Fotos: Digitale Massarbeit, Lukas Lienhard
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie gestresst fühlen Sie sich im Moment?
Momentan vielleicht 6. Ich bin im Endspurt, danach habe ich einige Tage Ferien und ich muss heute noch nach Mailand fahren für Filmaufnahmen – es ist gerade einiges los.
Wie muss man sich denn Ihren Alltag vorstellen – stressig oder entspannt?
Es gehört beides dazu. Nur Stress wäre nicht gesund. Einen Ausgleich zu haben, ist mir wichtig. Mein Tag beginnt immer mit meinen Kindern, ich bereite das Frühstück zu, danach geht der Grosse in den Kindergarten und der Kleine an manchen Tagen in die Kita. Dann habe ich noch etwas Zeit für mich, trinke einen Tee. Zwei Mal die Woche trainiere ich mit einem Personal Trainer. Ausserdem gehören Akupunkturbehandlungen zu meiner Wochenroutine. Bevor ich zu Mittag esse, habe ich meistens schon meine E-Mails beantwortet. Danach fahre ich ins Geschäft und schaue dort zum Rechten. Dazu gehört der Austausch mit meinen Mitarbeitenden. Manchmal kreiere ich neue Menüs und probiere sie dann gleich aus. Das gemeinsame Abendessen im Team ist ein Ritual. Da besprechen wir den Abend. Manchmal schmecke ich noch die Gerichte ab, überlasse dies aber auch oft dem Team, dem ich inzwischen viel Freiheit lasse. Wenn die Gäste kommen, bin ich vor allem Gastgeber.
Wie schaffen Sie es, in hektischen Momenten ruhig zu bleiben?
Da hilft mir die Achtsamkeit. Tief ein- und ausatmen – das führt am schnellsten zu Entspannung. Allerdings versuche ich, dass Hektik gar nicht erst aufkommt.
Und wie managen Sie Ihr Team im abendlichen Dinner-Stress?
Ich denke, wenn ich selbst ruhig bleibe, dann überträgt sich das aufs Team. In stressigen Momenten versuche ich, meine Leute zu beruhigen und sie zu ermutigen. Wir arbeiten in einer offenen Küche, die Gäste schauen uns zu. Das erfordert Offenheit. Wir pflegen eine gesunde Fehlerkultur; Fehler passieren. Dafür muss sich niemand schämen. Mir ist es wichtig, dass sich meine Mitarbeitenden wohl fühlen bei der Arbeit. Nur so funktioniert’s. Dass wir so transparent sind und uns nichts vormachen, gefällt mir sehr.
Gibt es weitere Mittel, die Sie einsetzen, damit Ihr Team gesund und motiviert bleibt?
Meine Mitarbeitenden sollen wissen, dass ich immer ein offenes Ohr für sie habe, dass sie auf mich zählen können und ich sie bei Bedarf unterstütze, ihnen aber auch viel zutraue. Ausserdem unternehmen wir regelmässig etwas zusammen. Wir besuchen beispielsweise einen Winzer oder sammeln gemeinsam Wildkräuter und Blüten für unsere Gerichte. Ausserdem haben wir einen kleinen Garten gegenüber dem Restaurant, wo wir ebenfalls ab und zu arbeiten. Das entschleunigt, stärkt den Team-Spirit und sorgt für eine Grundstimmung, in der sich alle wohlfühlen.
Trotzdem: Die Tage Ihrer Mitarbeitenden sind lang. Was bieten Sie Ihnen, damit der Stress nicht überhandnimmt?
Ich habe im Sommer 2022 die Viertagewoche eingeführt im Betrieb. Das war die beste Entscheidung. Unsere Arbeitstage sind intensiv und durchgetaktet, das Tempo ziemlich hoch. Meine Mitarbeitenden sollen allerdings nicht mehr als zehn Stunden am Tag arbeiten. Für sie ist es toll, dass sie oft drei Tage am Stück frei haben. Aus Arbeitgebersicht stimmt das Modell ebenfalls, denn die Arbeitsauslastung ist dadurch besser. Wir haben 30 Plätze im Restaurant und jeden Tag 15 Mitarbeitende im Dienst, da muss die Rechnung aufgehen.
Erinnern Sie sich an einen speziellen Moment, als der Druck besonders gross war?
Am meisten Druck verspürte ich, bevor ich 2022 den dritten Michelin-Stern erhielt. 20 Jahre lang habe ich auf dieses Ziel hingearbeitet. Dann, im Mai 2022, sagte ich zu meinem Team: Wir sind auf Drei-Sterne-Niveau, mehr können wir nicht tun. So setzte ich mich natürlich selbst extrem unter Druck, der bis im Oktober andauerte. Erst dann fand die Michelin-Verleihung statt. Als ich dann erfuhr, dass ich den dritten Stern erhalte, ist mir ein riesiger Stein vom Herz gefallen.
Wo entspannen Sie sich nach einem intensiven Arbeitstag?
Es ist tatsächlich so: Die Entspannung beginnt, wenn ich in meinen Mercedes einsteige. Er ist meine Entspannungs-Bubble. Ich bin allein, es ist bequem, ich stelle meine Musik ein – so kann ich herunterfahren und meine Gedanken sammeln. Ich vermeide auch das Telefonieren im Auto. Mit einem Elektro-Auto zu fahren, ist zusätzlich entschleunigend, da es so ruhig fährt. Dann gehe ich gedanklich oft meine weiteren Projekte durch. Wenn ich dann zuhause ankomme, bin ich schon sehr entspannt. Je älter ich werde, desto besser schaue ich zu mir, damit ich auf der Stress-Scala nicht höher als auf 6 komme. Wobei, zuhause mit meinen Buben, da kann es schon mal vorkommen, dass ich die 10 erreiche (lacht).
Was bedeutet Work-Life-Balance für Sie?
Ich mag den Begriff nicht. Für mich gibt es nur eine Life-Balance. Solange ich aufstehe und Freude habe an dem, was ich tue, ist alles in Ordnung. Meine Frau und ich sind sehr strukturiert, wir planen unseren Alltag. Meine Frau Amanda studiert aktuell für den Master of Wine und ist deshalb oft weg, daher ist eine gute Planung essentiell. So geniessen wir auch bewusst Zeit zusammen als Familie.
Wie trägt die Ernährung zu Ihrem Wohlbefinden bei?
Viel. Eine spezielle Ernährungsform ist bei mir nicht möglich, da ich im Job sehr viel probieren muss. Zuhause achte ich darauf, dass wir vielseitig essen, auch die Kinder. Am besten nimmt man mindestens 30 verschiedene Lebensmittel pro Woche zu sich, damit der Nährstoffbedarf abgedeckt ist. Bei den meisten Menschen sind es laut Statistik aber nur 15. Ausserdem ist uns Frische beim Essen sehr wichtig.
Sie sind ab und zu auf dem Skateboard anzutreffen: Warum hat es Ihnen gerade dieser Sport angetan?
Mit dem Skateboarden habe ich etwa mit 13 Jahren angefangen. Es hat mich einfach gereizt, vielleicht weil es aus Amerika kommt. Als ich in die Lehre kam, musste ich wegen der unregelmässigen Arbeitszeiten mit dem Mannschaftssport aufhören. Skateboarden war hingegen möglich. Es macht mir noch heute Freude, auch wenn ich nicht mehr auf dem Niveau wie früher bin. Jetzt wo mein sechsjähriger Sohn auch gerne in den Skatepark geht, bin ich wieder häufiger auf dem Board anzutreffen. Es passt einfach zu mir, ich bin eher der rebellische Typ und nicht der typische Dreisternekoch, der Golf spielt.
Gibt es Momente, in denen Sie sich fragen, ob sich der Stress überhaupt lohnt?
Es gibt immer Momente im Leben, in denen man sich hinterfragt. Ich mache eigentlich nur das, was mir Freude macht, deshalb gibt mir die Arbeit viel Energie zurück. Wichtig ist, dass man auch mal nein sagen kann.
Was ist Ihr persönlicher Anti-Stress-Tipp für Fahrten in Ihrem Mercedes-Benz?
Da ich ein E-Auto fahre, benötige ich mehr Zeit zum Tanken. Ich weiss inzwischen, wo die schönsten Raststätten sind. Während ich an der Schnellladestation warte, geniesse ich die 15-Minuten-Pause bewusst, trinke einen Kaffee, bewege mich. Was ich auch weiterempfehlen kann: die Massage-Funktion im Sitz. Ich lasse mich immer mal wieder kurz durchkneten, das entspannt.