Text: Urs Heller I Fotos: François Wavre
Wer hat’s erfunden? König Louis XIV! Zunächst etwas Koch-Geschichte. Offenbar gab der französische König Louis XIV (1638 – 1715) den Auftrag zu diesem Gericht. Er hatte ein miserables Gebiss, wünschte ein Gericht, dass man unter diesen Umständen mühelos essen kann. Sein Leibkoch kochte einen Hasen stundenlang weich, der «Sonnenkönig» war zufrieden. Berühmte Chefs haben das königliche Gericht später rezeptiert: Antonin Carême etwa oder Auguste Escoffier, in seinem «Guide Culinaire 1903». Grosses Bild oben: Der «Zampano»: Philippe Chevrier dirigiert seine Brigade.
12 Stunden marinieren, 12 Stunden kochen. «Lièvre à la royale» in der kompletten Variante ist heute kaum mehr zu kriegen. Weil ohne sehr viel Know-how nichts gelingt. Und weil der Arbeitsaufwand enorm ist. Philippe Chevrier von der Domaine de Châteauvieux in Satigny GE lässt seine Wildhasen im Fell aus Schottland einfliegen, hängt sie noch zehn Tage ab. Dann wird mariniert: 12 Stunden lang, im Rotwein, mit vier Gewürzen, Zwiebeln, Rüebli, Sellerie. Dann köchelt der Hase in der Marinade, ebenfalls zwölf Stunden lang («cuit à étouffée»), bei tiefen Temperaturen (85 Grad). Chevrier: «Natürlich ist der Aufwand riesig. Aber wir haben alle Freude am Kochen und an unserer Arbeit. Ich gebe das Rezept auch gerne an unsere jungen Köche weiter. Das haben sie in ihrer Ausbildung nicht mitgekriegt.» Chevrier schon: «Mein Lehrmeister wurde gleichzeitig mit Paul Bocuse «Meilleur Ouvrier de France» (MOV). Er zeigte uns, wie man «Lièvre à la Royale» zubereitet.»
Der «Hauptgang» kommt zuerst! Start ins königliche Menü. Eine Wagenburg wird um den Tisch aufgebaut. Auf einer riesigen Silberplatte, klassisch dekoriert, der ganze Hase. Esteban Valle Trujillo, GaultMillaus «Gastgeber des Jahres 2024» rührt strahlend in der Pfanne, serviert dann dreierlei: Tranchen vom Rücken. Ein «Effilochée» von den Schenkeln. Die Farce. «Tous les abats» sind drin, also auch Leber, Herz, Hirn und Lunge. Die Rotweinsauce dazu ist intensiv, natürlich ist auch Hasenblut drin. Der Rest des Hasen geht zwecks Weiterverarbeitung zurück in die Küche.
Vier weitere Hasen-Gerichte. Die nächsten Kapitel? Zunächst eine «Tourte de Lièvre», mit Kohl und vor allem viel Foie gras und einem Jus aus schwarzen Beeren. Dann ein «Cromesqui» des Hasen, mit einem Botzi-Birnen-Pürée und schwarzem Knoblauch. Schliesslich «Lièvre luxuriös»: Ein pochiertes Hühnerei, gezupftes Hasenfleisch und eine riesige Nocke Oscietra-Kaviar drüber. Auch royal. Begeisternd die letzte Runde: Ravioli und ein fantastisch-intensiver Wildhasen-Consommé. Die Ravioli mutierten zur «Landebahn» für die ersten weissen Alba-Trüffel der Saison.
Gesamtkunstwerk Châteauvieux. Philippe Chevrier bereitet pro Saison auf Vorbestellung rund 15 Wildhasen zu. «Viele meiner Gäste kommen dafür jedes Jahr zu uns, und auch wir Köche freuen uns immer auf diese Tage», sagt der Chef. Beeindruckend das Gesamtkunstwerk Châteauvieux: Der freundlich-kompetente Service. Der imposante Käsewagen. Die «Flambées» (diesmal Feigen mit einer Mischung aus sechs verschiedenen Pfeffern). Die Weinkarte. Den «Lièvre à la royale» begleiteten die besten Flaschen der besten Genfer Winzer: Jean-Michel Novelle, Jean-Pierre Pellegrin, Nicolas Bonnet, Christophe Pillon. Einer von Chevriers Nachbarn wagt sich gar an einen Tempranillo: «Don Juan 2018», von Christian Guyot. Fazit nach einem Lunch unter Freunden: Eine kulinarische Sternstunde.