Text: David Schnapp Fotos: Jennifer Endom
Wiesen und Wälder. Zum Abschluss des Wintermenüs im Restaurant 7132 Silver in Vals (18 Punkte, 2 Sterne) wird dem Gast eine eher ungewöhnliche kurze Liste von Zutaten genannt: Heuparfait, karamellisierte Molke, Kakaochip und fein gehobelte Arvenzapfen hat er vor sich. Was ein wenig schmeckt wie ein Spaziergang durch die Wiesen und Wälder des wilden Hochtals. «Dass man Baumzapfen essen kann, habe ich bei einem Dinner im ‹Noma› in Kopenhagen entdeckt und fand das grossartig», erzählt Mitja Birlo, der Urheber des Desserts.
Geschmack der Berge. Der stille Star des famosen 7132 Hotels arbeitet schon länger mit den Früchten des Waldes. Von März bis Mai zum Beispiel dauert für den Küchenchef die Saison der Bergkiefern. Deren kleine, noch unverholzte und daumennagelgrossen Zapfen sammelt Mitja Birlo mit seinem Team, um sie anschliessend über mehrere Stunden im Zuckersirup einzukochen. In einem Gericht steuern die Kiefernzapfen dann ein fein harziges und waldiges süsses Aroma bei – den Geschmack der Berge sozusagen.
Sammelleidenschaft. «Nach mehr als sechs Jahren in Vals wissen wir ziemlich genau, was wir in der Natur sammeln und in der Küche nutzen können», sagt Mitja Birlo. Er sei auch durchaus experimentierfreudig: «Wir gehen oft los, um alle möglichen Blüten, Kräuter oder wilde Beeren und Pilze zu sammeln. Dann wird alles in der Küche ausgelegt, und wir schauen, was davon brauchbar ist. Es gibt bestimmt noch Blüten, die auch essbar wären, die wir aber noch nicht entdeckt haben», sagt Birlo über seine Sammelleidenschaft.
Respekt vor Bäumen. Eine Entdeckung waren zum Beispiel die Zapfen der Arve, diese für die Alpen typische Kiefernart, die bevorzugt in Höhen zwischen 1500 und 2000 Metern über Meer wächst. Aus Respekt vor diesen Bäumen, die bis zu 1000 Jahre alt werden können, sammelt das «Team Silver» in den Sommermonaten nur wenige Zapfen und friert sie zur späteren Verwendung ein. Bei Bedarf können die Arvenfrüchte dann mit der Microplane in hauchfeinen Spänen zum Beispiel über ein Käsegericht oder eben über ein Dessert gehobelt werden. «Ich mag die ätherische Note, die das bringt», erklärt Mitja Mirlo.
Schnaps und Sirup. Weggeworfen wird nichts, wenn man sich schon in der Schatzkammer der Natur bediente, habe man auch die Pflicht, respektvoll mit diesen Produkten umzugehen, findet der Küchenchef. Resten der Arvenzapfen können einen Schnaps aromatisieren, oder es wird ein Sirup daraus gekocht. «Der wandert dann ins Kühlhaus, und wir nutzen ihn als Inspirationsquelle, wenn wir bestimmte Aromen suchen, oder er wird für die alkoholfreie Getränkebegleitung genutzt», erzählt Mitja Birlo.
Neues Selbstverständnis. Und schliesslich hat der Drang aus der Küche nach draussen in die Natur zu gehen auch noch einen unerwarteten Effekt: «Dass wir zum Sammeln ausrücken, macht uns interessant für junge Köche, sagt Mitja Birlo. Sie gehen mit einem erweiterten Selbstverständnis für ihr Handwerk an die Arbeit, aber für Birlo ist der sammelnde Koch auch eine Frage von Ort und Sinn: «Dass wir die Wälder in unsere Küche miteinzubeziehen, ist eine Frage der Qualität und der Vernunft. Die Blaubeeren, Steinpilze oder Arven- und Kiefernzapfen, die dort wachsen, einfach ignorieren? Das wäre ja blöd.»