Text: David Schnapp | Fotos: Simon Kurt/Digitale Massarbeit
GC vs. FCZ. Als erstes musste Julian Marti die Grasshopper-Aufkleber seines Vorgängers aus der Küche entfernen: Sein früherer Chef Fabian Fuchs ist bekennender GC-Fan, Marti hingegen Anhänger des rivalisierenden FC Zürich. Während die beiden jahrelang Seite an Seite im «EquiTable» im Zürcher Kreis 4 gekocht haben, pflegten sie gleichzeitig die Fankurvenmentalität auf freundschaftliche Art und Weise. «Als Fabian hier aufgehört und in der ‹Neuen Taverne› angefangen hat, habe ich natürlich sofort seine Abziehbilder entfernt und meine angebracht», sagt Julian Marti mit einem entspannten Lachen.
Bio und Fair Trade. Während seiner Zeit als Sous-Chef hat der 32-Jährige unter der Führung von Fuchs aus dem «EquiTable» mitten im Quartier eines der besten Restaurants der Stadt geformt. Die beiden gehören zu einer neuen Generation von Küchenchefs, die mit erfrischenden Ideen und einem neuen Selbstverständnis die urbane Gastronomie prägen. Heute führt Julian Marti erstmals als Küchenchef das Lokal, in welchem konsequent mit Bio-Produkten aus der Region sowie mit Fair-Trade-Erzeugnissen gearbeitet wird.
Signature Dish mit 14. Julian Marti sagt, er habe schon als Jugendlicher Koch werden wollen. In der Hauswirtschaft habe er als Einziger seiner Klasse die Bestnote 6 erhalten, und «als 14-Jähriger habe ich mit meiner Mutter und Grossmutter angefangen zu kochen – vor allem Suppen und Salate. Eine Weisswein-Mandel-Suppe mit Marzipan war mein erster Signature Dish. Die Rezepte hatte ich aus dem Schulkochbuch ‹Tiptopf› oder aus dem Internet.» Irgendwann habe er dann begonnen, erst für seine drei Brüder, dann für Freunde seiner Eltern und dann für Kollegen aus der Schule Essen aufzutischen. Bis heute muss der junge Zürcher nicht lange nach Motivation für seine Arbeit suchen. «Es gibt nichts, was ich lieber mache als kochen, deshalb freue mich auch jeden Tag wieder auf das Restaurant», sagt er.
50'000 Kilometer Australien. Nach den ersten Jahren mit Fabian Fuchs von 2014 bis 2016 nahm Julian Marti allerdings eine Auszeit vom Küchenalltag, bevor er ins «EquiTable» zurückkehrte. Elf Monate lang reiste er in einem Auto samt Schlafgelegenheit durch Australien – «ich wollte allein sein und die Welt entdecken», sagt er über diese Erfahrung. Ganz ohne das Kochen ging es aber auch weit weg von zu Hause nicht: Marti nutzte die Zeit, um seinen Horizont zu erweitern, arbeitet als Praktikant bei Peter Gilmore im weltberühmten «Quay» in Sydney oder half auf einem Tauchboot am Great Barrier Reef aus: «Ich habe Frühstück zubereitet, die Kabinen gereinigt und durfte dafür umsonst tauchen», erzählt er. «Die beste Zeit meines Lebens», wie er die 50’000-Kilometer-Reise nennt, habe ihn Gelassenheit und Wertschätzung der kleinen Dinge gelernt. «Aber ich wollte dennoch unbedingt zurück in die Küche», so Marti.
«Storchen» und Colaianni. Julian Marti bringt, wie viele Küchenchefs seiner Generation, eine grundsolide Ausbildung – unter anderem im Zürcher Hotel Storchen (The Living Circle) oder bei Antonio Colaianni mit. «Wenn man bei Antonio bestehen kann, dann macht einem in der Küche nichts mehr nervös», sagt Marti. Unvergessen sei die Zubereitung eines Bomba-Reis’ mit zehn verschiedenen Gewürzen gewesen: «Antonio konnte im Vorbeigehen riechen, wenn eines der Gewürze gefehlt hat», sagt Marti über seine Zeit beim heutigen 17-Punkte-Chef aus dem Bindella-Restaurant «Ornellaia» an der Bahnhofstrasse. Gleichzeitig hat die «Generation Marti» die Welt gesehen, der junge Koch hat bei Daniel Humm in New York Kräuter gezupft und hätte nach einem Probegericht mit Perlhuhnbust sofort im «Eleven Madison Park» anfangen können, wenn nicht das Visum zum Problem geworden wäre. Bei Starchef Ángel León in El Puerto de Santa María hat Marti Spanisch und den Umgang mit Meeresprodukten gelernt, und im «Koks» auf den Faröer Inseln einen freundlicheren Umgang mit dem Personal: «Während in Spanien ein Koch das Restaurant verlassen musste, weil er während der Arbeit gelacht hatte, war es im ‹Koks› üblich, dass der Küchenchef geholfen hat, Container auszuwaschen.»
Varianten- und ideenreich. «Meine heutige Küche ist die Summe aller Einzelteile, die ich bisher gelernt habe», sagt Julian Marti über seine Lehr- und Wanderjahre. Den eigenen Stil zu entwickeln sei allerdings ein langsamer und langwieriger Prozess. Dem leidenschaftlichen Koch gelingt das allerdings schon in seinem ersten Jahr als Küchenchef erfreulich gut. Gerichte wie das Karottentatar mit Felchenrogen, eingelegten und fermentierten Rüebli sowie Kerbel als Sorbet und in einer Vinaigrette sind Ausdruck einer varianten- und ideenreichen Küchentechnik.
Bier aus der Nachbarschaft. Viele Saucen – etwa mit Meerrettich zum geräucherten und konfierten Saibling – baut Julian Marti vegan auf, damit sie sowohl für das vegetarische als auch für das Fisch-und-Fleisch-Menü sowie für Gäste mit Allergien passen. Und die Idee einer nachhaltigen, regionalen Küche betreibt der «EquiTable»-Chef ziemlich konsequent. Zum Käsegang («Blaue Meise» von Jumi als Raclette mit Corne-de-Gatte-Bergkartoffel und Birnen-Chutney) gibt es ein Bier der Brauerei Grüngasse. «Das wird 50 Meter von meiner Wohnung entfernt gebraut und schmeckt durch die Zugabe von schwarzen Johannisbeeren, Pfefferminze, Thymian und Alpensalz ziemlich crazy», findet Marti.
Jeden Tag etwas Schönes. Im aktuellen GaultMillau hat Julian Marti die hervorragenden 17 Punkte für das «EquiTable» scheinbar mühelos bestätigt und sieht seine Ambitionen vollends erfüllt: «Dieses Restaurant übernehmen zu können, war ein grosser Wunsch von mir, und weit darüber hinaus denke ich gar nicht. Ich habe Freude an der Aufgabe, die ich habe, wohne in der Nähe und kann hier jeden Tag etwas Schönes kochen», sagt Marti über seine berufliche Gegenwart. Vielleicht gelinge es ihm in der Zukunft, eines Tages mit seiner Partnerin «etwas Eigenes» zu führen, «aber ich arbeite noch 30 Jahre, mir bleibt also genügend Zeit», sagt der 32-Jährige mit dieser charakteristischen Gelassenheit, die ihn auszeichnet.
>> GaultMillau und American Express scouten junge, begabte Köche, die die Zukunft vor sich haben für die Liste «Talente 2023». Fortsetzung folgt.