Text: Urs Heller | Fotos: Thomas Buchwalder

Aufwand total für alle Komponenten. Die Gäste im fensterlosen Gourmet-Restaurant «La Brezza» (im Swiss Deluxe Hotel «Tschuggen») sind begeistert. Ob sie wohl ahnen, wieviel Arbeit hinter jedem Snack, hinter jedem Gericht und selbst hinter jeder Friandise steckt? Marco Campanella (Bild oben) und seine verschworene Truppe gehen für ihre beiden Menüs («normal», vegan) den Königsweg. Sie arbeiten stunden- und oft tagelang an einzelnen Komponenten, wollen beweisen, dass etwa ein veganer Gemüsefond genauso umami-intensiv sein kann wie ein klassischer Ansatz mit Fleisch und Fisch. Das Resultat ist überzeugend: Marco Campanella sticht heraus aus der Riege der jungen Chefs. Wir schicken den 18. Punkt, den er sich bereits in seiner «Sommerresidenz» Eden Roc in Ascona gesichert hat, gerne auch hoch nach Arosa.

Tschuggen Grand Hotel, Arosa, Mountain Lofts

«Home of Campanella»: Im Winter kocht Marco Campanella im Swiss Deluxe Hotel «Tschuggen» in Arosa.

Aal, in Coca Cola eingelegt. «Snacks» nennt Campanella die fünf Dinger, die er zur Begrüssung auftragen lässt. Das stapelt zu tief. Die «Snacks» sind kleine Kunstwerke und nicht zufällig zusammengesetzt. Marco: «Es geht mir um Salz, Säure, Schärfe, Frische und Umami. Und: wir wollen die Gäste mit einem voll beladenen Tisch empfangen. Das macht doch Freude.» Sein «Fingerfood de luxe»: Ein Rote-Beete-Macaron mit Rotmeerbrasse-Tatar und Granatapfel. Ein fantastisches Algen-Taco mit Gambero Rosso, Mango aus Sizilien und Erdnuss. Ein «gebratenes Brötchen» aus Steinbutt-Abschnitten mit Salzzitrone («haben wir im Sommer bereits im Tessin eingelegt»). Puntarelle mit Umeboshi-Sesam und einer spicy Mayo, die dem raren Gemüse die Bitterkeit entzieht. Und dann war noch diese Malzwaffel: Mit Rindstatar von Holzen und Aal, von der kleinsten Gräte befreit, in Coca-Cola (!) eingelegt und leicht karamellisiert. Eigentlich verrückt: Die Jungs draussen in der Küche arbeiten stundenlang an jedem einzelnen Snack, der Gast putzt die kleinen Dinger mit einem Bissen weg.

Gourmet-Tour Tschuggen Hotel 2023: Marco Campanella

Riesenaufwand und volle Konzentration: Marco Campanella steht für spektakuläre Küche, auch für Veganer.

Marcos «Margarita». Mit Carabinero-Bisque. Was kommt nach den Snacks? Ein Amuse-bouche (Kohlrabi-Rose, umzingelt von einem erfrischenden Kaki-Ceviche) und erst dann das eigentliche Menü. Zum Start gleich eine angenehme Überraschung. So raffiniert zubereitet kriegt man den Lostallo-Lachs selten: Trocken gebeizt, mit Limettenabrieb, Schwarztee und Reisessig «behandelt», serviert mit Nüsslisalat und gefrorenen Shiso-Perlen. Nicht zu übersehen: Campanella ist nicht nur Umami-Jäger, er ist auch Frische-Fan: Zitronensaft oder Limettenabrieb ist (fast) immer mit im Spiel. Den Carabinero gibt es gleich dreifach. Mit Noilly Prat, Kürbispüree, Ingwer und Zitronengras etwa. Oder als «Margarita»! Statt Tequila und Salz gibt’s eine elegante und kräftige Bisque vom Krebs, mit Kürbiskernen und Nüssen am Rand der kleinen Schüssel.

Gourmet-Tour Tschuggen Hotel 2023: Parmesan-Ravioli by Marco Campanella

Ravioli muss sein! Mit Parmesan und Trüffel (Bild), mit Iberico-Schwein oder vegan mit Artischocken in der Raviolo-Füllung und in der Velouté.

Iberico-Brasato im Ravioli. Marco Campanella ist Ravioli-King. Das wissen wir und bestellen den Pasta-Gang aus beiden Menüs. Die vegane Variante, also die Moving Mountains-Version: Ein leicht angebratener Raviolo, gefüllt mit Artischocken. Trevisano und eine Artischocken-Velouté mit einem Minze-Öl steigerten den Lustfaktor. Die «normale» Variante: Kleine Ravioli unter einem Parmesanschaum mit Iberico-Brasato, Belper Knolle drüber. Natürlich ging’s auch beim schneeweissen, saftigen Winterkabeljau nicht ohne Extrakick: Sauerkraut lag fein geschnitten auf dem Skrei, und eine raffinierte Amalfi-Zitronen-Hollandaise gab’s dazu. Das Salz ersetzte der Chef, ziemlich exklusiv, mit einem Löffel Kaviari Kaviar!

Gourmet-Tour Tschuggen Hotel 2023: Makrele, Wassermelone by Marco Campanella

Ein typischer Campanella-Gang: Geräucherte Makrele, mit «Ceviche»-Saft, Wassermelonen-Rettich und Kaki.

15 Kilo Pilze für drei Liter Pilz-Jus. Auch wer sich nicht zur Spezies Veganer zählt, sollte den einen oder anderen Gang aus dem «Moving Mountains»-Menü bestellen, schliesslich beherrschen nur wenige diese Disziplin so gut wie Campanella. Also liessen wir uns kleine Sellerie-Röllchen mit schwarzen Trüffeln auftragen und staunten vor allem über den intensiven Pilz-Jus dazu. Der Chef: «Für drei Liter Pilz-Jus sind 15 Kilo Pilze nötig!» Pralles Umami in der veganen Zone. Der klassische Hauptgang: Rentier, in die Berge geliefert von Alfred von Escher. Schmeckt wie Hirsch, nur etwas besser und ist der neue Geheimtipp der Chefs. Auch hier war die Sauce fantastisch: Drei Ansätze, fünf Tage Arbeit. Und Würfel von der Rentier-Haxe in der Sauce!

Gourmet-Tour Tschuggen Hotel 2023: Pietro Leanza

Er hamstert Goldmedaillen: Pietro Leanza aus Sizilien, Pâtissier im «La Brezza»-Team.

Gourmet-Tour Tschuggen Hotel 2023: Schokolade & Mango

Schokolade-Kugel, Mango aus Sizilien, Passionsfrucht. Mit kleinem Schmetterling als Signatur.

Ein «Weltmeister» im Team. Marco Campanella gehört zur Chef-Kategorie der «nicht brüllenden Teamplayer» und hat eine junge Brigade zusammengestellt, die mit ihm seit Jahren zwischen Arosa und Ascona hin und her pendelt. Zwei aus dem Team sind besonders wichtig: Pâtissier Pietro Leanza, der in der Zwischensaison an internationalen Wettbewerben teilnimmt, Goldmedaillen hamstert und sich «Weltmeister» nennen darf. Gastgeberin Nicole Schneider, die Campanellas Küche bis zur letzten Komponente kennt, den zuvorkommenden Service leitet und auch ein imposantes Weinbuch vorlegt. Leanza präsentierte sein Pré-Dessert (roter Apfel, Bergamotte) am Tisch, schickte dann eine erfrischende Kombination von Baby Ananas, Pekannüsse und italienischen Paterno-Mandarinen raus. Pinzettenarbeit auch hier: Mandarinen-Salat, Mandarinen-Sorbet.

www.tschuggen.ch