Text: David Schnapp | Fotos: Thomas Buchwalder, Nik Hunger

Markus Stöckle, ab wann in Ihrem Leben war Kochen «Ihr Ding»?
Weiter zur Schule zu gehen, war für mich kein Thema. Nach einigen Schnuppertagen als Zwölfjähriger in der Küche waren die letzten Zweifel weg, was ich machen sollte. Kochen hat mich sofort fasziniert. Diese Energie in der Küche und wie das mit dem Service verschmelzen kann, packt mich bis heute.
 

Sie sind auf einem Bauernhof im Allgäu aufgewachsen. Was war die wichtigste Aufgabe, die Sie als Kind hatten?
Ich bin mit vier Brüdern aufgewachsen, die Tante und die Oma haben auch bei uns auf dem Hof gelebt. Wir hatten 70 Milchküche, und ich musste immer zupacken. Jeden zweiten Tag ab einem gewissen Alter hatte ich Stalldienst. Es war aber auch immer gesellig, ich war Teil einer Gemeinschaft. Und ich habe früh gern meiner Mutter in der Küche geholfen.

Arbeit war selbstverständlich Teil des Lebens?
Bis heute hilft das mir, die Perspektive zu wechseln und die Dinge aus Sicht meiner Eltern zu sehen. Die haben dreissig Jahre keinen Urlaub gemacht, dann ist es nicht so schlimm, wenn ich selbst mal keine Ferien machen kann. Wenn man mit viel Arbeit aufwächst, hat das einen anderen Stellenwert im Leben. Aber es war auch nicht so, dass es uns an irgendwas gefehlt hätte. Meine Eltern haben immer gesagt, wir seien die reichste Familie der Welt, es ging vielmehr um immaterielle Werte. 

Ein Essen in Ihrem Restaurant Rosi in Zürich nimmt immer wieder mal unerwartete Wendungen, mal verteilen sie mit Helium gefüllte Ballone, und alle Gäste sprechen wie Donald Duck im Trickfilm, mal servieren Sie fluoreszierende Gerichte. Was wollen Sie damit erreichen?
Gastronomie hat für mich nicht nur mit Essen und den einzelnen Zutaten zu tun. Es ist schon mehr, als einen feinen Teller zuzubereiten, und an den Tisch zu bringen. Ich finde es faszinierend, wenn im Restaurant eine gemeinschaftliche Magie entsteht, so dass fast jeder im Raum zu jedem andern an den Tisch sitzen könnte. Glück zu verschenken, einen Ort der Begegnung zu schaffen, darum geht es mir. 
 

Rosi, Markus Stöckle 2021

Mehr als ein Wirtshaus: Markus Stöckles «Rosi» (16 Punkte) beim Lochergut in Zürich.

Darf Essen einfach nur gut schmecken, oder muss es mehr auslösen?
Von Gerichten wie einem Cordon Bleu oder eine Weisswurst werde ich nie müde, sie sind Teil meiner Kultur. Gleichzeitig möchte ich, dass sich das ständig verändert, das Zeit und Raum eine Rolle spielen. Dann wird aus dem Cordon Bleu ein Symbol für kulturellen Austausch – ein Gericht, das in der Schweiz erfunden wurde, und in Bayern in jedem Wirtshaus serviert wird. Das Wirtshaus ist für mich eine Leinwand, wir haben einen gesellschaftlichen und historischen Auftrag, für Menschen da zu sein und nicht stehen zu bleiben.

Welche verrückte Idee haben Sie gerade?
Es sind so viele Ideen da, dass ich eher schauen muss, was ich wann umsetzen kann. Eine trockene Suppe zu servieren, beschäftigt mich schon lange. Wir haben zuletzt einen Schweinebraten tätowiert, jetzt würde ich gerne die Idee weiterspinnen und irgendwas mit Leder machen.

Und klappt auch mal etwas nicht?
Manchmal arbeiten wir eineinhalb Monate an einer Idee und kriegen es nicht hin. Und wenn man sie dann verwerfen will, kommen auf einmal die Gedanken, die man zuvor nicht zu denken gewagt hatte, und plötzlich klappt es. 

Rosi, Markus Stöckle 2021: Armer Ritter mit Zürichsee-Muscheln und Muschel-Velouté

«Armer Ritter»: Mit Flusskrebs-Nage getränktes Sauerteigbrot und darauf Muscheln und Schinken.

Rosi, Markus Stöckle 2021: Kalb im Huhn, gebratenes Mistkratzerli mit Kalbsfarce gefüllt

«Kalb im Huhn»: mit Kalbsfarbe gefülltes Stubenküken, inspiriert von Johann Rottenhöfer, dem Leibkoch Ludwig II.

Gehen Sie möglicherweise manchmal zu weit?
Ganz bestimmt sogar. Sicher überfordern wir manchmal die Gäste, die nicht genau wissen, was das hier bei uns ist – Wirtshaus oder Fine Dining oder beides. Aber mit unserem Klassiker-Menü können wir jeden abholen, der das klassische Gericht erkennt, aber auch den Witz dahinter spürt. Manche Gäste sprechen eher auf den philosophischen Aspekt an, andere eher auf den handwerklichen. 

Die Arbeit beim innovativen britischen Starchef Heston Blumenthal hat sie offensichtlich geprägt. Was haben Sie bei ihm gelernt?
Die Energie und den Wissensdrang hatte ich immer schon. Aber man kocht nicht von heute auf morgen so, dazu gehören viele Stunden Arbeit und Erfahrung. In England hatte ich viel mit Menschen zu tun, die viel und obsessiv über ihre Arbeit nachgedacht haben. Die ihr Ego zurücknehmen konnten und versucht haben, ihre Tätigkeit aus einer anderen Perspektive zu sehen. Im Labor bei Heston Blumenthal ist da schon viel passiert.

Geht es am Ende darum, alles in Frage zu stellen?
Ich sage meinen Leuten immer wieder, dass das Einzige, was wir sicher wissen, ist, dass wir nichts wissen. Wenn man sich wirklich einmal mit Blätterteig beschäftigt, merkt man, dass man nichts darüber weiss.

Heilemann & Friends, Im Alex Lake Zurich, in Thalwil, Elif Oskan und Markus Stöckle

«Wir schenken uns gegenseitig viel Energie»: Stöckle mit Partnerin Elif Oskan («Gül»).

Was essen Sie eigentlich selber gern?
Die Eintöpfe oder Suppen meiner Partnerin Elif und ihrer Mutter, da kann ich nie nein sagen. Und im Sommer feine Tomaten und Gurken, etwas Besseres gibt es nicht.

Elif Oskan und Sie führen zwei gut gehende Restaurants in Zürich, Sie arbeiten sechs Tage die Woche. Woher nehmen Sie all die Energie?
Wir schenken uns gegenseitig viel Energie, indem wir über alles sprechen und so Probleme lösen. Jedes gelöste Problem, jeder Schritt, den ich weiterkomme geben mir Energie. Und ganz viel geben mir mein Team und meine Gäste: Ein Tag in der Küche ist für mich wahnsinnig ergiebig. 

>> Markus Stöckle (33) ist seit Anfang 2018 Mitinhaber und Küchenchef des «Rosi» in Zürich (16 Punkte).