Text: Siméon Calame
Elf Jahre Seite an Seite. «Die Chefin war eine der ersten, die von der Schwangerschaft erfuhr. Und sie passte alsbald Amandines Arbeitszeit an, damit diese nach der Geburt unserer Tochter vor zweieinhalb Jahren genug Zeit fürs Kind haben würde.» Die Chefin ist Anne-Sophie Pic, die seit fünfzehn Jahren die Geniesser im Hotel Beau-Rivage Palace in Lausanne verzaubert. Amandine ist Amandine Theurillat, die Frau von Jordan Theurillat (Bild oben). Wer ist denn Jordan, werden Sie jetzt vielleicht fragen. Er ist derjenige, der das Vertrauen besagter Chefin geniesst, derjenigen Frau mit den meisten Michelin-Sternen weltweit. Mit 34 Jahren leitet er für «ASP» das mit 18 Punkten benotete Restaurant am Genfersee. «Dass meine Wahl auf Jordan fiel, war für mich selbstverständlich», sagt Anne-Sophie Pic, «er arbeitete elf Jahre an meiner Seite, und er hat ein ungeheures Interesse an den regionalen Produkten rund um Lausanne – eine unverzichtbare Voraussetzung fürs Konzept des Restaurants.»
Klares Ziel vor Augen. Trotz dieses Lobes übt Chefin ASP auch Kritik an Jordan: «Er muss lernen, mehr Abstand zu seinen Gerichten zu gewinnen, das Wesentliche anzustreben. Er wird lernen müssen, sich selbst zu vertrauen.» Selbstvertrauen? Jordan Theurillat misst fast zwei Meter! Gelassen wirkt er, als er im Foyer des Swiss Deluxe Hotels in Lausanne-Ouchy Auskunft gibt. Im September erst wurde das komplett neu gestaltete Restaurant wieder eröffnet. Das Ziel ist klar: «Wir setzen alles daran, um uns zu verbessern! Wir wollen den 19. Punkt von GaultMillau erreichen!»
Lehrjahre bei Marc Haeberlin. Schon seine Eltern hätten ein Restaurant gehabt, sagt Theurillat. Er habe dort seine ersten Pfannkuchen zubereitet. Seine schulische Laufbahn sei dann eher spektakulär gewesen, weil er bald gewusst habe, dass er Koch werden wolle. Und schon mit 15 Jahren machte er die ersten Praktika in der Welt der Sternerestaurants, wo er alsbald konzentrierte Brigaden, präzises Arbeiten und anspruchsvolle Kundschaft kennenlernte. Nach einer dreijährigen Ausbildung an der Hotelfachschule landete er für zwei Jahre bei Marc Haeberlin in der legendären Auberge de l'Ill in Illhäusern im Elsass. Machte ein «Zwischenjahr» bei Michaela Peters im «Rendez-Vous de Chasse» in Colmar, bevor er wiederum bei Haeberlin einstieg und sich zum Patissier fortbildete: «Bei Marc Haeberlin habe ich alle Küchenposten durchlaufen!», sagt er rückblickend. Im Jahr 2014 dann, mit 24 Jahren, stand eine Veränderung an. Er wollte unbedingt bei Anne-Sophie Pic anheuern, von der er schon viel gehört hatte. Es klappte, er trat der Brigade im Beau-Rivate Palace Lausanne bei.
Gemeinsam Gerichte kreieren. Jordan Theurillat geniesst es bis heute, mit Chefin Pic eng zusammenzuarbeiten. Der zart gegarte Saibling mit in Senf eingekochtem Fenchel, der am Jahresende auf der Karte stehen wird, basiert auf einer seiner Ideen: «Auf dem Wochenmarkt in Cuendet sind mir diese Mini-Gemüse aufgefallen – ich erzählte ihr davon.» Zusammen entwickelten sie ein ein aussergewöhnliches Gericht, welches den Fisch mit einer hinreissenden Sauce aus Liebstöckel, Dill und Kaffee verbindet. Beitrag der Chefin: Der «Crunch» aus Fischhaut und die frittierten Algen. Ein Hochgenuss!
Ab nach Paris! Wie Jordan Theurillats Karriere weiterging? Er macht seinen Job in Lausanne so gut, dass Anne-Sophie Pic ihm den Posten als Chefkoch im «Dame de Pic» in Paris anbietet. Er nimmt an – natürlich ohne zu wissen, dass er in diesem kleinen Restaurant in der Rue du Louvre der Sommelière Amandine begegnen wird: «Ich liebe dieses Pariser Lokal bis heute», sagt er mit einem Lächeln. «Ich durfte dort schalten und walten, als wäre es mein eigenes Restaurant.» Die Vertrautheit zwischen Anne-Sophie Pic und Jordan Theurillat verstärkt sich in Paris weiter, so sehr, dass sie ihm anbietet, die Mitarbeiter für die Eröffnung des «Dame de Pic» im französischen Skiort Megève auszubilden (es ist mittlerweile geschlossen) und danach das Restaurant in Lausanne zu leiten.
Verständnis fürs Schweizer Terroir. Anne-Sophie Pics Vertrauten in den jungen Küchenchef ist bis heute ungebrochen. «Er versteht meine kulinarische Vision», sagt sie, «und immer wieder überrascht mich seine Sensibilität für die Natur und die Terroir-Produkte, welche die Schweiz zu bieten hat.» Nicht selten ist der Motorsport-Fan nun auf den Strassen der Westschweiz unterwegs, um mit den langjährigen Produzenten von Madame Pic zu sprechen. Um neue Zulieferer zu entdecken, um unbekannte oder wilde Zutaten kennenzulernen. «Dafür gibt es nichts Besseres als einen Spaziergang in den Wäldern des Jorat.»
Bärlauch & Tannensprossen. «Mir hat es besonders das Restaurant Chalet des Enfants angetan», gesteht Jordan Theurillat. «Dort kann ich das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden – erst ein Häppchen essen, dann durch Wald und Wiesen wandern, mit meiner Tochter und einem Korb unter dem Arm!» Darin landen dann Bärlauch oder Tannensprossen. Der Koch freut sich jetzt schon auf den nächsten Frühling, um mit seiner Brigade wieder solche Zutaten aus der Natur zu sammeln.
Treffpunkt DJ-Snake-Konzert. Zutaten «aus der Natur» gibt es auch in der umittelbaren Nähe des Beau-Rivage Palace: «Ich gehe oft ins Gewächshaus, wo ich zwei, drei Pflanzen ziehe, die wir in der Küche verwenden.» Welche genau? Jordan schmunzelt: «Diesen Frühling habe ich drei Kurkumapflanzen gesetzt, ohne zu wissen, was daraus wird. Ich konnte 200 Gramm ernten, auch wenn ich kein Gärtner bin!» Hört man ihm zu, ist man fast überrascht zu hören, dass er ein Liebhaber von Elektro-Musik ist. Wenn Sie ihn also nicht in der Natur antreffen, dann wohl Anfang Mai im «Stade de France» beim Konzert von DJ Snake: «Ich war bisher an jedem seiner Konzerte.»
Wer ist seine schärfste Kritikerin? In den Hotelküchen im Erdgeschoss des eleganten Beau-Rivage Palace hört man nirgends Musik. «Sie würde unsere Konzentration stören», sagt Jordan Theurillat. «Eine Ausnahme machen wir nur am Samstagabend beim Putzen.» Bleibt eine letzte Frage: Was ist eigentlich einfacher, Anne-Sophie Pic zu gefallen oder der zweieinhalbjährigen Tochter? «Meine Tochter ist gutes Essen gewohnt – entspricht ein Gericht ihren Vorstellung nicht, lässt sie das sofort durchblicken», sagt der Küchenchef. Und lächelt.
Fotos: Mike Wolf, Olivia Pulver, Groupe Pic