Text: David Schnapp | Fotos: Joan Minder
Grünes Paradies. So ziemlich das Letzte, was man der Köchin Bernadette Lisibach vorwerfen könnte, wäre, dass sie eine Blenderin sei. Im Gegenteil, die 49-jährige Luzernerin passt mit ihrer aufrichtigen Bescheidenheit perfekt in das grüne Paradies aus sanften Hügeln mit weidenden Kühen oder Schafen zwischen St. Gallen und dem Bodensee. Hier führt Lisibach seit 2011 die «Neue Blumenau» in Lömmenschwil SG (17 Punkte, ein Michelin-Stern), und sie hat die Ehrlichkeit gewissermassen zum kulinarischen Prinzip erhoben.
Karriere mit Wechseln. «Ein Kotelett ist ein Kotelett, und ein Rüebli soll als solches erkennbar sein», sagt sie aus Überzeugung auf die Frage, was ihre Küche denn ausmache. Kein Gericht, das sie uns an diesem Mittag im hübschen Garten des Restaurants anrichtet und serviert, soll mehr sein, als es ist. Und auch Bernadette Lisibach ist sich und ihren Wurzeln im Laufe einer langen Karriere mit immer wieder grossen geografischen Wechseln treu geblieben.
Weg von zu Hause. In die Ostschweiz ist sie nach vielen Jahren im Engadin gekommen, wo sie erst prägende Jahre beim heutigen TV-Restauranttester Daniel Bumann in der «Chesa Pirani» (18 Punkte) verbracht hatte, bevor sie im St. Moritzer Fünfsternehotel Kulm selbst Küchenchefin wurde und dann die «Neue Blumenau» übernehmen konnte. Sie habe immer gewusst, dass sie von zu Hause weggehen müsse, um als selbstständige Pächterin eines Betriebs Erfolg zu haben, sagt sie. «Ich bin zu grosszügig, das hätte dort, wo mich alle kennen, nicht funktioniert.»
Die Problemlöserin. Aufgewachsen ist Bernadette Lisibach auf einem Bauernhof mit Milchwirtschaft in Hellbühl LU – zusammen mit fünf Geschwistern. «Wir hatten es schön zu Hause, aber die Eltern hatten nicht die Zeit, um uns die Aufmerksamkeit zu schenken, die junge Leute heute wohl eher gewohnt sind», sagt sie über ihre Kindheit. Eine Folge davon sei gewesen, dass sie früh gelernt habe, Probleme selbst in die Hand zu nehmen und zu lösen: «Wir wären kaum je auf die Idee gekommen, die Eltern um Hilfe zu bitten.»
Aufgehoben bei den Klosterschwestern. Dass Bernadette Lisibach dann Köchin geworden ist, geht auch auf diesen früh gelernten bodenständigen Pragmatismus zurück. Die älteren Brüder übernahmen gemäss der traditionellen Ordnung den elterlichen Betrieb, die jüngeren Schwestern mussten sich umschauen. «Die Lehre war einfach praktisch», sagt sie. Bäckerin wäre zwar auch noch eine Möglichkeit gewesen, aber die frühen Stunden und die Wärme in der Backstube haben sie abgeschreckt. Die Ausbildung hat Lisibach dann in der Klinik des Klosters St. Anna in Luzern gemacht. «Wenn ich schon von zu Hause wegmusste, vermittelten die Klosterschwestern einem doch noch ein Gefühl des Aufgehobenseins», sagt sie rückblickend.
Loyalität als Führungsprinzip. Heute, als Chefin mit rund zehn Angestellten in einem ländlichen Restaurant mit gehobener Küche, sorgt das Mitglied der Grandes Tables Suisses selbst für das verbindende Gefühl des Aufgehobenseins. «Wir essen jeden Tag zweimal zusammen, das ist mir wichtig», sagt sie. Ihr Führungsstil sei von Loyalität geprägt. Sie mache zwar Vorgaben, sei aber trotzdem offen für Ideen und gehe auf ihre Leute ein, beschreibt Lisibach ihre Prinzipien. In einer Zeit, in der es immer schwieriger wird, junge Leute für eine Tätigkeit in der Gastronomie zu gewinnen, könnte das ein gutes Rezept sein für eine erfolgreiche Personalsuche.
Rosen aus Hefehofen. Ihr Gespür für das Authentische und Bodenständige nutzt die Köchin auch für die Auswahl der Lieferanten und Produzenten. Da ist beispielsweise die energische Rosenfrau Yudelka Vollenweider, die zusammen mit ihrem Mann seit 17 Jahren unter einem Witterungsschutz auf zwei grossen Feldern in der Gemeinde Hefenhofen TG die Königin der Blumen in allen möglichen Farben zieht: 66 Rosensorten werden hier sorgfältig kultiviert. «Ein Gast brachte mir einmal eine dieser wunderschönen Rosen mit. Nach einigen Wochen fand ich dann endlich Zeit und fuhr zu Yudelka, um mir das anzuschauen. Und seither hole ich die Blumen fürs Restaurant bei Yudelka», erzählt Bernadette Lisibach.
Brot aus Roggwil. Bei Walo Koster wiederum, seit 26 Jahren «de Roggwiler Beck», bezieht die «Blumenau»-Chefin salzig-fluffige Laugen- oder Urdinkelbrötchen. Der 52-jährige Bäcker geht seinem Handwerk im thurgauischen Roggwil mit einer vergleichbaren Grundehrlichkeit nach wie Bernadette Lisibach bei ihrer unverfälschten Kochkunst. «Meine Teige erhalten grundsätzlich 24 Stunden Ruhezeit und werden ohne Zusatzstoffe gemacht. Da kommt nur hinein, was auch reingehört», umschreibt Koster seine Bäckerprinzipien.
Käse aus Zihlschlacht. Das harmonische Bild dieser auf Handwerk, Tradition und gesundem Menschenverstand gebauten Ostschweizer Solidität vervollständigt sich beim Besuch der Käserei Michel im Thurgauer Ort Zihlschlacht, wo Christian Michel gerade die Edelstahlformen für seine «Mutschli» mit kaltem Wasser abwäscht. Wie schon sein Vater, Grossvater und Urgrossvater stellt der 44-Jährige hier Käse her oder schlägt in einem Fass aus den 1950er-Jahren Rahm zu Butter auf. Bernadette Lisibach kauft hier die Sorten Emmentaler AOP, Mondstein oder Camembert ein, um sie auf ihrem Käsewagen zu präsentieren oder am besuchten Sonntagsbrunch zu servieren.
«Das schmeckt einfach besser.» Und auch hier, in der kleinen, mit hellen Kacheln ausgelegten Milchwerkstatt, treffen gerade zwei ehrliche Handwerker mit vergleichbaren Vorstellungen für qualitativ hochwertiges Arbeiten aufeinander, deren Ziel es letztlich ist, etwas Gutes auf den Tisch zu bringen: «Ich muss nicht innovativ sein», sagt Käser Michel. Es genüge, traditionelle Rezepte zu befolgen und Butter etwa so herzustellen, wie man das halt schon immer gemacht habe. «Das schmeckt einfach besser», sagt er. Und diese Worte beschreiben nicht nur seine, sondern auch Bernadette Lisibachs Arbeit perfekt.