Fotos: Salvatore Vinci
3000 Flaschen. Apéros sind hier eher kurz! Das liegt weniger daran, dass im Weinkeller des Hotels Einstein in St. Gallen keine exzellenten Tropfen zu finden wären. Sondern vielmehr an den ziemlich kühlen 12 Grad Lufttemperatur hier unten. Es ist das Reich von Sommelier Loris Lenzo, 31-jährig, der hier rund 8000 Flaschen verwaltet. Nicht wenige davon sind Grossformate aus renommierten Regionen wie Bordeaux, Burgund und Champagne. Hinzu kommen viele ausgewählte Flaschen aus der Schweiz, «von Winzern, die ich den Gästen zeigen möchte». Beim Einkauf sei er relativ frei, so Lenzo, «der Keller muss einfach in Bewegung bleiben.» Am meisten am Herzen liegen ihm jeweils diejenigen Weine, die gerade trinkreif seien: «Es wäre schade, den richtigen Moment für den Genuss zu verpassen!»
Die Lösung? Gereifter Chasselas. Seit mittlerweile 2020 macht Loris Lenzo den Job als Sommelier im «Gourmet Einstein», ausgezeichnet mit 18 Punkten: «Gerade vor kurzem meinte ein Berufskollege, dass die Gerichte nicht ganz einfach mit Wein zu kombinieren sind – ich merke das aber kaum mehr.» Was sind denn herausfordernde Kombis? Anspruchsvoll sei neulich eine Erbsen-Gazpacho auf Tomatenbasis gewesen, die mit Creme aus Sbrinz, Johannisbeeren und Pistazien serviert wurde. Wie hat er die Aufgabe gelöst? Mit gereiftem Chasselas aus dem Jahr 2013, «ich entkorkte einen Dézalay Médinette von Bovard.» Mehr als vier Anläufe brauche er für seine Mariagen nie, «in aller Regel passt die zweite Flasche!»
La Tâche, Latour & Co. sind versichert. Wie organisiert sich Loris Lenzo, der bereits seit 2016 hier arbeitet, im Job? Er sei natürlich bei jedem Service im Restaurant präsent, auch an den drei Mittagen, die neu vom Einstein-Gourmet-Team bespielt werden. (Lesen Sie hier.) «Je ein Drittel meiner übrigen Arbeitszeit verwende ich für den Keller und das Lager, für Büroarbeiten, für Fortbildung und Degustationen», sagt er. Einmal im Jahr, auch das gehört ins Jobprofil, werden alle Flaschen abgestaubt. Die 6-Literflaschen inklusive, also die Methusalems von Latour 1982, La Tâche 1998, Mouton Rothschild 1995: «Die Flaschen sind zum Glück versichert, Glasbruch gab es bisher aber noch nie.»
Der Sommelier kommt ins Grübeln. So organisiert der Sommelier bis dahin wirkt – plötzlich wird er dann doch ganz zögerlich. Als man ihn nämlich nach den drei Flaschen fragt, die ihm ganz persönlich in diesem Keller am meisten bedeuten. Er überlegt eine lange Minute – und zieht zuerst einen Burgunder aus dem Weingestell: den Vosne-Romanée 1er Cru 2016 von der Domaine Jean Grivot. «Mit einem 2013er des gleichen Weinguts lernte ich, die Dimensionen der Sorte Pinot Noir neu und anders zu verstehen.» Die zweite Flasche? Erst zieht es Loris Lenzo zu den Abfüllungen aus dem Bordelais, er reibt sich werweissend das Kinn – und schnappt sich dann stattdessen doch eine Flasche Champagner: die «Cuvée No. 743» von Jacquesson. Während seiner Ausbildung zum Restaurantfachmann sei er in der französischen Traditionsregion gewesen, ein früherer Jahrgang dieses Weins habe seine Emotionen für Champagner geweckt. Und die dritte Flasche? Nach erneuter reiflicher Überlegung greift er nach einer Magnumflasche Haut-Brion 1929, «solche Grossformate waren damals in Bordeaux noch alles andere als üblich!» Die Flasche stehe für seine Faszination, «wie lange uns solche Weine etwas zu sagen haben.» Nur zu gern würde er diesen besonderen Tropfen aus seinen 3000 Positionen auf der Karte mal probieren.
Spontanes Entkorken erwünscht. A propos: Kommt es vor, dass sich Gäste, die im Weinkeller den Apéro einnehmen, spontan entscheiden, einen der Schätze zu bestellen und zu öffnen? Loris Lenzo bejaht. Und findet, dass dies durchaus auch so sein soll. Was hier unten lagere, seien Weine zum Trinken, keine Spekulationsobjekte. «Und während die Gäste noch beim Weisswein sind, können wir die Flasche dekantieren – trinkreif ist sie ja.»
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