Text: Pascal Grob Fotos: Pascal Grob, Nadège Nguyen

Ihr Restaurant C.A.M. eröffnete letzten November und avancierte schnell zu einer der heissesten Adressen in Paris. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Es ist mein erstes Restaurant, also versuchte ich von Anfang an keinen anderen Koch zu imitieren. Nach Stationen in renommierten Restaurants in Sydney, Hong Kong und Paris wäre das eine sehr verführerische Option gewesen. Ich benutze erlernte Techniken und Inspirationen – aber auf meine eigene Art. Dabei verwende ich Elemente der asiatischen Küche auf romantische Weise, was viel Arbeit erfordert. Leute denken, asiatische Küche sei simpel, billig und schmecke immer gleich – vielleicht scharf. Warum soll sie nicht so romantisch sein wie französische Küche in einem modernen Bistro? Auf meinen Tellern geschieht viel über Texturen und Säure, aromatisiere gerne mit natürlichen Geschmäcken wie Paprika- oder Gurkenwasser. Ich bin glücklich, wenn es meine Gäste auch sind.

 

Kult-Köche aus anderen Pariser Restaurants gehören zu Ihren Stammgästen – selbst Alain Ducasse.
Ja, ich habe sehr gute Freunde in Paris wie James Henry (ehemals «Bones», Paris) oder Taku Sekine («Dersou», Paris), die mich bei der Eröffnung sehr unterstützten. Wir veranstalteten ein «Soft Opening», das sich schnell in ein Treffen für Köche verwandelte. Danach lief alles über Mundpropaganda und Artikeln in Modemagazinen wie GQ oder Vogue. Einen Monat nach Eröffnung war Fashion Week in Paris  und mein Restaurant voll mit Leuten aus der Modeindustrie. Einen weiteren Popularitätsschub bemerkte ich, als Bo Bech («Geist», Kopenhagen) ein Foto von mir auf seinem Instagram veröffentlichte.

Gerichte von Esu Lee von CAM im Restaurant Kin in Zürich

«Fish & Chips» à la Lee: Zander, Daikon-Chips und Szechuan-Aioli. Dazu Pfannkuchen mit Chili-Bohnen-Paste.

Esu Lee vom Restaurant Cam in Paris im Restaurant Kin in Zürich

Während zwei Wochen verzauberte Esu Lee auch Zürich im Restaurant Kin.

Bereits wenige Monate nach Eröffnung Ihres Restaurants, nahmen Sie sich eine Auszeit und gingen zu Jeong Kwan – die kochende Mönchin, bekannt aus der Netflix-Serie «Chef’s Table». Was bewegte Sie zu diesem Schritt?
Der Hype um «C.A.M.» kam so schnell. Nach zwei Wochen wurden wir bereits völlig überrannt. Es war riskant, eine Auszeit zu nehmen. Aber ich merkte bereits nach wenigen Monate, wie ich die Freude an meiner Küche langsam zu verlieren begann. Also entschloss ich mich zuerst dazu «C.A.M.» höchstens zwei Jahre lang zu führen. Der Aufenthalt bei Kwan im Tempel veränderte jedoch alles: Sie öffnete mir die Augen. Ich lernte viel über mich selbst, überdachte meinen Lebensstil und konnte mich von Ängsten und Sorgen befreien. Das war dringend nötig: Kochen und ein Restaurant zu führen sind ein Marathon, kein 100-Meter-Lauf.

 

Klingt nach einem Neustart. Irgendwelche Pläne, sobald Sie zurück in Paris wieder hinter dem Herd stehen?
Nur eines ist sicher: Ich möchte stets einen offenen Geist bewahren. Beim Entwickeln neuer Rezepte werde ich sicherlich einige Fehler begehen. Aber nur so lerne ich dazu – das gehört dazu, das zeichnet «C.A.M.» aus. Ausserdem möchte ich meinen Gäste nie diktieren, was sie zu denken haben. Sie sollen sich eine eigene Meinung bilden können. Essen ist schlussendlich einfach Essen.

 

Koreanische Küche ist in Europa eher schwach vertreten. Woran liegt das?
Florierende Länder wie Frankreich oder Spanien konnten in Frieden ihre Küche über Jahrzehnte entwickeln und verbreiten. Korea hingegen hatte die letzten 100 Jahre mit sehr harschen Bedingungen zu kämpfen: Zuerst waren wir unter japanischer Herrschaft, danach folgte der Koreakrieg. Und dann kam auch noch die Finanzkrise, während der viele Firmen pleite gingen. Unserer Wirtschaft ging es so miserabel, dass ein Abendessen auswärts für viele Koreaner keine Option darstellte. Wenn niemand hungern musste, war das bereits ein Erfolg.

Seit dem scheint viel passiert zu sein.
In der Tat. Heute ist Südkorea eines der trendigsten Länder überhaupt und möchte überstürzt zu anderen Kulturen aufschliessen – auch in der Gastronomie. Zu viele vergessen dann ihre eigene Herkunft und passen ihre Küche dem Geschmack des Westens an. Ich finde es wichtig, die eigene Identität nie zu vergessen. Dazu braucht es talentierte Köche. Wie Jung Sik Yim, der mit seinen Restaurants nicht nur in Seoul einen Wechsel herbeiführt, sondern auch auf internationaler Ebene mit einem Zwei-Sterne-Ableger in New York. Auf ihn folgten dann junge Köche wie Mingoo Kang mit seinem Restaurant Mingles.

 

Können Nicht-Koreaner überhaupt koreanisch kochen?
Wer mit koreanischer Küche aufwächst, entwickelt ein Grundverständnis dafür, das schwierig zu erlernen ist. Aber ich denke grundsätzlich schon. «Können» ist ein sehr strenges Wort. Ich würde nie behaupten, französisch kochen zu «können». Sondern lediglich ein gewisses Verständnis dafür zu besitzen. Es ist ein bisschen wie Fussball spielen. Wer die Regeln und das Spiel einmal begreift und sich ernsthaft damit auseinandersetzt, kann auch etwas erreichen. Und hey – wir leben im Jahr 2018: Google und Youtube sind auf unserem Smartphone. Schlussendlich zählt, wie interessiert jemand ist und wie intensiv sich die Person damit auseinandersetzt. Vielleicht schmeckt es dann halt nicht ganz so, wie jemand aus Korea das kochen würde.

Esu Lee vor seinem Restaurant CAM in Paris

Das Restaurant C.A.M. von Esu Lee befindet sich in Paris in der Nähe des Centre Pompidou.

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C.A.M.
55 Rue au Maire
75003 Paris
Frankreich
https://www.instagram.com/importexportcam/

 

Reservationen nur telefonisch unter +33 6 26 41 10 66