Christian Jürgens, Sie haben ein hartes Jahr hinter sich. Wo stehen Sie heute?

Ich habe die Zeit unter anderem dazu genutzt, mein bisheriges berufliches Wirken zu reflektieren. Was war gut, was weniger gut, wo will ich besser werden und wie erreiche ich das? Es geht darum, aus Fehlern zu lernen. 
 

Das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» hatte Ihnen vorgeworfen, Mitarbeiter schikaniert und belästigt zu haben, Sie wurden daraufhin im Restaurant Überfahrt freigestellt. Wie haben Sie das erlebt?

(Atmet tief ein) Wie man eine solche Situation erlebt, ist nicht so einfach in Worte zu fassen. Es geht um nicht weniger als die Existenz. Und es geht auch um Einsicht und Erkenntnis. Ich bin Koch mit Leib und Seele, es ist eine Leidenschaft. Seit 1997 habe ich als Küchenchef und Geschäftsführer rund 900 Fachleute in Küche und Service begleitet. Knapp drei Prozent davon haben sich negativ über mich geäussert. Das sind drei Prozent zu viel. Dass ich mit meinem Verhalten einigen Mitarbeitende einen Grund zur Beschwerde gab, beschäftigt mich und es tut mir leid. Allerdings wurden auch falsche Vorwürfe erhoben. Dagegen wehre ich mich. Die Situation ist für meine Familie und mich enorm belastend und herausfordernd.
 

Welche Vorwürfe treffen nicht zu?

Vieles stimmt nicht oder wurde anders als tatsächlich geschehen dargestellt. So habe ich u.a. niemanden geschlagen. Mehr kann und darf ich dazu nicht sagen. Das zivilgerichtliche Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.     
 

Was haben Sie falsch gemacht?

Ich habe in den vergangenen Jahren enorm viel Energie und Kreativität in die Entwicklung der von mir angebotenen kulinarischen Erlebnisse investiert. Ich bin meine Ziele mit grossem Ehrgeiz angegangen und habe viele davon auch erreicht. Mir ist es darüber aber offenbar nicht gelungen, meine Qualitäten als Führungskraft in gleichem Masse voranzutreiben. Das muss ich selbstkritisch und mit grossem Bedauern feststellen. Zwar erhalte ich nach wie vor sehr viel Zuspruch von ehemaligen Mitarbeitenden. Das freut mich einerseits. Auf der anderen Seite ändert es nichts an der aktuellen Situation, zu der ich meinen Teil beigetragen habe. Diese erkannt zu haben und entsprechend zu handeln ist das, was mich motiviert und antreibt. 
 

Ist man heute zu streng mit Führungskräften, es kann ja niemand alles richtig machen?

An Führungskräfte, nicht nur in der Spitzengastronomie, werden zu Recht hohe Ansprüche gestellt. Es gilt sensibel mit den Menschen und den Aufgaben umzugehen. 
 

Was hat Sie bei den ganzen Ereignissen am meisten getroffen?

(Denkt lange nach) Zunächst einmal die Einsicht, nicht auf allen Ebenen die Qualität abgeliefert zu haben, die ich von mir erwarte und die andere von mir erwarten dürfen. Eine andere bittere Lektion, die ich lernen musste, ist, dass von den Gefährten, die im Erfolg sich gerne an Deiner Seite sonnen, nur noch wenig zu sehen ist, wenn Regen aufzieht. 
 

Althoff, Seehotel Überfahrt, Tegernsee © HO, Althoff Seehotel Überfahrt

Christian Jürgens' letzte Wirkungsstätte: Das «Althoff Seehotel Überfahrt» am Tegernsee.

Die Hotelgruppe Althoff hat Sie trotz bestehender Unschuldsvermutung seinerzeit sofort freigestellt. Das kurzzeitig geführte Ermittlungsverfahren wegen der teilweise strafrechtlich relevanten Vorwürfe wurde zwischenzeitlich eingestellt. Wie sind Sie damit umgegangen, dass alle Selbstverständlichkeiten Ihres Lebens weggebrochen sind?    

Ich hätte mir nach 15 Jahren gemeinsamer erfolgreicher Arbeit natürlich Zuspruch und Vertrauen gewünscht. Die getroffene Entscheidung muss ich akzeptieren, auch wenn das für mich nicht einfach war.       
 

Mussten Sie nach den Ereignissen Hilfe holen, oder sind Sie da allein wieder herausgekommen?

Ich habe mir Hilfe geholt, um zu reflektieren und an mir zu arbeiten. Was kann ich wie optimieren, im Umgang mit mir selbst und mit anderen?      
 

Wie sehen Sie sich selbst, wer ist Christian Jürgens?

Er ist ein zuverlässiger Partner voller Empathie und Leidenschaft für Menschen und für seine Profession. Loyalität, Ehrlichkeit, Qualität und Fleiss sind Werte, an die ich fest glaube. Ich bin voller Ehrgeiz für das, was mich jeden Tag antreibt. Und ganz sicher bin ich durch die Erfahrungen der vergangenen Monate nachdenklicher geworden, reifer.      
 

Ihre Essen, so wie ich es erlebt habe, war immer von Spielfreude, von Leichtigkeit und Witz geprägt. Haben Sie sich das bewahren können?

Es ist mein Leben. Ich habe mich dieser Art der Kulinarik voller Hingabe gewidmet und deshalb wird sie nie verloren gehen. Im Gegenteil. Ich bin sicher, dass die gemachten Erfahrungen sich auch in meiner Leidenschaft fürs Kochen widerspiegeln werden. Konzentration auf das Wesentliche und das Richtige. Sich neu zu erfinden, ohne seinen Ursprung zu verleugnen – das ist die Kunst. Daran arbeite ich, dafür brenne ich. Ich nutze die Pause, trainiere für das, was kommen wird und darauf freue ich mich.      
 

Gault Millau; Vitznauerhof - Hotel Vitznauerhof

Comeback in der Schweiz: Christian Jürgens ist an der nächsten Kitchen Party im «Vitznauerhof» am 24. Juni dabei.

Am 24. Juni geben Sie in der Schweiz ein Comeback. Sie sind Gastkoch an der Kitchen Party im «Vitznauerhof» am Vierwaldstättersee. Wie kam es dazu?

Die Verantwortlichen haben mich angesprochen, mitzumachen, und das freut mich sehr. Auch, weil mein langjähriger Mitarbeiter Kevin Romes vom «Skins» in Lenzburg, sowie Jürg Kappeler von «Sense of Delight» mich dabei unterstützen. Ich freue mich riesig, wieder mit Gästen interagieren zu können. Ich habe zwischendurch auch schon eine Woche mit meinem Kollegen Niels Henkel in Bonn gekocht. Das fühlte sich hervorragend an. 
 

Worauf dürfen sich die Gäste freuen?

Wir servieren einen salzigen Bienenstich mit Spargelmousse und Eis auf einem mit Spargelsaft getränkten Brioche. Dazu gibt es Kaviar von Kaviari Paris.
 

Was treibt Sie an, wonach suchen Sie in Ihrer Arbeit?

Immer nach der besten Zubereitung und dem besten Geschmack, ganz egal, was das Ausgangsprodukt ist. Dieser Anspruch ist der höchste, den man in der Küche haben kann und man kann ihn nie alleine erfüllen. Was ich in diesem Jahr am meisten vermisst habe, ist der Austausch mit meinem Team. Zusammen etwas Außergewöhnliches auf die Beine zu stellen, inspiriert mich und gibt mir Energie. Die Atmosphäre in der Küche und im Restaurant habe ich immer als etwas Besonderes empfunden. Nur als Team kann man für den Gast etwas schaffen, das in Erinnerung bleibt. Seit ich 16 Jahre alt bin, macht das für mich meinen Beruf so einzigartig.
 

Fotos: David Künzler, Jan Greune, Frederik Dulay