Text: David Schnapp Fotos: Digitale Massarbeit
Felsenbirnen hinter dem Hotel. Mitja Birlo nimmt den Hinterausgang seiner Küche, steigt eine Treppe hinauf, geht vorbei am Gehege mit den Champagner-Hasen, bis er vor einigen unscheinbaren halbhohen Bäumen. Hier wachsen Felsenbirnen, Sommerfrüchte in der Grösse von Johannisbeeren, die in Vals auf 1252 Meter über Meer noch etwas Zeit brauchen, bis sie rot und reif sind. Einige der Minibirnen kann der Chef im Restaurant «7132 Silver» schon pflücken, bis er aber sechs, sieben Kilogramm davon als Chutney haltbar machen kann, braucht es noch etwas Geduld.
Kreative Energie. Der 35-Jährige Birlo ist seit dem Weggang von Sven Wassmer nach Bad Ragaz Küchenchef im Gourmetrestaurant des famosen Therme-Hotels «7132» und leistet hervorragende Arbeit auf höchstem Niveau, ohne dabei sehr viel Aufsehen um sich selbst zu machen. Dass das Restaurant mit 18 Punkten und 2 Sternen zur nationalen Spitzen gehört, ist das Ergebnis kreativer Energie und handwerklicher Meisterschaft.
Pfefferkraut und Bronzefenchel. «Die Ideen gehen mir nie aus», sagt Mitja Birlo ohne falsche Bescheidenheit, während er zum leicht verwilderten Kräutergarten des Hotels weitergeht, um dort Pfefferkraut und Bronzefenchel zu ernten. Ein- bis zweimal pro Woche gehen Birlo und sein siebenköpfiges Team in die ebenso schroffe wie schöne Bergwelt hinaus, pflücken wilde Kräuter, essbare Blüten, Tannensprossen oder Beeren, die dann überall im Menü wieder zum Vorschein kommen.
Zeit und Ort. Birlo will sich zwar keinen Dogmen unterwerfen, «ich bereite auch mal einen Steinbutt zu», sagt er. Aber im Wesentlichen ist sein aktuelles Menü ein hervorragendes Beispiel dafür, wie man ein Restaurant in die Zeit und den Ort einbettet, wo es sich befindet. Der Saibling aus dem Val Lumnezia etwa, der nur sachte unter der Wärmelampe temperiert wird, legt der Küchenchef in eine Sauce auf Basis von fermentierten Peperoni, gibt etwas Korianderöl und Bronzefenchel dazu und würzt das Gericht schliesslich mit Saiblingsrogen und knusprigen Bröseln, die aus dem Fett der hausgemachten XO-Sauce gemacht werden. Der Saibling aus der Region, die komplexe Sauce mit dem sommerlichen Geschmack der Peperoni – es ist eine einzigartige Geschmackswelt, die hier entsteht.
Avantgarde und Tradition. Den Felsenbirnen begegnen wir gegen Ende des Menüs wieder, wenn sie in einem knusprigen Taco als süss-säuerliches Chutney eine herbe Creme von Blauschimmelkäse fruchtig kontrastieren. Dass auch noch etwas Blauschimmelkäse in flüssigem Stickstoff schockgefroren und als Pulver verwendet wird, ist dabei Ausdruck einer Küche, die mühelos avantgardistische Ideen und traditionelle Techniken wie das Haltbarmachen vereinen kann. Einmachen, einkochen, einlegen sind fester Bestandteil der «Silver»-Alltags.
Bärlauch und Ente. Die Bärlauchsaison beispielsweise ist natürlich vorbei, aber Birlo und sein Team haben im Frühling in der Bündner Herrschaft die würzigen Blätter gesammelt, daraus ein Öl gewonnen und es eingefroren. «Ich mag einfach das Aroma, wieso sollte ich es also nicht einsetzen, wenn es passt – selbst wenn die Saison vorbei ist», findet Mitja Birlo. Das Öl braucht er, um einer Essenz aus den Karkassen von Valser Enten etwas Frische zu verleihen. Die Sauce trägt ein Gericht, dessen Hauptbestandteil Ravioli aus Mangoldblätter sind. Die Ravioli sind gefüllt mit einer Creme aus geröstetem Mangold und Pistazien, dazu gibt es etwas Salzzitronencreme, und in der Summe passt das perfekt zur Persönlichkeit des Kochs, der seit 2014 in Vals zu Hause ist: viel Arbeit, aussergewöhnlicher Geschmack, zurückhaltend präsentiert.
Sellerie, spektakulär. Einen spektakuläreren Auftritt in Mitja Birlos abwechslungsreichen Sommermenü hat der «en papillotte« gebackene Sellerie, er wird am Tisch entblättert und aufgebrochen. Eine Nocke des süss-erdigen Gemüses, eine Randensauce mit schwarzem Pfeffer, etwas Creme-Fraiche-Espuma und karamellisierte Briochebrösel und fertig ist ein Gericht, das ebenso kraftvoll, wie eigenständig erscheint. Die Abschnitte des Selleries werden mehrere Tage langsam geröstet und dann wieder mit Wasser aufgegossen, so dass ein intensiver Fond entsteht, den Birlo «unser Sellerie-Soja» nennt. Es wird gebraucht, um der Sauce noch etwas mehr Breite und Tiefe zu verleihen.
Wie ein silberner Faden. Nach flüssig gebeiztem, sous-vide gegartem und schliesslich auf Holzkole grilliertem Fleisch vom Nacken eines Iberico-Schweins sind wir beim Dessert angelangt. Aus der Molke, die bei der Butterherstellung als Nebenprodukt abfällt, gibt es ein Eis. Butter wird in der «Silver»-Küche übrigens selbst hergestellt aus dem Rahm der Sennerei Vals. Stark reduziert wird aus der Molke zusätzlich ein Karamell, mit einem Öl aus den Blättern der Kapuzinerkresse, hellgrünen Tannensprossen und einer Meringue-Scheibe, auf die etwas Buchweizen und Sumach gestreut wurde, vervollständigt der sympathische Koch mit Wurzeln in Nordwestdeutschland sein letztes Gericht für diesen Tag. Und Birlo bleibt sich treu, auch dieses Gericht ist voller guter Ideen und überraschender aromatischer Verbindungen. Eine charakteristische Linie, die sich wie ein silberner Faden durch das Menü im «7132 Silver» zieht.