Text: David Schnapp
Sebastian Zier, Sie kochen jetzt etwas mehr als ein Jahr ohne Ihren früheren Küchenchef-Partner Moses Ceylan. Wie ist es gelaufen?
Ich habe ja mit Richard Schmidtkonz einen neuen Küchenchef, der arbeitet schon seit vielen Jahren mit mir. So kann ich mich um das ganze Einstein Hotel kümmern, und unsere beiden Leben werden dadurch viel einfacher. Das ist keine Doppelspitze mehr wie früher mit Moses, aber letztlich eine vergleichbare Lösung.
Und abgesehen von der Organisation, wie klappt die kreative Arbeit?
Richie ist eine kreative Fabrik, ich bin eine alte Fabrik, da kommt viel zusammen. Aber mir ist wichtig, dass immer das ganze Team in kreative Prozesse involviert ist. Gute Ideen kann jeder haben, auch der Lehrling, der erst seit einem Jahr kocht. Deshalb sollte man als Küchenchef neuen Input zulassen. Das habe ich von Harald Wohlfahrt in der «Schwarzwaldstube» gelernt. Der war immer offen und hat dann entschieden, ob die neue Idee zu ihm passt oder nicht.
Sie sind im Januar dieses Jahres Vater geworden, haben unter einem langen Lockdown gelitten, ein neues Team zusammengeführt – wie fällt Ihre Bilanz für 2021 aus?
Vor zwei Wochen hätte ich noch Jubelarien angestimmt. Jetzt machen mir die neuen Entwicklungen mit Corona Sorgen. Ich wäre gerne ohne Belastungen ins neue Jahr gestartet, jetzt muss man sich schon wieder Gedanken machen. Dass wir aber Eigentümer haben, die hinter uns stehen, gibt mit viel positive Energie. Auch im Lockdown habe ich immer Rückhalt und Unterstützung gespürt, das ist ein grosses Glück.
Wie sieht der Montag bei Ihnen mittlerweile aus, wenn Sie an Ihrem Vatertag auf dem «Kinderposten» stehen?
Ich habe mich sehr auf unser Kind gefreut, aber als ich zum ersten Mal zehn Stunden mit Liam alleine war, und meine Frau wieder arbeiten gegangen ist, gab es schon Momente der Unsicherheit. Mittlerweile sind wir aber sehr gut eingespielt. Das Schwierigste war vielleicht die Umstellung auf einen neuen Tagesablauf – als Gastronom hat man in der Regel einen anderen Schlaf-Wach-Rhythmus als so ein kleiner Mensch…
Und wie hat sich Ihr Team im «Einstein» eingespielt?
Mein Team ist klein und wer etwas länger bleibt, gehört für mich emotional zur Familie. Einer der Sous-Chefs hat kürzlich gekündigt, aber ich habe dank meines guten Netzwerks schnell einen guten Nachfolger gefunden. Es war halt schon immer so, dass in der Gourmetgastronomie das einzig Beständige die Veränderung ist.
Was muss man heute als Arbeitgeber bieten, um gute Leute zu finden?
Wenn du es schaffst, dass die Leute gern zur Arbeit kommen, dann hast du schon viel erreicht. Der Arbeitgeber steht in der Pflicht, faire Bedingungen anzubieten, was Löhne und Zeiten angeht. Meine Mitarbeiter sind drei Abende zuhause, weil wir noch vier Tage offen haben und an einem Tag nur produzieren. Man muss heute schon etwas mehr tun.
Sie kochen klassisch, richten filigran an – wohin entwickelt sich Ihre Küche?
Durch Richards Einfluss werden neue, jüngere Elemente integriert. Aber das Wichtigste bleibt für mich der Geschmack, der kommt immer als erstes. Wir wollen einen optischen Aufwand betreiben, um Kochen als Handwerk darzustellen. Etwas Fleisch oder Fisch, ein Stück Gemüse und ein Püree-Punkt reichen mir nicht. Ganz puristisch möchte ich es nicht haben. Unser Essen hat 18 Punkte und zwei Sterne, das soll man sehen. Aber nach wie vor gibt es bei uns auch Löffelgerichte aus der Schale, es braucht beide Elemente.
Welches war Ihr persönliches Gericht des Jahres?
Der filigrane Käsegang mit frittiertem Vacherin als Kugel auf Zwiebeln, mit Périgord-Trüffel-Sauce und Zwiebelschaum halte ich wirklich für aussergewöhnlich. Und die Kombination aus Entenleber mit asiatisch gewürztem Ententee und leicht fermentiertem Rotkohl ist uns auch sehr gut gelungen..
Und gibt es auch ein Gericht, das Sie nicht mehr kochen würden?
Nein, das wäre ja schlimm! Manchmal brauchen wir sechs bis acht Wochen, bis ein Gericht fertig ist. Das ist alles schon sehr durchdacht. In sieben Jahren gibt es aus meiner «Einstein»-Zeit kein Gericht, dass ich nicht sofort wieder servieren würde.
Was war das schönste Kompliment, das sie dieses Jahr von einem Gast bekommen haben?
Der Grundtenor der Stammgäste war, dass wir genauso gut kochen würden, wie vor der Pandemie. Als Moses gegangen ist, hat mir das schon gewisse Sorgen gemacht und mich da und dort auch etwas zweifeln lassen. Dass wir es geschafft haben, gleich stark zurückzukommen, macht mich stolz.
Was haben Sie sich fürs neue Jahr vorgenommen?
Ich möchte, dass es privat und beruflich genau so weitergeht, wie die letzten Monate waren. Natürlich wollen wir immer noch etwas besser werden, aber manchmal ist es auch ganz gut, innezuhalten und zufrieden zu sein mit dem, was ist. Das heisst nicht, dass ich mich jetzt zur Ruhe setze, «Attacke!» bleibt mein Leitmotiv.
>> Die Channel-Serie zum Jahresende: Sieben begabte Chefs ziehen Bilanz. Heute: Sebastian Zier, 18 GaultMillau-Punkte im «Einstein», St. Gallen.
>> Einstein Gourmet, St. Gallen
Fotos: Remy Steinegger, Olivia Pulver, Fabienne Bühler