Text: Kathia Baltisberger | Fotos: Thomas Buchwalder, Lukas Lienhard
Sebastian Titz, Sie sind der Küchenchef im «Verve by Sven». Wie viel Sven Wassmer und wie viel Sebastian Titz steckt in dem Restaurant?
Sven prägt die Grundphilosophie. Er gibt eine gewisse Guideline vor, aber die deckt sich ziemlich mit meinen Vorstellungen. Deshalb bin ich auch hier. Wir versuchen im «Verve» reduziert zu kochen. Das regionale Gedankengut ist sehr wichtig. Eine neue Karte bespreche ich immer mit Sven. Aber ich kann eigentlich machen, was ich will. Sven weiss einfach gerne Bescheid und probiert alles. Das gibt uns gegenseitig eine gewisse Sicherheit.
Das «Verve» steht für eine Health- und Lifestyle-Küche. Gesund klingt aber nicht sofort nach Genuss. Ein alter Zopf?
Ich finde schon. Wenn man sich mit Ernährung auseinandersetzt, hört man ja auch viel Irrglauben. Fette sind böse, Kohlenhydrate sind böse, Fleisch ist böse. Aber das stimmt so gar nicht. Es hängt von der Qualität und von der Menge ab. Wir haben sicher wenig weisse Kohlenhydrate auf der Karte. Und unsere Portionen sind so konstruiert, dass man nach drei oder vier Gängen nicht völlig übersättigt ist. Das ist ein grosser Schritt und ein guter Ansatz für gesunde Ernährung. «Verve» ist eigentlich ein guter Ausdruck dafür: es bedeutet Lebensfreude oder Leidenschaft. Wir kochen mit Herzblut und Leidenschaft, man soll geniessen können, ohne zu bereuen.
Sie machen am Swisstainable Veggie Day mit. Wie sieht der Tag bei Ihnen aus?
Wir haben am 1. Oktober ein zusätzliches Vegi-Menü. Darauf wird es sicherlich etwas mit Ackerbohnen-Tofu geben. Die Ackerbohnen sind von Marcel Heinrich, der die Bergkartoffeln aus dem Albulatal anbaut. Dazu gibts Kastanien aus dem Tessin, Rotkraut und Federkohl. So ein klassischer Wild-Teller, aber vegetarisch. Eigentlich mag ich das nicht, wenn man in einem Gericht das Fleisch mit etwas anderem ersetzt. Aber hier harmoniert alles so gut mit dem Tofu, dass es einfach passt.
Wie viel Platz nimmt Gemüse sonst in Ihrer Küche ein?
Sehr viel. Gemüse ist eigentlich auf jedem Teller drauf. Unsere Hauptkomponenten sind Proteine und Gemüse, wenig Stärkebeilagen. Aktuell haben wir zum Beispiel einen Hauptgang mit Lauch und alpiner Gerste. Dazu passt auch unser Whisky-Pairing.
Wie schafft man zu Hause eine spannende Gemüseküche?
Die Bratpfanne ist oft die Lösung. Das gibt dem Gemüse Röstaromen und schmeckt besser, als wenn man das Gemüse im Wasser kocht oder dämpft. Ansonsten gibt es zwei Tricks für mehr Gemüse im Alltag: Entweder man «versteckt» es in der Sauce. Einfach Zucchetti und Auberginen ansautieren und in die Sauce geben. Wenn man dazu noch eine gute proteinreiche Pasta kauft, ist das eine vollwertige, gesunde Mahlzeit. Das funktioniert auch mit Eierspeisen wie Rührei. Eier sind ein guter Proteinlieferant, man kriegt überall qualitativ hochwertige Demeter-Eier und das mit dem Cholesterin ist auch überholt. Der andere Trick: Man stellt das Gemüse in den Vordergrund: Blumenkohl aus dem Ofen mit etwas Hummus schmeckt gut. Oder Wurzelgemüse, Kartoffeln und Zwiebeln aus dem Ofen mit einem feinen Sauerrahm-Dip. Im «Verve» versuchen wir, auf den Eigengeschmack des Gemüses zu fokussieren. Das schafft man durch langes Andünsten, ohne dass das Gemüse Farbe annimmt. Wir verwenden nicht extrem viele verschiedene Gewürze, da kann man sich auch schnell verrennen.
Sie haben sieben Jahre bei Stefan Wiesner, dem Hexer aus dem Entlebuch, gekocht. Was haben Sie von ihm über die Naturküche gelernt?
Wir sind ja oft geprägt von unserer Ausbildung, wie etwas zubereitet oder angerichtet werden soll. Von Stefan habe ich vor allem Offenheit mitgenommen. Er hat immer gesagt: Mach wie du willst, Hauptsache es ist gut. Er hat mir gezeigt, dass es keine Grenzen gibt. Und ich habe an seinem Buch «Avantgardistische Naturküche» mitgearbeitet. Dort drin gibt es einen Schlüssel über Modifikatoren. Dabei handelt es sich um altes Wissen, das zeigt, welche Aromen miteinander harmonieren und welche Produkte man kombinieren kann. Unsere Kürbissuppe machen wir zum Beispiel mit Lavendel. Das klingt im ersten Moment vielleicht komisch, aber es funktioniert.
Haben Sie ein Lieblingsgemüse?
Ich finde alle Kohlarten sehr interessant. Sie sind geschmacklich sehr tief und eine Herausforderung bei der Zubereitung. Am liebsten ist mir der Federkohl. Den kann mal als Chip servieren, als Püree oder grilliert. Im Sommer ist es sicherlich einfacher, vegetarisch zu kochen. Aber ich finde den Herbst genauso interessant.
Und was essen Sie nicht?
Als Kind mochte ich Rahmspinat nicht gerne. Heute esse ich alles. Aber Gemüse muss richtig und gut zubereitet sein. Rosenkohl aus dem Wasser gezogen oder so ein püreeähnliches Ratatouille mag ich nicht.