Fotos: Lukas Lienhard
«Das ist nur ein Traum» Mariya Un Noun sitzt auf der Terrasse des Restaurant Epoca in Zürich und schaut hinunter auf die Stadt. Dass sie einmal an einem solchen Ort sein würde, umgeben von einem grossartigen Team und um Spenden für ein NGO zu sammeln, das hätte sie nie gedacht. «Als Kind hatte ich keine Träume. Wie auch? Meine Familie war so arm, dass meine Mutter mich verkauft hat», erzählt sie. Mariya Un Noun kam aus dem Nichts. Heute ist sie Küchenchefin im Farmhouse Resort & Spa by Smiling Gecko in Kambodscha. Zusammen mit Hannes Schmid, Starfotograf und Gründer des Hilfswerks Smiling Gecko, ist sie nun im «Sonnenberg» und veranstaltet mehrere Fundraising-Dinner. Um Aufmerksamkeit für das Projekt in Kambodscha zu generieren und Spenden für neue Projekte zu sammeln. «Manchmal kneife ich mich mit beiden Händen in die Backen und sage: Wach auf, Mariya! Das ist nur ein Traum.»
Grosses Bild oben: Semnang Koy, Mariya Un Noun, Sreymey Vat und Vuthy Keant (v.l.n.r.).
Mit dem Team angereist. Die junge Köchin – man schätzt, dass sie zwischen 32 und 35 Jahre alt ist – kam nicht alleine nach Zürich. Zum ersten Mal konnte sie eine kleine Brigade mitnehmen. «Ich bin so dankbar. Es ist nicht selbstverständlich, denn die Flüge sind sehr teuer», sagt Mariya. Auch für Sreymey Vat ist es ein besonderes Erlebnis. «Ich habe immer davon geträumt, in die Schweiz zu kommen. Jetzt ist mein Traum in Erfüllung gegangen», sagt die 19-Jährige. Semnang Koy, Mariyas Souschef, und Vuthy Keant, der Mann fürs Süsse, komplementieren das Team.
Mariyas Gespür für Geschmack. Kambodscha ist nicht für eine herausragende Küche bekannt. Restaurantführer wie GaultMillau oder Michelin sucht man in dem Land vergebens. Und trotzdem herrscht in der «Epoca»-Küche im ersten Stock des «Sonnenbergs» ein Umgangston wie in einem Gourmetlokal in Frankreich oder der Schweiz. Anweisungen von Mariya werden mit «Oui, Chef» quittiert. Als Hannes Schmid Mariya auf der Strasse gefunden hatte, konnte sie weder lesen noch schreiben. Und schon gar nicht kochen. Aber schnell wurde klar: Sie hat ein Gespür für Geschmack. Mariya wurde an die Hotelfachschule Luzern geschickt, kochte bei Franck Giovannini, Massimo Bottura und Andreas Caminada. «Zuerst wollte keiner Mariya bei sich in der Küche haben und am Ende wollten sie sie nicht mehr gehen lassen», erzählt Hannes Schmid.
Spenden für eine Mittelschule. Der Fotograf aus dem Toggenburg baute Smiling Gecko mit dem Ziel auf, Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen. 500 Kinder können aktuell die Schulbank drücken. Mit den Spenden-Events in Zürich will er nun Geld sammeln, um eine Mittelschule zu bauen. Dafür legt sich der charismatische Schmid ganz schön ins Zeug. Er erzählt seinen Gästen von seinem Leben. Wie er auf Papua von Kannibalen entführt wurde und nur knapp überlebt hat. Oder wie er die grössten Rockstars aller Zeiten vor der Linse hatte. Und wie er durch Zufall auf das Elend in Kambodscha aufmerksam wurde und seither alles daran setzt, das Schicksal dieser Menschen zu ändern.
Kultur erneuern und bewahren. Durch die französische Kolonialherrschaft und später durch die Rote Khmer wurde den Kambodschanern sämtliches Kulturgut genommen. Smiling Gecko versucht nun, ein Stück Kultur wiederherzustellen und zu bewahren. Essen ist ein Teil davon. Dank Mariya Un Noun bekommt die Khmer-Küche ein Gesicht. Sie nimmt die Gäste – und potenziellen Unterstützer – mit auf eine Reise nach Kambodscha. Sie startet mit einem Rindfleischsalat mit Zitronengras, Pickles, Chili-Mayo und Zitronengras-Joghurt. «Sie müssen das alles vermischen und zusammen essen», rät die Köchin. Danach fährt sie fort mit einer Jakobsmuschel mit Kokoscremesauce, Broccoli-Püree und Korianderöl. Die Curry-Suppe kommt mit einem Stück Wolfsbarsch, Bohnen und frischen Nudeln. In Kambodscha würde Mariya dieses Gericht nicht mit Loup de Mer servieren, sondern mit Nilo, einem Fisch, der auf der Smiling-Gecko-Farm gezüchtet wird. Denn bei Mariyas Gerichten sind die Hauptkomponenten wie Fisch oder Fleisch zwar wichtig. Doch etwas anderes ist viel wichtiger. «Es geht immer nur um den Geschmack!» Mariya versteht es, Gewürze zu kombinieren, schmeckt ganz fein ab und trotzdem haben die Gerichte ziemlich Power.
Fondue und Rösti für die Crew. Jetzt ist es an der Zeit, etwas zurückzugeben. Mariya hat in Kambodscha ein Team von 25 Köchinnen und Köchen. «Es ist mir sehr wichtig, meine Erfahrung und mein Wissen weiterzugeben. Ich erzähle meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oft, was ich in Europa gesehen habe. Aber jetzt können sie es auch mit eigenen Augen erleben.» Mariya ist ein unglaublich herzlicher Mensch. «Aber bei der Arbeit bin ich strikt. Wir arbeiten sehr fokussiert und professionell», sagt sie. Nach der Arbeit wird gelacht. «Wir sind wie eine grosse Familie. Ich liebe meine Leute.» In Zürich kann ihr Team von Niklas Oberhofer, bei dem sie im «Epoca» zu Gast sind, lernen. Moderne Techniken oder wie man anrichtet. Doch Mariya schult auch den Geschmack ihres Teams. «Die Gegend rund um das Farmhouse ist sehr arm. Es gibt nicht so eine grosse Vielfalt an Lebensmitteln. Deshalb lasse ich sie hier alles probieren.» So kamen Semnang, Vuthy und Sreymey auch schon in den Genuss von Fondue und Rösti.
30 Kilo Mango im Koffer. Beim Fundraising-Dinner stehen ganz andere Produkte auf der Karte. Zum Basilikum-Sorbet gibt es Mango aus Kambodscha. «Ich habe zu Hannes gesagt, ich brauche 30 Kilogramm Mango. Er musste sie mir im Koffer mitbringen», sagt Mariya und lacht. Ganz legal ist das nämlich nicht. Die Früchte sind nicht die einzigen Produkte, die Mariya mitgebracht hat. Kampot-Pfeffer darf auf keinen Fall fehlen. Und auch ihre eigene fermentierte Fischsauce hat Mariya in die Schweiz gebracht. Der Kampot-Pfeffer kommt beim Hauptgang besonders gut zur Geltung. Zum Kalb und der gefüllten Mini-Aubergine passt die fruchtig-scharfe Note hervorragend. Und sogar im Dessert kommt der Pfeffer zum Einsatz. «Gib nur ganz wenig auf das Vanille-Eis», sagt Mariya zu Vuthy. Das verleiht dem süssen Gang eine ganz dezente Schärfe. Oder wie Mariya es audrückt: «Alles, was ihr bei diesem Gericht schmecken müsst, ist Mariyas Liebe.»