Fotos: Christopher Kuhn
Gesucht: Harmonie. Gleich am Anfang unseres Gesprächs sagt Michael Dober einen erstaunlichen Satz. «Ich bin kein typischer Alpha-Chef», antwortet er auf die Frage, welche Art von Küchenchef er sei. «Ich suche Harmonie bei der Arbeit und möchte es allen recht machen», fügt der zurückhaltende, freundliche Ostschweizer noch an, und gibt gleich danach freimütig zu, dass bei dieser Art von Führungskultur die Gefahr bestehe, dass sie zu sehr auf seine Kosten gehe. Grosses Bild oben: Michael Dober.
Militärische Organisation. Küchenchefs sind in der Regel Alphamännchen. Wer in der sprichwörtlichen Hitze des Service-Gefechts den Überblick bewahren kann und seine Leute mit knappen Kommandos in die richtige Richtung schickt, muss vorangehen wollen. Die klassische französische Küche ist schliesslich nach militärischem Vorbild organisiert, am Pass steht gewissermassen der Hauptmann, auf den Stationen arbeiten unter der Führung von Unteroffizieren die Soldaten und Rekruten.
Chef durch Zufall. Viele Küchen haben sich zwar – zum Glück – in durchaus lebensfreundlichere Biotope verwandelt, die Arbeitsbedingungen in der Gastronomie werden besser, vielerorts steigt der Frauenanteil, und dazu kommen Chefs wie Michael Dober, welche die Ideale der so genannten Generation Z auf überzeugende Art verkörpern. Dober ist der Chef, der keiner sein will, und der eher zufällig in diese Rolle geraten ist. Aufgewachsen als Sohn von Eltern, die in Flawil eine Confiserie führen, entschied sich der damals 15-Jährige zunächst für eine Konditorlehre. Das Kochen habe ihm zwar immer besser gefallen, aber «damals hat mich die Atmosphäre in der Küche überfordert», sagt Dober heute.
«Selbstbestimmt kreativ.» Die Kochlehre machte er im Anschluss und als junger Koch war Michael Dober unter anderem bei Reto Lampart in Hägendorf, im Zürcher Hipster-Restaurant Maison Manesse oder bei Ivo Adam in den «Seven»-Filialen Ascona und Zermatt beschäftigt. In die Rolle des Küchenchefs sei er gekommen, als im Winterthurer Roten Turm der Posten durch einen Abgang frei wurde, und sich Dober die Aufgabe mit einem Kollegen teilen konnte. «Selbstbestimmt kreativ zu sein», sei das, was ihm an seiner Arbeit gefalle, sagt er.
Kotelett, Schmalz, Blut, Herz, Haut. Im Winterthurer 14-Punkte-Restaurant Rosa Pulver, das aus einem Pop-up-Projekt hervorgegangen ist, hat Michael Dober nicht nur eine sozialverträgliche Führungskultur etabliert, sondern auch andere Forderungen seiner Generation selbstverständlich umgesetzt. Wo und wie die Tiere aufgewachsen sind, deren Fleisch er verarbeitet, weiss Dober ziemlich genau. Und dass, wie im aktuellen Menü, nur ganze Schweine verarbeitet werden, versteht sich fast von selbst. Im Hauptgang serviert der Koch beispielsweise zum klassisch mit Butter arrosierten Kotelett eine in Schweineschmalz konfierte Zwiebel, aus dem Blut des Tiers entsteht ein süsslicher «Black Pudding», das geräucherte Herz wird zum Gewürz und die gepuffte Haut zum Knusper-Element.
Horizonterweiterung für die Gäste. Michael Dober über seine Idee des guten Essens. Seine Gäste will er dennoch weder bevormunden noch belehren. Geschickt komponiert Dober deshalb seine Menüs und setzt gerade so wenige polarisierende Komponenten wie eine Schweineleber-Creme ein, damit niemandem die gute Laune verdorben wird, und das Publikum dennoch eine Art von Horizonterweiterung erfährt. Auch religiöser Dogmatismus ist ihm fremd. Als Würzelement des Gerichts rund um Schwein und Zwiebel kommt eine XO-Sauce zum Einsatz, für die Miesmuscheln und getrocknete Shrimps aus dem Asia-Shop verwendet werden: Hier mache ich eine Ausnahme, weil diese Sauce einfach gern habe», sagt der Koch.
Freude ist der Antrieb. Das Feedback seiner Gäste sei ihm wichtig, sagt Michael Dober, «daraus schöpfe ich neue Energie». Und gefragt danach, was ihn antreibe, antwortet er: «Es geht darum, Freude zu haben an dem, was ich mache. Auf einen Hof zu gehen und Produzenten kennen zu lernen gehört ebenso dazu, wie wilde Kräuter, Beeren oder Früchte zu sammeln. Aber es gehört eben auch dazu, dass es den Mitarbeitern gut geht», findet Dober. Im «Rosa Pulver» zeigt der talentierte Koch, dass man es in seiner Position auch ohne die typischen Küchenchef-Attitüden weit bringen kann.
>> GaultMillau und American Express scouten junge, begabte Köche, die die Zukunft vor sich haben, für die Liste «Talente 2024». Fortsetzung folgt.