«Family first.» Christian Aeby aus Biel galt als eines der vielversprechendsten Talente am Herd, bis er zusammen mit seiner Partnerin Fiona im Oktober 2024 bekannt gab, das gemeinsame 17-Punkte-Restaurant «Du Bourg» zu schliessen, um mehr Zeit für die Familie zu haben: «Der Schritt ist uns sehr schwergefallen, aber jetzt haben wir das Gefühl, dass es der richtige Weg ist», sagt Aeby. «Als selbstständiger Gastronom ist es schwierig, weil man viel Zeit ins Geschäft investieren muss, und das Kind darunter leidet.» Beim «Du Bourg» habe für ihn und seine Frau Fiona die Grösse des Lokals und die Lage nicht gestimmt, um allen Bedürfnissen gerecht zu werden. «Unsere Familien leben beispielsweise in Fribourg, das hat eine Betreuung durch die Grosseltern erschwert», sagt Aeby. Der Koch wird die nächsten Jahre als Leiter Gastronomie in einem Pflegeheim arbeiten. «Wenn unser Sohn Nelio älter und selbstständiger ist, sieht es sicher wieder anders aus», so Aeby. Grosses Bild oben: Fiona und Christian Aeby mit Sohn Nelio.

HO via Les Grandes Tables de Suisse, Byline Adrian Ehrbar

«Wir müssen genau rechnen»: Christian Aeby in der Küche des «Du Bourg».

Selbstständig oder angestellt? Kinder und Karriere bilden in jeder Branche ein herausforderndes Paar, aber die Gastronomie stellt – im Gegensatz zu anderen handwerklichen Berufen – noch zusätzliche Anforderungen an die Beteiligten: Gearbeitet wird auch abends, nachts, an Wochenenden und Feiertagen. Häufig sind Paare auch zusammen im selben Betrieb tätig. Das geht nicht ohne gegenseitiges Verständnis, gute Organisation und belastbare Absprachen. Für Christian Aeby liegt das Problem allerdings nicht in der Art der Branche, sondern im Unterschied von Selbstständigkeit und Angestelltenverhältnis. «Wir haben zwar schon zusätzliche Leute engagiert, aber da wir nicht von Geldgebern unterstützt werden, müssen wir genau rechnen», sagt er. Zusätzlich sei es immer schwieriger geworden, gutes Personal zu finden, was die Situation zusätzlich erschwert habe. Wie Köchinnen und Köche trotzdem Kinder und Karriere mit höchst unterschiedlichen Modellen vereinbaren, und dass jede Lösung einzigartig ist, zeigen eine ganze Reihe prominenter Beispiele.

Tanja Grandits mit Emma und Hündin Norma, 2020

«Ich war immer erreichbar»: Tanja Grandits mit Tochter Emma bei einem Ausflug nach St. Moritz.

Tanja Grandits Pressematerial Team und Küche © Digitale Massarbeit Koch des Jahres 2020, Tanja Grandits

Das Restaurant als grosser Dorfplatz: das «Stucki»-Team beim gemeinsamen Mittagessen.

Grandits und das «afrikanische Modell». «Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf» – dieses bekannte afrikanische Sprichwort passt zum Weg, den Tanja Grandits mit ihrer mittlerweile 19-jährigen Tochter Emma gegangen ist. Als das Mädchen drei Jahre alt war, zog die Familie nach Basel in eine Wohnung über dem Restaurant Stucki, das Grandits 2008 übernehmen konnte. Dadurch sei sie immer erreichbar gewesen, einen Arbeitsweg gab es nicht, und Emma wurde abwechslungsweise von Tanja Grandits selbst, einem Kindermädchen oder dem ganzen Team betreut. «Meine heutige Assistentin Hilal hat als Kindermädchen angefangen und ist jetzt seit 19 Jahren bei mir. Auch Fabian Wehrli, der heute für die Produktion verantwortlich ist, kennt Emma, seit sie drei Jahre alt ist», sagt Grandits über die erstaunliche Konstanz ihres Modells. Das Restaurant funktionierte also wie ein grosser Dorfplatz mit verschiedenen Kulturen und Charakteren, deren Stärken und Eigenheiten auch in der Erziehung und Betreuung eingesetzt werden konnten. «Das war für Emma grossartig. Es kam sogar vor, dass mich ein Praktikant am Elternabend in der Rudolf-Steiner-Schule vertreten hat», erzählt Tanja Grandits.

Frauen als Chef. «Richtig oder falsch gibt es bei diesem Thema nicht», findet die einzige 19-Punkte-Köchin der Schweiz. Familie sei eine so individuelle Angelegenheit, dass jede und jeder für sich den besten Weg finden müsse, so Tanja Grandits. Sie ist sich aber auch bewusst, dass ihre Lösung nur möglich war, «weil ich immer meine eigene Chefin war. Wenn man in einem Hotel angestellt ist, sieht das natürlich anders aus.» Auch sei es ein Unterschied, ob man wie sie selbst als Alleinerziehende für bloss ein Kind Verantwortung trage oder ob eine traditionelle Familie mit mehreren Kindern das Ziel sei. Und für Frauen in Chef-Positionen sei diese Branche sehr anspruchsvoll, «wenn man nicht einen Mann hat, der alle Familienaufgaben übernimmt».

Nadine Wächter Moreno, Executive Chef - Grand Resort Bad Ragaz - Mai 2024 - Copyright Olivia Pulver

«Der Deal ist, dass ich mich beruflich ausleben darf»: Nadine Wächter Moreno, Executive Chef im Grand Resort Bad Ragaz.

Der Mann bleibt zu Hause. Genau so läuft es bei Nadine Wächter-Moreno. Die neue Executive Chef im Grand Resort Bad Ragaz hat zusammen mit ihrem Mann Jonathan eine zwölfjährige Tochter. Während ihr Mann zu Hause bleibt und mittags da ist, wenn Lucia von der Schule nach Hause kommt, führt die gebürtige Luzernerin rund 70 Leute in den Küchen des Grand Resorts. Davor war die Familie an verschiedenen Orten in Asien und Südamerika zu Hause. Die Rückkehr in die Schweiz sei für die Familie eine «Riesenumstellung» gewesen, sagt die erfahrene Führungskraft. «Mir war es wichtig, dass jemand für unsere Tochter da ist. Wir haben den Deal gemacht, dass ich mich beruflich ausleben darf», erklärt Nadine Wächter-Moreno ihr Lebens- und Arbeitsmodell. Nach der Geburt ihres Kindes sei sie zwar ein Jahr zu Hause geblieben – «ich wollte Mami sein» –, aber dann habe es sie wieder in die Hotelküche gezogen.

«Ziemlich naiv.» Geteilte Freude, geteiltes Leid, geteilte Arbeit ist hingegen der Weg von Silvia Manser und ihrem Mann Thomas, die zusammen das 17-Punkte-Restaurant «Truube» in Gais führen und drei Kinder im Alter von heute 23, 21 und 16 Jahren haben. «Wir sind ziemlich naiv an die Sache herangegangen», sagt Silvia Manser im Rückblick über ihre Familienplanung. Während sie das Restaurant übernommen hatte, war ihr Mann Thomas noch auf dem familieneigenen Bauernhof engagiert. Im Restaurant mit seiner damals gutbürgerlichen Ausrichtung wäre zwar auch ein herumtobendes Kind nicht aufgefallen. «Aber ich wollte keine Beizen-Goofen, die immer herumspringen und denen die Gäste noch bei den Hausaufgaben helfen.» Stattdessen seien ihre Eltern eingesprungen: «Meine Mutter hatte gerade zu Arbeiten aufgehört, es waren ihre ersten Enkel, und sie hat gerne auch mal die Kinder ins Bett gebracht oder eine Wäsche für mich angesetzt», sagt Silvia Manser.

Jeunes Restaurateurs, in Urnäsch, Silvia und Thomas Manser Jeunes Restaurateurs, Silvia Manser, Urnäscher Kreuz, Urnaescher Kreuz © Nik Hunger

«Wir wollten keine Beizen-Goofen»: Silvia und Thomas Manser in der «Truube», Gais.

27.08.2021;Gais: GaultMillau Nesspresso Lounge - Silvia Manser, Restaurant Truube; . © Valeriano Di Domenico Nespresso Lounge, Restaurant Truube, Silvia Manser, Gais © Valeriano Di Domenico

Appenzeller Idyll: das Restaurant Truube in Gais AR.

Küche statt Spielplatz. Trotzdem sei es oft schwieriger gewesen, Familie und Restaurant unter einen Hut zu bringen, als man sich das als Paar zu Beginn vorgestellt hätte, gibt Silvia Manser unumwunden zu. «Wenn ich andere Mütter gesehen habe, die gemütlich den Vormittag den Kinderwagen ins Café geschoben haben, war mir klar: Das wird es für mich nicht geben», sagt sie. Auf der anderen Seite sei wohl auch nicht jener Typ Mutter, die Freude an stundenlangen Spielplatz-Besuchen hätte finden können, sagt JRE-Mitglied Silvia Manser. Immerhin, einen Familien-Tisch gibt es im Restaurant bis heute. Wer von den Manser-Kindern da ist, nimmt zusammen mit dem Restaurant-Team am Chef’s Table neben der Küche Platz für ein gemeinsames Essen vor dem Service.

Und die Väter? Es gibt einige prominente Frauen, die Kinder und Karriere in einer Chefposition in der Gastronomie vereinbaren. Aber auch Väter, denen Job und Familie gleichermassen wichtig sind, und die deshalb nach Wegen suchen, beides möglichst gut zu vereinbaren, sind als Küchenchefs gar nicht so selten. Agron Lleshi führt erfolgreich das 17-Punkte-Restaurant «Jägerhof» in St. Gallen und ist gleichzeitig ein ausgesprochener Familienmensch: Gleich vier Kinder im Alter von 14, 12, 9 und 7 Jahren hat er zusammen mit seiner Frau Irena. Seit alle Kinder schulpflichtig sind, arbeitet sie wieder Teilzeit in einer Arztpraxis, Unterstützung gibt es dazu von Agron Lleshis Eltern.

Agron Lleshi backt mit seiner Familie 2023

Die Familie kommt zuerst: Irena und Agron Lleshi mit ihren vier Kindern am Esstisch.

Entscheidend: Die Partnerwahl. Auf die Frage, was er einem jungen Koch raten würde, der als Küchenchef arbeite und eine Familie gründen wolle, sagt Agron Lleshi ohne zu zögern: «In der Partnerschaft muss es stimmen, sonst geht es nicht.» Aber der erst 39-jährige Koch beharrt auch auf Prinzipien, die für ihn unumstösslich sind. «Ich bin katholisch und an Feiertagen bleibt das Restaurant geschlossen, diese Zeit verbringe ich mit meiner Familie, die kommt immer an erster Stelle.» Das Haus verlasse er eigentlich nur, um zur Arbeit zu gehen. «Ich gehe abends nicht noch mit Kollegen aus oder so.» Familie wie auch Gastronomie sieht Agron Lleshi grundsätzlich als Teamwork. Und es helfe natürlich, wenn sich durch die viele Arbeit auch Erfolg einstelle: «Dass der ‹Jägerhof› so gut läuft, macht mich selbst megaglücklich, das ist toll für meine Mitarbeiter, und auch meine Frau ist stolz auf mich», so Lleshi.

Eine Frage des Glücks. Für Heiko Nieder, einen der besten Köche der Schweiz, geht es allerdings nicht in erster Linie um den Erfolg, sondern um das Glück im Job. Der 52-Jährige ist als Culinary Director für das weitreichende kulinarische Angebot des Swiss Deluxe Hotel The Dolder Grand in Zürich verantwortlich und führt das mit 19 GaultMillau-Punkten und zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete The Restaurant. Nieder und seine Frau Daniela haben zwei Töchter im Alter von 11 und 14 Jahren. Er ist überzeugt, dass man als Vater, der viel arbeitet, keine Probleme aus der Küche mit nach Hause nehmen dürfe. «Wenn ich aber bei der Arbeit glücklich bin, kann meine Familie akzeptieren, dass ich viel zu tun habe», sagt Nieder.

Heiko Nieder mit Töchter Amelie und Lisa im Lau Pa Sat Hawker Center - Sie essen Roasted Chicken, Laksa und Hainanese Chicken Rice - Februar 2024 - Copyright Olivia Pulver

«Ich liebe meine Kinder»: Heiko Nieder mit den Töchtern Amelie und Lisa.

Heiko & Daniela Nieder, 2022

«Ehrlichkeit und Treue sind wichtig»: Daniela und Heiko Nieder.

Nieders Prinzipien. Der erfahrene Küchenchef hält sich an einige Grundsätze, mit denen viel Arbeit und gleichzeitig ein zufriedenes Familienleben möglich sei: «Ehrlichkeit und Treue sind wichtig, und zu Hause habe ich keine Launen», sagt er über seine Prinzipien. Seine Frau Daniela habe die klassische Mutterrolle zu Beginn gerne angenommen, «da waren wir uns einig». Heute arbeitet sie wieder zu 60 Prozent als Projektleiterin. Ein paar fest verankerte Abmachungen halten dabei alles zusammen. So führt das Paar einen gemeinsamen Kalender. Stehen bei Heiko Nieder Reisen oder ausserordentliche Projekte an, werden die erst gemeinsam besprochen. Und vor allem halte er sich an die wichtigste Übereinkunft überhaut, «dass ich die Familie nicht vernachlässige», so Nieder. Jeden Donnerstagnachmittag arbeitet er beispielsweise aus dem Home-Office: «Dann sind die Kinder zu Hause, ich kann mich um die Hausaufgaben kümmern, und sie erleben mich im Alltag und nicht nur am Wochenende und in den Ferien.» Auch bei den Nieders zeigt sich, dass Küche, Kinder und Karriere mit dem richtigen individuellen Rezept durchaus zusammenpassen.

 

Fotos: Roy Matter, Adrian Ehrbar, David Biedert, Digitale Massarbeit, Olivia Pulver, Nik Hunger, Valeriano Di Domenico, Thomas Buchwalder