Text: David Schnapp Fotos: Joan Minder
Köche im Unterholz. Mitja Birlo und seine sechs Kollegen steigen aus dem Bus. Kunststoffbecher werden verteilt. Dann klettern die jungen Köche einen Abhang hinauf und streifen gleich darauf in gebückter Haltung durchs Unterholz (grosses Bild oben). Das ist ein grossartiges Sujet für den Fotografen, aber auch Alltag im Leben des 33-jährigen Deutschen, der seit einem Jahr die Verantwortung für die Küche im Restaurant 7132 Silver in Vals GR innehat.
Pommernenten aus Vals. Der gebürtige Bielefelder fühlt sich wohl in der alpinen Abgeschiedenheit. Vals ist seine neue Heimat und die Grundlage seiner Küche: Die Heidelbeeren, die gerade gesammelt werden, begegnen uns später als Granité in einem Dessert wieder, die Wacholderzweige und -früchte, welche das Küchenteam beim Zervreilasee findet, werden zum Räuchern von Entenbrust verwendet. Die Ente wiederum stammt vom Hof des Ehepaars Tönz, wo gerade 91 Pommernenten, eine alte Landrasse, auf der Wiese des Bauernpaars herumwatscheln.
Quellwasser und Wagyu Beef. Mitja Birlo nutzt das Ökosystem von Vals und integriert es geschickt in seine Küche, ohne daraus eine Religion zu machen. Sein Brot mit fermentierten Kartoffeln bäckt er mit ungefiltertem Quellwasser. Aber auf seinen Tellern hat es auch mal Platz für Hummer aus der Bretagne, Gelbschwanzmakrele aus Dänemark oder Spitzenrindfleisch der Marmorierungsstufe A5 aus der Gegend von Kobe in Japan. Kulinarische Spannung entsteht so aus der Wechselwirkung zwischen Nah und Fern.
Stolzer Handwerker. Er koche aus dem Bauch heraus, sagt Mitja Birlo, und die Gerichtgestaltung sei öfters chaotisch, und nicht immer funktionieren die Instinkte. «Manches gelingt sofort, anderes braucht eine Woche oder mehr, und wieder andere Ideen gelingen gar nie», gibt er offen zu. Der vielleicht unbekannteste Spitzenkoch der Schweiz nimmt sich selber eben nicht so wichtig, seine Arbeit aber schon. Der junge Mann mit dem russischen Vor- und dem exotischen Nachnamen entstammt einer alten deutschen Familie aus der Eifel, die Mutter ist studierte Modedesignerin, der Vater arbeitet bei einer grossen Versicherungsgesellschaft. Seine Geschwister sind Physiker, Informatiker und Geologin. «Ich bin der Einzige, der etwas Handwerkliches gelernt hat», sagt Birlo nicht ohne Stolz.
Intensive Zeit in London. «Ich wollte immer schon Koch werden», erinnert er sich. Es gebe Bilder, wie er als Zehnjähriger mit aufgemaltem Schnauz und umgebundener Schürze seiner Mutter in der Küche zur Hand gehe. Birlo hat unter anderem in London beim Portugiesen Nuno Mendes gearbeitet, «das war meine intensivste, prägendste Zeit. Der damalige Küchenchef war gleichzeitig dein bester Freund und dein härtester Feind», erzählt der Koch. Es seien lange Tage mit viel Arbeit gewesen, aber gleichzeitig habe das kulturell bunt gemischte Team immer zusammengehalten.
«Wir ziehen an einem Strang.» Heute, in seiner ersten Stelle als Küchenchef, hält es Birlo ebenso. Sein Team aus Schweizern, Deutschen, einem Praktikanten aus Indien und dem Griechen, der zur Probe eine Woche in Vals arbeitet, muss «an einem Strang ziehen», wie Mitja Birlo sagt. «Ich stelle mich dabei nicht in den Vordergrund, das ist mir wichtig.»
Schwierige Umstände. Birlo wurde unter nicht ganz einfachen Umständen Küchenchef. Sein Vorgänger Sven Wassmer, mit dem er das «7132 Silver» im Thermen-Hotel «7132» aufgebaut hatte, musste schneller gehen als ursprünglich gedacht, er hatte sich mit Besitzer Remo Stoffel überworfen. Der schillernde Unternehmer fragte den damaligen Sous-Chef Birlo, ob er sich die Leitung zutraue. «Ich habe mein Team gefragt, ob sie mitziehen, und als alle bis auf einen zustimmten, war für mich die Sache klar.» Seither lässt Stoffel den jungen Mann machen: «Er gibt mir zwar Feedback, lässt mir aber jede Freiheit.» Und seither hat Birlo in Vals Kollegen, Vorgesetzte, Kritiker und vor allem die Gäste überzeugt – mit Talent, Lockerheit und Bauchgefühl.
GaultMillau und Partner American Express scouten junge Chefs, die die Zukunft vor sich haben. Die ersten Namen auf der neuen Liste «Talente 2019»: Ale Mordasini, («Krone» Regensberg), Marco Campanella («La Brezza», Ascona), Giuseppe D’Errico («Ornellaia» Zürich), Thomas Bissegger («1904 Designed by Lagonda», Zürich, Mitja Birlo («7132 Silver», Vals). Fortsetzung folgt.