir beigebracht, mich zu wehren. In der zweiten, dritten Klasse habe ich mich täglich geprügelt. In der fünften Klasse war ich dann zwar kleiner als alle anderen, aber jeder hatte Respekt vor mir.
Und später?
Ich habe in Bern bei AS Italiana Fussball gespielt und immer wenn wir auf dem Land einen Match hatten, ging es dort regelmässig wild zu. Da waren es vor allem die Eltern der Jugendlichen, die uns verbal beleidigt haben. Am Spielfeldrand kam es aber auch zu Handgreiflichkeiten. Mit etwa 18 Jahren war das Thema «Tschingg» aber erledigt.
Was haben Ihre Eltern Ihnen beigebracht, wofür Sie bis heute dankbar sind?
Ich wurde sehr streng und, wie ich finde, sehr gut erzogen. Anstand hatte einen hohen Wert bei uns: Tischmanieren, «Danke» sagen, mit anderen teilen, die nicht soviel haben – solche Sachen waren wichtig. Bei uns zu Hause waren immer alle willkommen am Tisch.
Ihre Eltern waren beide berufstätig?
Mein Vater war Maurer, er gehört zur Generation der Einwanderer, welche die Schweiz mit aufgebaut haben. Er war war ein Arbeitstier mit schier übermenschlichen Kräften. Die Schule hat er nach der achten Klasse verlassen, aber zupacken konnte er. Abends stand er noch im Garten, er hat gearbeitet, bis er körperlich nicht mehr konnte. Die Frühpensionierung war ein schwerer Schlag für ihn. Meine Mutter hat als Schneiderin in der Kochkleider-Fabrik Hammer AG in Bern genäht, abends für uns gekocht und auch gleich das Mittagessen für den nächsten Tag vorbereitet. Das Leben meiner Eltern war eine «Chrampferei».
Sie gelten heute als bester italienischer Koch Zürichs, aber sehen Sie sich selbst überhaupt als italienischen Koch?
Früher habe ich mich gegen diese Bezeichnung gewehrt, vielleicht war das auch Teil meiner rebellischen Phase. Heute stehe ich zu meinen Wurzeln als Koch. Ich esse gern alles Mögliche, mag asiatisch oder peruanisch, aber ich liebe die italienische Küche. Dazu kommt der Fokus auf Saucen und Essenzen, die nicht abgehoben und sofort verständlich sein sollen: Man soll spüren, was man isst.
Wie meinen Sie das?
Ich bin zum Beispiel weggekommen von den zu stark reduzierten Fleischsaucen, die brauchen eine gewisse Frische und Leichtigkeit. Aber wenn man den Löffel in den Mund nimmt, soll es dennoch «Peng!» machen.
Hat sich der kulinarische Bezug zur Heimat Ihrer Eltern im Laufe der Jahre verändert?
Ich verstehe Italien heute besser. Irgendwann in meiner Entwicklung als Koch fanden mein italienisches Herz und die französische Technik zusammen. Und wenn mir etwas besonders «Italienisches» mit einer gewissen Eleganz gelingt, macht mir das besondere Freude: Ich habe zum Beispiel gerade eine Lasagne auf der Karte, an der ich lange herumgetüftelt habe, damit es nicht wie gewöhnliche Hausmannskost daherkommt. Der Teig ist hauchdünn und wird roh eingesetzt, damit er beim Backen die Flüssigkeit aufsaugen kann. Das Ragù koche ich nur aus Rinderbacken, dazu kommt eine leichte, halbflüssige Béchamel und Parmesan. Bei den Gästen kommt das sehr gut an.
Die Lasagne richten Sie auf einer Trikolore aus Pesto, Tomaten und Burrata-Creme an – fast ein wenig kitschig…
Das ist meine Hommage an Italien. Jetzt besonders, weil unsere Azzurri ja nicht an die Fussballweltmeisterschaft fahren. Das schmerzt mich als Fan schon.
Käse, Fleisch, Kaviar – einige prominente Zutaten in Ihrer Küche kommen aus Italien. Worauf können Sie nicht verzichten?
Vor allem nicht auf die ganzen Milchprodukte wie Ricotta aus Schaf- und Kuhmilch, Mascarpone, den Streichkäse Crescenza, Parmesan oder Pecorino zum Beispiel. In meinen Sommerferien in Sardinien habe ich gerade eine Pecorino-Creme entdeckt, die sich besonders gut eignet, um Gerichte abzuschmecken und ihnen eine besondere Cremigkeit zu verleihen.
Welcher italienische Käse ist unterschätzt?
Es gibt einige, die man hier kaum kennt: Der Caciocavallo Podolica aus Süditalien ist einer meiner Lieblingskäse. Er wird in Kampanien in Süditalien hergestellt und besteht aus der Rohmilch der seltenen italienischen Rinderrasse Podolica.
Wohin führt Sie Ihre Reise als Koch?
Das weiss ich heute noch nicht. Es kommt immer auch darauf an, in welchem Restaurant ich arbeite. Zum «Ornellaia» passt eine Küche mit einer gewissen Eleganz. Gleichzeitig liegt im Rustikalen eine besondere Magie. Ein Pecorino ist etwas Einfaches, aber in der richtigen Dosierung kann dieser Käse ein Gericht veredeln.