Fotos: Salvatore Vinci
Taten statt Worte. Lukas Kiener ist kein Mann grosser Worte, aber durchaus einer mit erstaunlichen Taten. Der 35-Jährige hat es in der pittoresken Altstadt der eher durch Gemächlichkeit als durch Hektik auffallenden Stadt Burgdorf geschafft, eine gemütliche Beiz auf 17-Punkte-Niveau hochzukochen. Dabei steht der junge Vater von zwei kleinen Kindern, fast alleine in der Küche des Restaurants «Zur Gedult», verlassen kann er sich auf die Hilfe seines Abwaschers Sivakumar Rasadurai, der auch beim Anrichten hilft. Gefragt nach den Grundsätzen seiner Küche, antwortet der Küchenchef knapp aber präzise mit dem Satz: «Ich will, dass sich eine feine Linie der Harmonie durchs Essen zieht.»
Von 13 auf 17 Punkte. Mehr gibt es eigentlich gar nicht zu sagen, statt grosser Konzepte und ausschweifender Erzählungen setzt Lukas Kiener gewissermassen auf die Macht des Faktischen: Auf dem Teller erkennt der Gast, worum es geht. Als Kiener in der «Gedult» angefangen hat – der Name des Lokals ist abgeleitet vom althochdeutschen «Gidult» – war es noch eine Brasserie mit 13 GaultMillau-Punkten. Als sich 2018 der frühere Pächter neuen Tätigkeiten zuwandte, konnte Kiener schrittweise seine eigenen Vorstellungen vom Kochen umsetzen, und das Niveau mit Beharrlichkeit und – natürlich! – Geduld auf heute 17 Punkte sowie einen Michelin-Stern steigern.
Lehre im «Stadthaus». Aber eigentlich sei er da «reingerutscht», formuliert es der sympathische Berner mit dem Schnauz ganz bescheiden. «Ich war nie bei grossen Köchen, sondern habe mir das meiste selber erarbeitet», sagt Kiener. Die Lehre hat er im Burgdorfer «Stadthaus» gemacht, in der «Eisblume» in Worb hat der Koch danach immerhin für kurze Zeit Einblick in einen ganz anderen Stil erhalten, bevor er nach der Küchenchef-Schule zurück nach Burgdorf gekommen ist. Nachdem er in der «Gedult» die Verantwortung übernommen hatte, sei ihm schnell klar geworden, dass man mit «Wienerli und Pommes hier nicht überleben kann», sagt Lukas Kiener rückblickend.
Von A bis Z. Mit dem heutigen Konzept setzt der Küchenchef nur noch auf Abendservice und auf ein Menü. Das hat einen persönlichen und einen betriebswirtschaftlich-kulinarischen Grund. «Ein bisschen Lebensqualität will ich mir bewahren», sagt Lukas Kiener zum ersten Punkt. In sein Restaurant, das ist der zweite Grund, soll man kommen, um etwas zu erleben. «Man geht ja auswärts essen, weil daheim nicht so gekocht wird. Es gibt zum Beispiel bei mir keine Käseplatte sondern einen komponierten Gang», so Kiener. Der Anspruch an jedes Gericht ist dabei hoch. «Ich mache alles von A bis Z alles selbst», sagt Kiener – Brot und Pralinen sind im Wort «alles» mitgemeint. Und der talentierte Koch mag es durchaus, dafür viel Zeit alleine in der Küche zu verbringen: «Der grösste Vorteil hier ist, dass man für alles verantwortlich ist. Alles was ich mache, ist genauso, wie ich es möchte.»
Exotik & Bodenständigkeit. Bei seinen Gerichten gelingt es Lukas Kiener eine adäquate Bodenständigkeit mit feinen exotischen Noten zu kombinieren, was zu genau jener Harmonie führt, die er sich zum Ziel setzt. So gibt es zu den perfekten Agnolotti mit Zwiebelfüllung eine Velouté auf Geflügelfond-Basis, die mit Zitronengras zart parfümiert wurde. Den Kabeljau – erst gerollt, dann gefroren und schliesslich gebraten – kombiniert Kiener mit verschiedenen Kürbis-Zubereitungen sowie Kumquats und giesst eine Kürbis-Krustentierbisque mit Estragon an. Und die gebackenen und gebratenen Schwarzwurzeln werden von schwarzer Baumnuss, Feigen und Yuzu-Hollandaise eingerahmt – fruchtig, aber nicht zu süss, herzhaft, aber gleichzeitig elegant. «Leicht und verspielt» sollen seine Gerichte sein, sagt Kiener und setzt dafür auf viele, aber nicht ausschliessend regionale Produkte: «Natürlich arbeite ich mit Aemme-Shrimps oder Eiern aus Ersigen, mein Käse kommt aus Sumiswald, ich habe eine Trüffel-Frau aus der Gegend und koche nur mit Schweizer Fleisch. Aber manchmal passt Gambero Rosso aus Italien oder Kabeljau aus Norwegen einfach besser, gewisse Kompromisse gehe ich deshalb ein.»
Burgdorfer Sensation. Ein Restaurant mit 17 Punkten und einem Stern sei für Burgdorf schon fast eine Sensation, sagt Lukas Kiener am Ende, als es darum geht, eine Perspektive für die Zukunft zu skizzieren. Davor ist das nur Werner Schürch gelungen, der bis 2019 im «Emmenhof» mit der gleichen Noten-Paarung bewertet wurde. Er sei zwar schon ehrgeizig, gibt Kiener zu, «aber das Wichtigste ist die Freude an dem, was ich mache». Er bekomme gerade nicht jede Nach genügend Schlaf, sagt er über seine Lebenssituation mit zwei kleinen Kindern zu Hause und seinem Perfektionismus als Solo-Koch im Restaurant. «Es sind manchmal lange Tage manchmal, aber gleichzeitig kriege ich zu Hause, aber auch von meinen Gästen viel zurück», findet Kiener und bleibt sich als Mann der Taten statt vieler Worte so durchaus treu.
>> GaultMillau und American Express scouten junge, begabte Köche, die die Zukunft vor sich haben, für die Liste «Talente 2025». Fortsetzung folgt.