Text: Urs Heller I Fotos: Thomas Buchwalder
17 Punkte! Das gab’s in Luzern noch nie. Mandarin Oriental hat das «Palace» übernommen und der Luzerner Architekt Iwan Bühler beim Umbau ein kleines Meisterwerk abgeliefert. Ein Traumhotel direkt am See! Im «Mandarin Oriental» kocht der beste Chef der Stadt. Nur weiss das kaum jemand. Dem noblen Hotel ist es noch nicht gelungen, die Herzen der Luzerner zu erobern und Schwellenängste abzubauen. Hauptproblem: Der Israeli Gilad Peled, zuvor im Sold der Weltstars Gordon Ramsay und Clare Smyth, kocht gut, aber selten. Sein Signature Restaurant «Colonnade» ist im Sommer monatelang geschlossen, auch während dem weltberühmten «Lucerne Festival»; das ist eine krasse Entscheidung.
Steinbutt für Geniesser. Und für Instagram! Der GaultMillau bewertet die Leistung im Teller und nicht die Präsenzzeiten. Die Gerichte des ziemlich ehrgeizigen und ziemlich selbstbewussten Chefs sind hervorragend. Das Rinds- und Austern-Tatar mit Kaviar ist sein Signature Dish. Die Klasse sitzt im Detail: Die Austern werden zu einer Panna cotta verarbeitet, eine perfekte Beef-Bouillon ist Basis für den herausragenden Gelee. Der Steinbutt fehlt selten im Menü. Wir kriegen ihn mal mit einer Algen-Beurre-blanc auf Fregola sarda, mal mit einer Vin Jaune-Sauce. Variante 2 ist Instagram tauglich: Einer der Köche am goldenen Molteni-Herd kriegt einen Sonderjob, muss stundenlang Haselnüsse hobeln und wie Schuppen auf dem Turbot drapieren. Auch Head-Sommelier Moritz Dressing hat immer wieder mal eine Überraschung auf Lager. Den unglaublich guten «La Rochette 2019» von eigenwilligen Neuenburger Winzer-Ikone Jacques Tatasciore gibt’s hier im Offenausschank. Überraschung beim Käsewagen: Affineur Rolf Beeler liefert seine Bestseller, aber wer bei den Produkten von Res Gut & Co. zugreift, hat auf der Rechnung einen «Penalty» von 40 Franken. Gilad Peled steigt hoch auf 17 GaultMillau-Punkte und hat damit das höchste Rating, das in der Stadt Luzern je vergeben wurde.
Der Sushimaster & der «Heidi»-Film. Gute Nachrichten vom zweiten Restaurant im «Palace»: Yutaka Kobayashi aus dem Kempinski St. Moritz hat das Omakase-Restaurant «Minamo» übernommen und kocht für die höchstens sieben (!) Gäste am Tresen eine Klasse besser als sein Vorgänger. Neues Rating: 15 Punkte. Wie kommt ein Chef aus Japans jüngster Millionenstadt Saitama in die Schweiz? «Ich habe den Heidi-Film gesehen und wusste: Ich will diese Berge sehen.» Sein Signature Dish: Tatar vom Schweizer Rind. Kombu-Algen, Kapuzinerkresse und Ingwer werden präzis als Würzmittel eingesetzt. Yutakas Nigiri (Gambero Viola, Lostallo-Lachs, geräucherter Aal) sind hervorragend. Der Reis dazu, den der Chef geduldig knetet, ebenfalls: Toyoma Koshihikari, erste Liga. Im Finale dann Wagyu aus Japan (Kagoshima), in dünne Tranchen geschnitten, als Sukiyaki serviert. Chef Yutaka ist neugierig, besucht an freien Abenden in Zürich die Konkurrenz: «Mikurya» im «Dolder Grand» und «Sushi Shin».
Wohlfühl-Restaurant, «secret garden», 16 Punkte. Eigentlich war das ganz anders geplant. Das «Maihöfli» wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Bahnhof-Buffet geplant. Daraus wurde nichts: Der Zug rollt heute am anderen Ufer des Rotsees. Unverzichtbar ist das hübsche historische und liebevoll renovierte Gebäude an der wenig attraktiven Maihofstrasse 70 trotzdem. Weil es hochtalentierte junge Köche wie magisch anzieht und immer wieder zum Geheimtipp der Luzerner Foodies wird. Im Sommer ganz besonders: Da lockt der «secret garden» hinter dem Haus. Schlemmen unter uralten Kastanienbäumen.
Rindsgulasch & Wagyu-Herz. Der erste «wilde» Chef im «Maihöfli» war Oscar de Matos. «Fucking crazy» nannte er seine Küche, und damit räumte er ab: «Aufsteiger des Jahres 2022», plötzlich 16 statt 14 Punkte. Nach Differenzen mit dem Hausbesitzer war er plötzlich wieder weg. Dass die Nachfolge so perfekt geregelt wurde, verdankt das «Maihöfli» zwei Frauen: Liz und Lily. Robert Steuri, zuvor im «Glacier» Grindelwald sehr erfolgreich: «Meine Frau Liz wollte, dass unsere kleine Lily in der Stadt aufwächst. Also sahen wir uns um - und entdeckten das «Maihöfli». Sein erstes Menü war gewissermassen eine Kampfansage: Rindsgulasch mit Wagyu-Herz im Salat und Milken! Da steckt Arbeit dahinter: Die Rindsbäggli werden 58 Stunden bei 68 Grad sous-vide gegart und gepresst. Und das Herz? «Mir ist es wichtig», sagt Steuri, «dass man vom Tier alle Teile verwertet.» Es geht auch ohne Tier: Der Chef legt mit gleicher Sorgfalt einen Siebengänger auf, der die Veganer der Stadt begeistert. Ein paar Überraschungen haben Steuri und sein kleines, feines Team immer auf Lager: Die Bremgartner Forelle mutiert plötzlich zu einer sommerlich frischen Sülze, «wie Matjes in einem Münchner Biergarten.» Tipp für vorsichtige Gourmets: Die neue «Maihöfli»-Küche kann man mittags zum Schnäppchenpreis testen: Tagesteller für 29 Franken, und ein paar Gerichte aus der Abendkarte kriegt man auch. Rating zum Start: 16 Punkte.
Erst ein Negroni. Dann Pietro Catalanos Menü. Noch ein Neuer in der Stadt: Pietro Catalano an der Haldenstrasse. Das noch wenig bekannte Restaurant trägt die Kurzform seines Namens: «CAAA». Wo die berühmte Galerie Fischer hundert Jahre klang hochkarätige Kunst unter den Hammer brachte, ist jetzt «Transalpines Fine Dining», was immer das heissen mag. Der Chef will mehr sein als nur ein Restaurant, eher ein Rundum-Erlebnis für alle Sinne, eine Symbiose von Kulinarik, Klang, Design und Technik. Bleiben wir bei der Kulinarik. Ein Besuch an der Bar ist Pflicht (und im Menüpreis inbegriffen). Eher ein Labor als eine klassische Bar. Mixologist Rafael Alario destilliert, fermentiert und dehydriert, nach Rezepten des Moskauer Gurus Andrei Bolshakov (gelistet bei den «World’s 50 Best Bars»), den «Night Forest», ein Negroni auf Luzerner Art, würden wir jederzeit wieder bestellen, den «Waterfall» und den «Earthquake» ebenfalls.
Catalono? Das ist ein ganzer Clan! «CAAA» steht nicht nur für Pietro Catalano, sondern für den ganzen Catalano-Clan: Schwester Stefania sorgt für den Service. Ehefrau Elena steht bei Pietro am (Molteni-) Herd. Der Chef ist Quereinsteiger: Er ist gelernter Auto-Mech, studierte dann am Konservatorium Klassische Trompete, surfte durch die Fashion-Szene und entdeckte dann seine wahre Leidenschaft, das Kochen. 2018 wurde er im GaultMillau erstmals «aktenkundig»: Er punktete mit italienischen Gerichten ins «Heidi’s Hütte» auf der Fiescheralp im Wallis. In Luzern sind seine eigenen Ansprüche markant höher. Best of: Seesaibling, sanft gegart und unter Sellerie-Lamellen, dazu der berühmteste Safran der Schweiz (Mund VS) und eine überzeugende Bouillabaisse-Sauce. Alpenzander mit Luzerner Jalapeño in der leicht pikanten Sauce. Kalbsfilet Mignon mit fermentierter Walliser Aprikose im Kern. Rindshuft im Filoteig und Entrecôte von Piemonteser Kühen, die im Bauernhof «Frisch vo de Tanne» in Ebersecken LU unter besten Bedingungen reifen.
Tipp: Der «Discovery Business Lunch». Catalano hatte in Luzern keinen einfachen Start, weil er Mr. Unbekannt war und einen all-in-Preise anbot (inkl. Bar & Siebengänger, Champagner, Weinbegleitung). Diese Praxis hat er unterdessen den lokalen Verhältnissen angepasst. Über Mittag ist das Angebot besonders attraktiv: «Discovery Business Lunch», drei, vier Amuse-bouches, drei Gänge und elaborierte Friandises für 84 Franken. Eine empfehlenswerte Art, Pietros ungewöhnliche Küche kennenzulernen. Attraktiv ist der hinter dem Haus versteckte, hübsche Garten. Und ungewöhnlich ist auch die Öffnungszeit am Sonntag, wenn die meisten Berufskollegen ihren Ruhetag haben: Das grosse CAAA-Menü gibt’s durchgehend von 11.30 bis 18 Uhr. Pünktlich zum «Tatort» ist man wieder zu Hause.
>> Der ultimative GaultMillau-Report, 20 Seiten über Luzern! Chefredaktor Urs Heller empfiehlt die besten Restaurants seiner Stadt. Das GaultMillau Magazin erscheint nächste Woche mit der Schweizer Illustrierten.