Text: Stephan Thomas Fotos: Marcus Gyger

Vulkan. Wir denken, wir betreten eine Backstube. Wir täuschen uns: Es ist ein Museum. Pietro Cappelli, dessen Vorfahren von Lipari stammen, zeigt uns einen Backsteinboden, den er dort aus einer Villa des 15. Jahrhunderts gerettet hat. Ebenfalls von den Vulkaninseln stammt eine Wandkeramik, die einmal eine Kirche geziert hat. Cappelli schenkt uns ein Stück Bimsstein, den ein liparischer Vulkan ausgeworfen hat. Ein Vulkan ist auch der Patron selber. Überschäumend vor Temperament, trotz seiner beiden künstlichen Knie. Die waren nötig geworden, weil er sich beim jahrzentelangen Malochen in der Backstube nicht geschont hat. Dennoch: Wir sind nicht in Italien oder im Tessin, sondern in St.Gallen. Das hört man nicht zuletzt an Cappellis breitem lokalen Dialekt.

Capelli

Signor Cappelli und sein Panettone-Teig: Die Zutaten sind bekannt, ein paar Handgriffe kennt nur die Familie!

Klassiker. Nein, eine Entdeckung ist er längst nicht mehr. Der Panettone di Sangallo von Pietro Cappelli ist etwas Besseres: Er ist ein Klassiker, der sich über Jahrzehnte bewährt hat. Das Rezept: «Mehl, Butter, Eigelb, Wasser. Das lässt man mit Sauerteig treiben. Schliesslich kommen kandierte Früchte und Sultaninen dazu. Das ist der Panettone classico.» Ganz so einfach ist die Sache dann aber doch nicht. Der eine oder andere Handgriff kommt dazu, wo nur der enge Familienkreis eingeweiht ist. Ein gutes Dutzend Varietäten sind zu haben. Fruchtig-Leichtes wie «al mandarino» oder «al limone». Winterlich-Weihnächtliches wie Marroni, Zimt oder Apfel-Zimt. Zeitloses wie Schokolade, Caramel oder Kaffee. Besonders stolz ist Cappelli auf die Variante mit Pistazien und weissem Schokolade-Überzug.  Die gibt es ausser bei ihm nirgendwo.

 

Weinbegleitung. Was trinkt man dazu? Die Antwort kommt wie aus der Kanone geschossen: «Brachetto.» Den Perlwein aus dem Piemont findet Cappelli passender als seinen bekannteren Zwilling Moscato. Natürlich gehen auch Kaffee oder Tee. Hochsaison ist selbstredend die Zeit vor Weihnachten. Da verlassen nicht weniger als 30 Tonnen Panettone die Bäckerei. Die grössten Prachtsexemplare wiegen satte fünf Kilo. «Sie haben eine ganz besondere Konsistenz. Da geht das Messer durch, als wäre es Butter.» Wer es barbarisch findet, ausserhalb der Weihnachtszeit Panettone zu essen, kann sich in der Osterzeit an die Colomba halten. Für die Panettone-Variante in Form einer Taube war Cappelli lange vor dem Panettone-Boom berühmt. Gemeinsam ist all den Köstlichkeiten eines: «Wir arbeiten konsequent à la minute. Wir werfen die Produktion dann an, wenn die Nachfrage anrollt.»

Geschichten aus der Backstube. «Ein gutes Produkt ist wichtig, wenn man Erfolg haben will. Genau so wichtig ist aber, dass man Geschichten zu erzählen weiss.» Etwa Cappellis Legende, dass der Panettone in Wirklichkeit im Kloster St.Gallen erfunden und von Pilgern nach Italien gebracht wurde. Se non è vero, è ben trovato ... Auch sonst hat Cappelli vieles rund um seinen Panettone erlebt. Etwa die Dame, die eigens von Basel angereist war, um einen Panettone zu ergattern. Die dann vor Cappelli in Tränen ausbrach, weil alles ausverkauft war. Oder die beiden betagten Damen, die sich bei anderer Gelegenheit auf den letzten Panettone stürzten. «Die eine war schneller und krallte sich das Gebäck. Da schlug ihr die andere mit dem Schirm auf die Hände: 'Das ist mein Panettone!'»

 

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