Text: David Schnapp
2019 sind Sie mit dem Riesentanker Casino Bern gestartet, Anfang 2020 war er auf Kurs, dann kam das Corona-Jahr. Wie war das aus Ihrer Sicht?
Den Lockdown konnten wir zunächst nutzen, um Dinge zu verbessern und Pläne für die Zukunft zu schmieden. Im Sommer hatten wir mit dann der Terrasse und dem Grill ein erfolgreiches Konzept. Den Schwung konnten wir aber nicht mitnehmen, weil im Restaurant die Kapazitäten stark reduziert werden mussten, was in einem grossen Betrieb ein wichtiger Erfolgsfaktor ist. Es gibt zwar die Kurzarbeit als gutes betriebswirtschaftliches Instrument, aber für die Mitarbeitenden ist das nicht nur einfach.
Was macht es schwierig?
Gerade in der Gastronomie arbeiten Leute mit hohem Einsatz und viel Leidenschaft, die nicht verstehen, warum sie tagelang zu Hause sitzen müssen. Das macht einigen Leuten auch ernsthaft zu schaffen. Wir mussten für solche Fälle psychologische Hilfe zur Verfügung stellen.
Können Sie sich auf das kommende Jahr überhaupt vorbereiten?
Die Aussichten für 2021 sind schwierig und eher ein Blick in die Kristallkugel. Wir würden gerne gute Leute holen, die es zurzeit auf dem Arbeitsmarkt gibt. Wir hatten auch einige Abgänge von Mitarbeitenden, welche die Branche gewechselt haben. Aber Kolleginnen und Kollegen auf Vorrat anzustellen, ohne zu wissen, ob man sie dann wirklich braucht, ist auch nicht sinnvoll.
Wie bleiben Sie in dieser Situation motiviert?
Es ist vielleicht vergleichbar mit dem Kochen: Wenn man einfach die besten, teuersten Zutaten gut zubereitet, gibt es irgendwann nicht mehr so viel Neues. Wenn man sich aber einschränkt, zum Beispiel auf möglichst regionale Zutaten, stellen sich einem ständig neue Herausforderungen, die kreative Prozesse auslösen. So ist es auch in der Führung: Es braucht eine laufende Anpassung an die Situation, und das treibt mich an.
Was heisst das konkret für das Casino Bern?
In einem so grossen Betrieb ist es ja nicht wie in einer Quartierbeiz oder wie in der klassischen Küche, wo der Koch eine Ansage macht und alle rufen «Oui Chef!». Wir haben gemerkt, dass die Verschmelzung von Teams eine gute Möglichkeit ist, um ein bestimmtes Qualitätsniveau unabhängig von der Person zu garantieren. Indem wir Aufgaben wie die Produktion und das Mise en Place, die Kontrolle am Pass, aber auch Einkauf, Arbeitsplanung, Budget sowie Ausbildung und Führung auf mehrere Leute verteilen, schaffen wir bessere Voraussetzungen für einen erfolgreichen gastronomischen Grossbetrieb.
Gilt der berühmte Spruch «Zu viele Köche verderben den Brei» nicht mehr?
Das gilt nur, wenn alle beim gleichen Thema mitbestimmen wollen. Uns schwebt eine moderne, so genannte Kreisorganisation vor, wo jede Verantwortliche und jeder Verantwortlicher auf eine bestimmte Sache spezialisiert ist. Das ist besser, als wenn alles von einer Person an der Spitze abhängt.
Mit dem Zunfttisch haben Sie 2020 ein ambitioniertes Projekt aufgegleist: Ein audiovisuelles Ess-Theater, wie man es in der Schweiz noch nicht gesehen hat. Wie schmerzhaft ist es, dass dort nicht aufgedeckt werden kann?
Aufgeschoben ist in diesem Fall nicht aufgehoben. Die Nachfrage ist gross, und sobald wir wieder können, läuft der Zunfttisch wieder. Was ich vermisse, ist die Rolle als Gastgeber – das ist Balsam fürs Herz. Auch wenn ich im Casino nicht am Herd stehe, hole ich immer noch viel Energie aus dem Kochen, jetzt passiert das einfach bei mir zu Hause.
Für den Zunfttisch haben Sie aber selber wieder Gerichte kreiert. Welches ist der beste Gang, den Sie 2020 serviert haben?
Für das Kochbuch, das wir zum Zunfttisch herausgegeben haben, habe ich gewisse Vorgaben gemacht, die meine Kollegin und meine Kollegen dann umgesetzt haben. Aber den Apero-Teil habe ich selbst übernommen. Und bei mir zu Hause entstand dann die Zwiebel-Tarte-Tatin mit Diemtigtaler Käsesauce, die sehr gut ankommt und ein Casino-Klassiker werden könnte. Es war schön zu sehen, dass ich es noch kann, wenn ich will.
Hört man im Casino eigentlich noch auf Sie, wenn es ums Kochen geht?
Ich schalte mich, wenn nötig, immer früh in Prozesse ein, und fördere nach wie vor meine Leute mit konstruktiver Kritik. Es kommt jedenfalls selten vor, dass meine Chefs die Hände verwerfen und an den Einwänden zweifeln.
Welche Erfahrung haben Sie in diesem turbulenten Jahr gemacht, die Sie weitergebracht oder geprägt hat?
Wir sind von der Gladiator-Mentalität, wo alle einem an der Spitze hinterherlaufen, zu neuen Wegen gekommen, die auch nach Rom führen. Im Team zu entscheiden, ist längerfristig die bessere Strategie. Dieser Wechsel weg von der Person und hin zu einer Organisation ist eine unglaubliche Bereicherung.
Was war das schönste Kompliment, das Sie 2020 bekommen haben?
Die Coiffeuse fand meine grauen Haare gar nicht so störend wie ich selbst. Und mein Bub findet, dass ich zu Hause ziemlich gut koche. Mehr kann man ja eigentlich nicht wollen… (lacht)
Wohin reisen Sie, wenn Sie wieder können?
Ich habe noch einen Aufenthalt in einer privaten Lodge in Südafrika zugute, den wir als Hochzeitsgeschenk bekommen habe. Und ich möchte unbedingt wieder nach Asien: China, Indien, Thailand. Ich muss wieder einmal etwas Anderes sehen, die Strassenküche riechen und meine Realität mit anderen Wirklichkeiten abgleichen. Schliesslich war meine Frau noch nie in den USA, das haben wir also auch noch vor.
Und bei wem wollen Sie unbedingt einmal essen?
Falls wir es nach Amerika schaffen, möchte ich unbedingt an den «Chef’s Table – Brooklyn Fare» in New York. Und wenn es Richtung Asien geht, bin ich gespannt auf Andreas Caminadas «Igniv» in Bangkok, weil mich interessiert, wie man ein solches Lizenz-Konzept gut aufzieht. Auf der Bucket-List für Zürich stehen ganz oben Stefan Heilemann und Nenad Mlinarevics «Neue Taverne».
Gemüse war bei vielen Spitzenköchen in letzter Zeit ein grosses Thema. Welcher Trend kommt als nächstes?
Gemüse bleibt ein Thema, weil es auch ein Kostenfaktor ist. Aber ich plädiere gleichzeitig für mehr Kombinationen mit Früchten. Das gibt sowohl im Dessert als auch im salzigen Bereich noch mehr her. Ich glaube auch, kochtechnisch ist das Thema Gemüse nicht ausgereizt, nur fermentieren und süss-sauer einlegen, reicht nicht. Bei den verschiedenen Garstufen von Gemüse gibt es noch Potenzial.
Womit verbringen Sie Ihre Freizeit?
Mich zieht es zurück in mein Heimatdorf Lyss, wo wir gerade ein Haus bauen. In meiner Freizeit bin ich oft in dieser Wellnessoase der Natur, hacke und schichte Holz. Im Sommer fahre ich frühmorgens mit dem Stand-up-Paddle auf den Bielersee hinaus. Ich bin kein Esoteriker, aber diese Stille ist beeindruckend, und gibt mir eine Art von Energie, die mir guttut.
Was befindet sich immer in Ihrem Kühlschrank zu Hause?
Käse wie zum Beispiel einen richtig salzigen Gruyère, aber auch Weichkäse hat es immer. Auch Milch, Trockenfleisch und Butter fehlt nie. Und meine Frau sorgt dafür, dass wir eine unglaubliche Vielfalt an streng saisonalen und wenn möglich immer biologischem Gemüse vorrätig haben, da ist sie sehr konsequent.
Was essen Sie aus Prinzip nie?
Ein halbausgebrütetes Ei würde ich nie essen und auch Schildkröten- oder Haifischflossensuppe dürfen nicht sein. Wenn wir in der Schweiz bleiben: Kalbsleber sagt mir einfach nichts. Und Austern. Das verstehe ich nicht.
Und was essen Sie täglich?
Käse und Schokolade: Mein neues Glücks-Doping sind ganze, geröstete Kakaobohnen aus biologischem Anbau in Peru. Die Aromen, Texturen und Bitterstoffe sind unglaublich.
Welches war der beste Instagram-Post, den Sie dieses Jahr gesehen haben?
Ich bin bei Instagram ein Schnell-Zapper auf der Toilette, viel bleibt da nicht hängen. Aber wen ich enorm schätze, ist Roland Trettl, wenn er am Herd steht und sich dabei mit seiner Frau unterhält: Ein grossartiger Entertainer, der super kocht und einen hohen Unterhaltungswert hat.
>> Was war, was kommt? Der GaultMillau Channel zieht Bilanz: Mit zehn Starchefs, die in diesem speziellen Jahr mit individuellen, besonderen Herausforderungen konfrontiert waren. Tanja Grandits, Sebastian Zier, Stefan Heilemann, Nenad Mlinarevic, Ivo Adam, Tobias Funke, Laurent Eperon, Bernadette Lisibach, Marco Campanella und Markus Stöckle im sehr persönlichen Chef's Talk.
Fotos: Yoshiko Kusano, HO, Olivia Pulver, Lucia Hunziker