Text: David Schnapp
Gesucht: talentierter Küchenchef. Im opulenten Swiss Deluxe Hotel Splendide Royal mit bester Seesicht in Lugano ist es der letzte Abend mit Gast-Chef der diesjährigen Austragung des Gourmetfestivals S. Pellegrino Sapori Ticino. Mauro Colagreco aus dem «Mirazur» in Menton (drei Michelin-Sterne, 18 GaultMillau-Punkte, bestes Restaurant der Welt 2019) sorgt dafür, dass es auch einer der Höhepunkte des Festivals werden wird. Wir kommen gleich darauf zurück. Aber am Tisch mit Hotelbesitzerin Adele Naldi und Direktor Giuseppe Rossi geht es erst um die Frage, wer den Ende Jahr abtretenden talentierten Domenico Ruberto (16 GaultMillau-Punkte, ein Michelin-Stern im «Il Due Sud») ersetzen wird. Die Suche laufe intensiv, im Januar werde man den neuen Namen bekannt geben, sagen die beiden. «Einige der Kandidaten habe ich Club Sandwiches oder einen Salat zubereiten lassen», sagt Hotelmanager Rossi über die Einstellungskriterien mit einem Lächeln.
In der Erde gereifte Rande. Das Gespräch wird von der Präsentation einer kürbisgrossen Rande unterbrochen – die Basis für einen der Signature Dishes von Mauro Colagreco, der seit 2022 Goodwill-Botschafter der Unesco für Biodiversität ist. Für sein Gericht werden Randen zwei Jahre in der Erde gelassen, was nicht nur für die ungewöhnliche Grösse, sondern auch für einen aussergewöhnlichen Geschmack sorgt. Dazu gibt es eine cremige Kaviar-Sauce, um ein vermeintlich simples mit einem Luxusprodukt zu vereinen, was in seiner Einfachheit tatsächlich spektakulär ist.
China, Bangkok, London, Tokio & St. Moritz. Der 47-jährige Colagreco gehört zu den vielreisenden Weltstar-Chefs, eben kommt er aus Asien zurück, betreibt dort mehrere Restaurants in China oder Bangkok. «Im September haben wir ein Restaurant im Raffles Hotel in London eröffnet, Tokio wird folgen», erzählt er bei einem kurzen Gespräch in der Küche des «Splendide». In der Schweiz ist Chef Mauro Stammgast: Er kocht im Kulm Hotel St. Moritz, neuerdings im Kulm Country Club. Trotz vieler Engagements scheint der gebürtige Argentinier kein Manager-Koch zu sein, an diesem Abend in Lugano ist er stark beteiligt an der Entstehung des Fünf-Gänge-Menüs. «Ich bin immer noch gerne in der Küche. Wie lange, weiss ich natürlich nicht, aber im Moment habe ich Spass an der Arbeit», sagt er.
Ein Morgen für die Pasta. Drei Tage lang wurde das Gala-Dinner vorbereitet, unter anderem mussten 2000 Tortellini mit Nussfüllung von Hand gefaltet werden. Zwei Köche haben den ganzen Morgen alleine daran gearbeitet. Die Pasta liegt in einer reichhaltigen Rinder-Consommé, deren Intensität noch ein paar Minuten nach dem Auslöffeln buchstäblich hängen bleibt, weil sich das Kollagen aus Fleisch und Knochen wie ein feiner Film auf die Lippen legt.
Wähe zum Hauptgang. Der Hauptgang sieht dann zunächst aus wie eine schlichte Wähe, aber Colagreco kombiniert auch hier Rustikalität mit edlen Naturprodukten und handwerklicher Meisterschaft. Auf dem dünnen Blätterteig liegt eine Schicht Trüffel-Creme, darauf sind in mühevoller Pinzettenarbeit dünne Artischocken-Stücke einzeln aufgesetzt, so dass die ganze Tarte wie eine grosse Blüte aussieht. «Es braucht etwa zwei Stunden Arbeit pro Tarte», verrät Mauro Colacreco. «Mittlerweile haben wir Übung darin, aber zu Beginn war es sehr herausfordernd», gibt er zu. Eine Sauce Perigoudine und eine frisch-saure Zitronensauce werden zur Artischocken-Wähe angegossen – ein ebenso ungewöhnlicher wie hervorragender Hauptgang. Zum Schluss gibt es karamellisierte Mandeln, eine Mandelmousse sowie eine Safrancreme, Organgensorbet und Sauerkirschen. Für das Dessert werden sie als «Blume» arrangiert: sauer, bitter, süss, nussig und leicht salzig deckt es das ganze Aromenspektrum ab und ist ein letzter Beleg für den aussergewöhnlichen, einzigartigen Stil Colagrecos.
Fotos: HO