Text: Urs Heller| Fotos: Olivia Pulver
Am Herd: Mike Wehrle & Raphael Tuor. Eigentlich sollte das «Ritzcoffier» das Signature Restaurant werden im Bürgenstock-Resort, aber nach fulminantem Auftakt ging alles schief: Der Vertrag mit dem berühmten Signature Chef Marc Haeberlin (drei Sterne im Elsass) wurde schnell einmal aufgelöst. Und als Corona kam, war für fast zwei Jahre Lichterlöschen. Jetzt der Re-Start: Culinary Director Mike Wehrle (grosses Bild oben) verabschiedete sich vom ambitionierten Fine Dining, schrieb ein luxuriöses Brasserie-Konzept, steht wieder selbst am Herd und holte zusätzlich einen erfahrenen Koch auf den Berg: Raphael Tuor, der die «Krone» Blatten für diesen Traumjob gewissermassen durch die Hintertür verliess, mit 16 GaultMillau-Punkten im Gepäck. Mike Wehrle: «Ich brauche einen, der die Klassiker beherrscht. Einen wie Raphael Tuor. Wir haben auch jüngere Köche gecastet, aber die haben einen anderen Stil.» Für Tuor eine Challenge: Will er sein hohes Standing halten, muss er auf dem Berg Erfolg haben. Viele Wechsel senken den Marktwert.
Die Bouillabaisse. Vom «Adler-Seppi». Raphael Tuor musste auf dem Bürgenstock zum Probekochen antreten, ehe er seinen Vertrag kriegte und überzeugte die Jury mit einer fantastischen «Bouillabaisse Cap de Marseille». Die steht jetzt auch auf der «Ritzcoffier»-Karte, erhältlich in zwei Portionengrössen. Sie ist wirklich aufregend gut: Für die Zubereitung der Suppe gibt der Chef wie in Marseille die echten Bouillabaisse-Fische in den Topf. Im tiefen Teller liegt dann die edle Ware: Bar de ligne, Rouget, Gambero Rosso, Calamaretti, Vongole. Wo hat Tuor eigentlich das Rezept her für diese Power-Fischsuppe? «Vom Adler-Seppi in Nebikon», verrät Tuor; er hat jahrelang beim besten (und fröhlichsten) Koch, den Luzern je hatte, gearbeitet.
Gänseleber, Kaviar, Hummer Cocktail. Der Bürgenstock, über Ostern restlos ausgebucht, ist ein Fünfsterne-Resort. Also kocht man auch in der Brasserie zwar sehr klassisch, aber auch sehr ambitioniert. Bei der gratinierten Zwiebelsuppe bleibt es nicht. Bei den Austern kombiniert man Gillardeau No.2 und Marenne No. 2. Die Gänseleber-Terrine mit Chili im Rhabarber-Chutney und buttrigen Brioche aus dem Ofen ist perfekt. Den Kaviar gibt’s im Trio, zum Teilen und für heftige 380 CHF: Oscietra Prestige, Kristal und Transmontanus, je 30 Gramm! Der Hummer Cocktail ist wohl das Masterpiece bei den Startern: Kanadischer Hummer aus einem raffinierten Sud (Ahornsirup, Olivenöl, Limettensaft, Meersalz, Thymian), elegant angerichtet auf einem knackigen Eisbergsalat, mit Piment d’Espelette und grünem Apfel. Hummer Cocktail reloaded.
Miéral-Perlhuhn & Pyrenäen-Lammschulter. Hoflieferant für den Hauptgang: «Artisan en Comestible» Fredy von Escher aus Zürich. Markenzeichen: Top-Qualität und saftige Preise. Er liefert die Schulter von Pyrenäen-Lamm auf den Berg. Sie wird bei 65 Grad fünfeinhalb Stunden in Butter gegart. Noch besser ist nur die Beilage: Hachis Parmentier! Der Pariser Apotheker Antoine Parmentier hat diesen Kartoffelauflauf im 18. Jahrhundert für den kränkelnden König Louis XVI erfunden, aber natürlich liegt im «Ritzcoffier» nicht simples Hackfleisch im Töpfli, sondern Herz, Nierli, Leberli und Comté-Käse von Maître Antony aus dem Elsass. Das «Miéral»-Perlhuhn wird gefüllt und in zwei Gängen serviert: Die Brust auf Morcheln und Bärlauch, die Schenkel als Ragout, mit Kartoffeln aus dem Ofen. Regieanweisung auf der Karte: «Für zwei bis vier Personen». Und für 168 CHF.
Frühmorgens auf dem Luzerner Wochenmarkt. Raphael Tuor bringt nicht nur sein Knowhow mit auf den Berg, sondern auch die Lieferanten seines Vertrauens. Nach dem Eröffnungsabend im «Ritzcoffier» führte er seinen Chef frühmorgens über den Luzerner Wochenmarkt. Zu Käse-Experte Rolf Beeler. Und vor allem zu Edgar Boog («Buuregarten Hünenberg»). Mike Wehrle: «Fantastisches Gemüse. Müssen wir haben.» Artischocken packte er gleich ein, für die «Artischocken Provençales» mit Ratatouille, Ziegenfrischkäse und Mie de pain. Die beiden wichtigsten Mitarbeiter in der Brasserie: Star-Pâtissier Damian Carini bremst für einmal seine Kreativität, bleibt dem Konzept treu und ist auch für «Tarte au citron» und «Crèpes Suzette» zu haben. Sommelier Matteo Rimoldi (1000 Etiketten auf der preisgekrönten Karte) entkorkt stolz einen Meursault-Genevrières Hospice de Beaune 2017. «Davon hat der Bürgenstock zur Eröffnung ein ganzes Barrique gekauft. Jetzt ist der Wein trinkreif.» Übrigens: Margarita und den Negroni zum Start in die Vollmondnacht werden «table-side», direkt vor dem Gast zubereitet. Brasserie de luxe halt.
>> PS. Ab sofort gibt es im «Ritzcoffier» das berühmte Sonntags-Buffet wieder. Der Brunch ist eigentlich eher ein Lunch, die Hauptgänge werden am Tisch serviert.