Markus Stöckle, ist ein fluoreszierendes Pilz-Gelée noch eine super Idee in einem Menü oder schon eher ein zweifelhafter Gag?
Ein Gag sollte es nie sein, eine gewisse Sinnhaftigkeit ist mir schon wichtig. Wenn ich selbst essen gehe, geniesse ich es aber, wenn Gerichte einen etwas ratlos zurücklassen, wie es im «Mugaritz» passieren kann.
Und wie ist es in Ihrem Restaurant Rosi mit Helium, das die Gäste aus Ballonen ziehen, um dann wie Donald Duck zu sprechen. Oder mit in Stickstoff gefrorenen «Wolken», bei denen einem weisser Rauch zur Nase herausströmt?
Diese kleinen Zwischengänge bezeichnet man als «mentale Palate Cleanser». Sie haben in der Gastrophysik dieselbe Aufgabe wie ein Sorbet, welches den Gaumen erfrischt, finden aber nicht auf einer geschmacklichen, sondern auf einer emotionalen Ebene statt. Damit schafft man eine multisensorische Erfahrung, die das Erlebnis im Restaurant aufwertet.
Inwiefern?
Diese Eisbrecher, wie ich sie nenne, baue ich ein, um auch den Service mit dem Gast zu verbinden, und um die Stimmung zu steuern. Manchmal ist ein solcher Ausschweifer oder «Schmarrn» notwendig oder sogar wichtig, um einen sturen Ablauf zu brechen.
Sie meinen «stur» im Sinne traditioneller Fine-Dining-Ritualen?
Mir geht es darum, etwas zu finden, das noch nicht auf Instagram oder sonst wo im Internet zu sehen war. Mit der Kreativität ist es so: Wenn man einer Idee die Türe aufmacht, geht man einen Gang hinunter mit vielen anderen verschlossenen Türen. Manchmal muss man eine dieser Türen aufmachen, um etwas Besonderes zu finden.
Reicht es manchmal nicht auch, wenn ein Gericht einfach nur fein ist?
Für mich ist es schon wichtig, dass es immer sehr gut schmeckt. Aber es muss nicht alles nachvollziehbar sein, sondern darf auch einen Moment zum Nachdenken bieten. Was ich selbst als Gast im Restaurant nicht mag, ist, wenn alles gleich schmeckt. Wenn überall der gleiche Essig oder Shiro Dashi oder Miso dran ist.
Mit vielen Ihrer Gerichte wandeln Sie auf einem schmalen Grat. Haben Sie jemanden, der Ihnen sagt, wenn Sie die Balance verlieren?
Kritik und Selbstkritik sind sogar sehr wichtig. Viele Ideen haben wir nicht umgesetzt, weil sie in etwas Sinnloses abgerutscht sind. Aber ein fabelhaft abgeschmeckter Teller, der handwerklich perfekt zubereitet ist, kann mit einem Effekt eben noch verstärkt werden.
Welche Idee war zu wild, um Sie umzusetzen?
Das, was am Ende der Kartoffelhybrid wurde, war ursprünglich als massives Pommes gedacht, daran sind wir fast verzweifelt. Aber man muss immer den Raum lassen, um die ursprüngliche Idee neu zu denken. Am Ende wurde daraus ein mit Sauce gefüllter Knödel mit Pommes Allumettes obendrauf. Und wir haben im Entstehungsprozess verstanden, wie Osmose funktioniert – und wie man den perfekten Knödel zubereitet.
Wie wichtig ist der Forscheraspekt in Ihrer Küche?
Wir arbeiten als Praxispartner mit der ETH zusammen, wo wir den Lebensmitteltechnikern dabei helfen, ein Projekt umzusetzen. Eine Aufgabe war zum Beispiel, eine Suppe in verschiedenen Aggregatszuständen herzustellen. Am Schluss wurde eine Ahoi-Brause umgesetzt, die man in ein Reagenzglas schüttet. Dann entsteht eine Kaltschale, welche die Farbe von hellrosa zu blau ändert.
Und woran forschen Sie zurzeit?
Wir arbeiten gerade an einem Fisch in der Salzkruste, wobei unsere Möglichkeiten in Bezug auf die Infrastruktur limitiert sind. Wir können zum Beispiel nicht den Service vor den Gästen den Fisch aus dem Salz ausbrechen und filetieren lassen. Da kam mir der legendäre französische Koch Marie-Antoine Carême in den Sinn, der im 18. Jahrhundert den «Service à la Russe» mit opulentem Blumenschmuck auf den Tischen erfunden hat. Wir arbeiten jetzt an einer Lösung, bei der wir den Loup de Mer zwar in der Salzkruste garen, ihn dann aber unter einer Cloche mit vielen Bio-Blumen aus dem Geschäft neben unserem Restaurant servieren.
Verstehen Sie, wenn manche Leute sagen, «der spinnt»?
Ja, das ist ok. Es ist sogar besser, wenn die Gäste am Anfang denken, «der spinnt» und dann merken, dass alles viel normaler ist, als sie gedacht haben.
Sie gelten unter vielen Kollegen als «verrücktester Koch im Land». Ist das ein Titel, der Ihnen passt?
Ich sehe als etwas Positives, auch wenn ich selbst nicht viel davon mitkriege, was über mich gesagt wird. Aber wenn sich Leute Gedanken über mich machen und mich als Exoten sehen, empfinde ich es als Kompliment. Wenn es heisst, das «Rosi» sei «unvergleichlich», habe ich mein Ziel erreicht. Mir ist nur der Moment wichtig, die Vergangenheit macht mich depressiv, die Zukunft macht mir Angst. Man sollte als Gastronom dem Moment seinen Lauf lassen. Es geht nicht um das eigene Ego oder um eine Zahl auf dem Konto, sondern darum, Erkenntnisse zu gewinnen.
Was treibt Sie an?
Es dreht sich immer um zwei Dinge, um den Gast und das Team. Wir wollen etwas Spannendes schaffen und mit interessanten Leuten wie Künstlern oder Schmuckdesignern zusammenarbeiten. Ich habe etwas Rastloses, und Dinge zu diskutieren, zu hinterfragen – letztlich einfache Dinge – machen meinen Alltag schön. Und: Wenn meine Eltern ins Restaurant kommen, möchte ich, dass sie Freude haben.
Wie man eine gute Sauce kocht, kann gelernt werden. Gibt es auch eine Schule für gute Ideen?
Kreativität kann man auch lernen, wenn man eine Grundbegeisterung mitbringt. Mir hat das inspirierende Arbeitsumfeld im «The Fat Duck» geholfen. Aber Kreativität in der Küche braucht Zeit und Raum. Als ich 2018 im «Rosi» angefangen habe, hätten wir nicht so arbeiten können. Bei der Kreativität geht es um etwas, was man nicht weiss. Darauf muss man sich einlassen wollen und können. Wir Menschen tun uns schwer mit der Ungewissheit. Man muss darauf vertrauen, dass der Prozess am Ende funktioniert. Aber zu verlieren haben wir in unserer Wohlstandsgesellschaft nun wirklich nicht viel.
Wie lange ist der Weg vom Gedanken zum Gericht?
Manchmal funktioniert es an einem Nachmittag, manchmal braucht es eine Woche. Wir machen immer Dinge, die wir noch nie gemacht haben. Bei einem saisonalen Gericht haben wir ein paar Zutaten und kochen damit etwas. Das fluoreszierende Gelée hingegen hatte ich schon zwölf Jahre lang im Kopf. Als ich Raum und Zeit hatte, mich damit zu befassen, hat es nochmals sechs Monate gedauert.
Machen Sie es sich mit dem Weg, den Sie eingeschlagen haben, nicht besonders schwer, weil von Ihnen immer ein kreatives Feuerwerk erwartet wird?
Es macht mein Leben sicher schwieriger, aber auch schön. Ich habe mir eine Aufgabe gestellt, die meinem Naturell entspricht und nun habe ich den Raum, um sie zu verwirklichen. Das ist das Schönste, was einem passieren kann. So etwas wie ein Cordon Bleu habe ich ja noch nicht erfunden, es gibt also noch Ziele. Das mag absurd klingen, aber wir sind mit dem «Rosi» schrittweise gewachsen, und so setze ich mir Ziele aller Art. Ich möchte zum Beispiel irgendwann nur noch mit Kupfertöpfen kochen.
Der GaultMillau honoriert Ihre aussergewöhnliche Küche mit 17 Punkten, beim «Guide Michelin» scheint man weniger Verständnis für Ihre Arbeit zu haben. Ärgert Sie das?
Ich verstehe es nicht, vor allem wenn es heisst, dass nur das Essen bewertet werden. Da scheint der GaultMillau ein ganzheitlicheres Verständnis zu haben. Wir kochen Saucen wie im Drei-Sterne-Restaurant «Fat Duck». Und mein ehemaliger Kollege Jonny Lake vom «Trivet» in London hat jetzt zwei Sterne und da sind trotzdem Pommes auf der Karte. Aber ich mache mir ehrlich gesagt nicht so viele Gedanken darüber. Ich bleibe mir selbst treu, das sehe ich als Auftrag meiner Gäste. Diese sichere Sterneküche möchte ich nicht machen. Individualismus ist ein grosses Thema heute, aber keiner betreibt ihn. Mir ist wichtig, dass die Leute wissen, «das ist der Markus!». Ein Abend im «Rosi» ist wie nach einem Drehbuch, es geht um Szenen. Ich möchte mit einem Gast lieber ein Gespräch im Woody-Allen-Stil führen, als langweiligen Small Talk zu machen.
Müssen Sie sich Ihren Gästen oft erklären?
Wenn in den ersten zwei Jahre ein Gast aus Bayern im «Rosi» sass, wusste ich immer, «jetzt wird es kompliziert». Mittlerweile hat sich das beruhigt. Ich bin mega happy, dass wir hier so viele begeisterte Gäste haben.
>> Markus Stöckle (35) wuchs auf einem Bio-Milchbauernhof im Allgäu auf. Nach seiner Kochlehre arbeitete er unter anderem im «Oud Sluis» von Sergio Herman und «The Fat Duck» von Heston Blumenthal in Bray UK. Hier lernte er seine heutige Geschäfts- und Lebenspartnerin Elif Oskan kennen. 2014 gründeten sie in Zürich das Cateringunternehmen und Dessertkonzept Miss Marshall. Nach Pop-up Konzepten wie «Wild Bar» und «Fuego Y Hielo» ist das Duo heute für die Restaurants Rosi, Gül und Gül Express in Zürich verantwortlich.
Fotos: David Biedert, Pascal Grob, Joan Minder, Christopher Alexander Kuhn, Thomas Buchwalder, Olivia Pulver, HO