Interview: Kathia Baltisberger

Tobias Funke, Sie haben schon vor dem Bundesratsentscheid beschlossen, die Fernsicht zu schliessen. Was tut Ihnen dabei am meisten weh?
Wir hatten gemerkt, dass es mit der 19-Uhr-Regel gar nichts bringt. Nur mit Mittagsservice bringen wir hier in Heiden die Frequenz nicht hin. Wir hatten auch das Fondue-Chalet aufgebaut. Ich habe dafür extra Gondeln angeschafft. Es war ein wirklich grosser Aufwand. Wir konnten dabei die Sicherheit der Gäste wahren. Ich war zuversichtlich, dass wir durch den Winter kommen, sonst hätte ich das ja nicht gemacht. Aber immer mehr Restriktionen bedeutet mehr Verlust. Klar, geht es auch ums Geld. Aber Das Fondue-Chalet hat immer so viele Emotionen ausgelöst, hier kehrten Top-Manager und Handwerker ein, alle fühlten sich wohl. Dass wir dieses Gefühl dieses Jahr nicht vermitteln können, tut am meisten weh. 

 

Dann ist Ihnen jetzt ja langweilig?
Überhaupt nicht. Wir haben während des Lockdowns einen Webshop aufgebaut, den wir jetzt noch perfektioniert haben. Wir verschicken Genussboxen in die ganze Schweiz. Es gibt solche mit unserer eigenen Fondue-Mischung oder mit einem Mehrgangmenü, zum Beispiel mit geschmortem Fleisch. Alle Produkte sind aus der Schweiz. Auch mein Pâtissier Kay Baumgardt hat Gas gegeben und eine tolle Panettone-Rezeptur entwickelt. Seine Pralinés und Schoggitafeln kann man auch bestellen. Ich habe wirklich grosse Freude. 
 

Onlget mit wildem Brokkoli - Grillieren mit Chef Tobias Funke auf dem Big Green Egg für den Profi. - Restaurant Fernsicht Heiden - Freitag, 7.6.2019 - Copyright Olivia Pulver

Tobias Funke bereitete schon Second Cuts wie das Onglet zu, als das noch nicht im Trend war.

Und was meldet die Buchhaltung?
Seit der zweiten Welle haben wir Geld verloren. Aber wir haben 2020 auch besser gearbeitet als im Vorjahr. Dank der Unterstützung unserer Gäste im Lockdown konnten wir auch diesen abfedern. Wir konnten uns in allen Bereichen halten oder sogar steigern – und das ohne einen Event durchzuführen. 

 

Sie bekamen im Oktober 2019 einen Punkt mehr. Michelin schob noch einen zweiten Stern hinterher. Welche Auswirkungen hatte das auf die Fernsicht im vergangenen Jahr?
Die Leute haben gemerkt: In Heiden passiert etwas. Seit dem zweiten Stern machen wir deutlich mehr Umsatz. Ich habe mittlerweile sieben Köche in der «Incantare»-Küche. Man kann mehr Gas geben in der Küche, aber auch in allen anderen Bereichen. Es hat sich wirklich viel getan. 

 

Und mit Kay Baumgardt haben Sie einen Pâtissier, der selber gerne im Rampenlicht steht. Gibt’s manchmal Hahnenkämpfe? 
Im Gegenteil. Die Auszeichnung «Pâtissier des Jahres 2020» hat ihn gepusht. Das gibt zusätzliche Energie. Aber in der Fernsicht bin ich der Chef. Es geht nichts raus, ohne dass es von mir abgesegnet ist. Kein Dessert, keine Weinbegleitung, kein Gericht. Gleichzeitig darf sich jeder in seinem Metier so entfalten, wie er will. Jeder darf seine Ideen einbringen und ich gönne jedem Mitarbeiter den Erfolg. 
 

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Dreamteam: Kay Baumgardt und Tobias Funke verstehen sich beruflich als auch privat bestens.

Incantare, Swiss Alpine Restaurant, Fondue Hütte, Eisfeld, Frohburg. Denken Sie manchmal nicht, Sie übernehmen sich ein wenig? 
Das Eisfeld haben wir dieses Jahr gar nicht gemacht und die «Frohburg» – ein Restaurant in Heiden – habe ich jetzt verpachtet. Aber ja, die Zeit ist manchmal ein Problem. Oft arbeite ich 70 bis 80 Stunden pro Woche. Als wir die Gondeln installierten, waren es über 100. Wir haben alles selbst gemacht, gespachtelt, gemalt. Erst als ich noch neue Polster aufziehen wollte, habe ich den Bettel hingeschmissen und einen Handwerker engagiert. In solchen Zeiten laufe ich schon auf den Felgen und denke. Das war jetzt too much. 

 

Wie schaffen Sie den Ausgleich?
Dank meinem Hund Duke. Ich gehe jeden Tag vor der Arbeit eine halbe Stunde spazieren und am Nachmittag nochmals eine Stunde. Ausserdem fahre ich seit dem Lockdown wieder Rennvelo. Das habe ich davor lange nicht mehr gemacht – der Hintern tut mir immer noch weh. Und ich habe vor drei Jahren angefangen zu tauchen. Das zu integrieren ist im Moment allerdings schwierig. Aber man muss auch sagen: Die Arbeit ist zwar streng, aber nicht belastend. Ich stehe jeden Morgen gerne auf. 

 

Und welche von Ihren vielen Aufgaben machen Sie am liebsten?
Am Abend am Herd vom «Incantare» stehen. Kochen und anrichten. Das ist auch das, was ich jetzt am meisten vermisse. 

 

Welches war Ihr bester Gang in diesem Jahr?
Ich glaube, wir werden mit jedem Menü ein bisschen besser. Eins der besten Gerichte war sogar ein veganes. Die Idee dazu haben wir bei Gaggan Anand abgeschaut: Ein Teller mit Deckel, auf dem «Läck Mii!» steht. Die Creme aus Pilzkraut muss man ablecken, darunter ist ein BBQ-Pilz mit Pasta, einem Sud aus Blaubeer-Essig und getrockneten Pilz-Chips. 

Sommelier Stefan Weise, Gasthaus zur Fernsicht, Incantare; Champagner Laurent-Perrier Grand Siècle Nr. 24Wolfsbarsch mit gerösteter Blumenkohlcreme, Sake-Beurre-blanc und Tomatillo; Koch Tobias Funke; Foto: Digitale Massarbeit, Tanja und Simon Kurt

Tobias Funke: «Am liebsten stehe ich im Incantare am Herd.»

Sommelier Stefan Weise, Gasthaus zur Fernsicht, Incantare; Champagner Laurent-Perrier Grand Siècle Nr. 24Wolfsbarsch mit gerösteter Blumenkohlcreme, Sake-Beurre-blanc und Tomatillo; Koch Tobias Funke; Foto: Digitale Massarbeit, Tanja und Simon Kurt

Tausendsassa: Tobias Funke kocht im «Incantare», führt das Zweitrestaurant, organisiert ein Eisfeld und eine Fonduehütte.

Pinienkernen Financier mit Rucolapulver einer falschen Erdbeere und einem falschen Stein. - Pâtissier Kay Baumgardt zeigt uns seine neuesten Dessert-Kreationen. - Restaurant Fernsicht Heiden - Freitag, 7.6.2019 - Copyright Olivia Pulver

Dessert von Kay Baumgardt: Pinienkernen-Financier mit Rucolapulver und einer falschen Erdbeere.

Vegan? Sie sind ja eher für Ihre Vorliebe für Second Cuts bekannt. Aber Sie haben auch den Gemüse-Trend mitgemacht. 
Ich renne keinen Trends nach. Second Cuts haben wir schon gemacht, als sie noch nicht in waren. Ob Vegi oder Vegan – ich mag einfach diese Kategorisierungen nicht. Ich koche einfach, was mir Spass macht. Second Cuts sind immer noch wichtig. Neu habe ich Fleisch von den Kuro-Schweinen. Das Fleisch lasse ich seit drei Monaten am Knochen dry agen. Das Fleisch ist genial. Im Webshop kann man einen Schulterbraten bestellen. 

 

Welches war das schönste Kompliment, das Sie dieses Jahr bekommen haben?
Ehrlich gesagt die Auszeichnung vom Magazin Falstaff zum «Wirt des Jahres». Das kam völlig unerwartet. Komplimente sind in unserem Betrieb ohnehin sehr wichtig. Meine Chef de Service im Fondue-Chalet – ohne die ich das Ganze gar nicht machen würde – sagte neulich zu mir: Du bist ein toller Chef. Du bist strikt und hast deine Linie. Aber du gehst auf jeden Mitarbeiter ein, auf das Level, auf dem er ist. Ich brauche diese Komplimente, genauso wie sie meine Mitarbeiter brauchen. 

Tobias Funke Fernsicht Heiden

Funkes bester Gang? «Läck mii!», ein veganes Pilz-Gericht.

Was planen Sie für das nächste Jahr?
Im Januar wollen wir vielleicht ein paar Wochen im Ausland kochen. Es ist noch nichts spruchreif. Auf den Seychellen oder in Dubai. Ein Land ohne Quarantänepflicht. Aber sonst plane ich noch nicht viel weiter, weil alles so unsicher ist. Aber ich freue mich auf Events, die abgesagt wurden und nachgeholt werden wie das St. Moritz Gourmet Festival.

 

Sie reisen gerne zu Ihren Produzenten, nach Norwegen oder Ghana. Was steht auf dem Programm, wenn wir wieder unbeschwert reisen können?
Dann will ich nach Spanien zu Balfego. Ich will schauen, wie der Thunfisch-Fang dort wirklich läuft. Die Qualität ist hervorragend. Ich möchte dann auch mit den Leuten tauchen. Die Taucher schauen, dass sich die Fische nicht in den Netzen verheddern. 

 

Und wo zieht es Sie privat hin? Bei welchem Kollegen wollen Sie unbedingt essen?
Im Oktober hatten wir Ferien. Da war ich bei Mitja Birlo in Vals und bei Jeroen Achtien in Vitznau. Man war ja gezwungen in der Schweiz zu bleiben und dann besucht man die Kollegen auch wirklich mal. Neulich war Nick Bril vom «The Jane» in Antwerpen bei uns. Er hat uns befohlen, ihn zu besuchen. Bei Björn Frantzén war ich auch noch nie. Und zu Marco Müller ins «Rutz» in Berlin, dem neusten 3-Sterne-Restaurant im deutschsprachigen Raum, möchte ich auch. 

Tobias Funke Fernsicht Heiden

Funke bei seiner Reise zum Start-up Koa in Ghana.

Corona hat Ihnen auch die Hochzeit verdorben. Holen Sie diese nächstes Jahr nach?
Wir konnten uns auch nicht zivil trauen lassen, weil meine Verlobte Larissa vier Tage vorher an Corona erkrankte. Ich erstaunlicher Weise nicht, aber ich musste natürlich in Quarantäne. Wir holen die Hochzeit nach, wenn alles wieder läuft. Dann feiern wir im «Oberen Mönchhof» in Kilchberg. Der Chef, Adrian Thoma, ist ein guter Freund. Es ist ein wunderschönes Riegelhaus und es gibt eine feine Küche. 

 

Welches war dein Lieblingsbild auf Instagram?
Die Reise nach Ghana, war etwas vom Schönsten, das ich erleben durfte. An einem Abend habe ich mit einer einheimischen Frau gekocht – oder besser gesagt frittiert. Ich war voll verschwitzt (lacht). Ihre Art zu kochen hat mich fasziniert: Alles in den Mixer und aufkochen. Eine schöne Erinnerung. Allgemein muss man sagen, dass Instagram auch immer wichtiger wird. Früher habe ich das nebenbei gemacht. Heute generieren wir sogar Umsatz darüber.

Was essen Sie nie?
Mit Melone kann man mich jagen! Keine Ahnung warum, aber das finde ich echt schrecklich. Wassermelone auf dem Grill ist ok. Und aus Prinzip esse ich keine Produkte wie Haifischflossen. Ich würde nie Hundefleisch essen oder Fleisch von bedrohten Tieren. Und genau aus diesem Grund will ich mir eben auch die Thunfisch-Fangmethoden selbst anschauen, um mich davon zu überzeugen. 

 

Und was muss immer in Ihrem Kühlschrank sein?
Ich habe immer so Schoggi-Haselnuss-Aufstrich zu Hause. Aber nicht Nutella, wegen dem Palmöl. Aber ehrlich gesagt, bin ich noch auf der Suche nach dem perfekten Aufstrich. Und ich habe gerne Curry-Pasten zu Hause, weil ich viel asiatisch koche. Zu Hause habe ich keine Zeit für eine komplizierte Küche. Da verbringe ich lieber Zeit mit meiner Freundin und dem Hund. 

 

>> Was war, was kommt? Der GaultMillau Channel zieht Bilanz: Mit zehn Starchefs, die in diesem speziellen Jahr mit individuellen, besonderen Herausforderungen konfrontiert waren. Tanja Grandits, Sebastian Zier, Stefan Heilemann, Nenad Mlinarevic, Ivo Adam, Tobias Funke, Laurent Eperon, Bernadette Lisibach, Marco Campanella und Markus Stöckle im sehr persönlichen Chef's Talk.

 

Fotos: Olivia Pulver, Digitale Massarbeit, Brunner Fotografie Heiden