Text: Stephan Thomas I Fotos: Nik Hunger
«Unsere Wagyu sind sportlich.» Besuch bei einer Herde von Wagyu-Ochsen. Die Tiere sind zutraulich und neugierig, stupsen kräftig mit der Schnauze, lecken an der Jacke. Kein Grund, Angst zu haben. «Die Wagyu sind zufrieden und friedfertig», sagt Christian Vetsch, der im Seveler Pfrundriet die «Wagyu Swissbeef» führt. «Angus könnte man nicht auf diese Weise halten». Vetsch zieht die schwarz gefärbten Wagyu den Roten vor. «Sie geben das bessere Fleisch». Wie alle Wagyu stammen sie langfristig von Tieren ab, die 1976 aus Japan exportiert wurden. Vetsch ist überzeugt, dass es seine Tiere hier besser haben als ihre japanischen Kollegen. «In Japan liegen sie nur herum. Unsere sind sportlich, kriegen 90% Raufutter, dürfen auch auf die Alp.» Grosses Bild oben: Christian Vetsch (l.) und Sebastian Rösch.
Die Wagyu-Zucht braucht Geduld. Mit der Wagyu-Zucht hat Vetsch 2018 begonnen. Zuvor hat er auf dem elterlichen Hof herkömmliche Viehzucht betrieben. Zu den Wagyu gebracht hat ihn unter anderem die Einsicht, dass einerseits der allgemeine Fleischkonsum rückläufig ist, dass andererseits ein Trend zu hochwertigeren Produkten festzustellen ist. So hat er denn sukzessive seinen Viehbestand aufgebaut, der heute 300 Tiere beträgt. Damit ist er der grösste seiner Art in ganz Europa. Vetsch kann zwei bis vier Tiere pro Monat schlachten lassen. Mehr liegt im Moment nicht drin, denn Wagyu-Zucht braucht Geduld. Vor einem Alter von drei Jahren kommen die Tiere nicht unters Messer, auch deshalb, weil sich die typische Marmorierung erst nach etwa 2 1/2 Jahren einstellt. Vetsch ist dabei, sich weiter zu vergrössern mit dem Ziel, pro Woche zwei Tiere schlachten lassen zu können. Dies ist vor allem wichtig für die Abnehmer, die Köche, die Konstanz in ihrem Angebot bieten möchten.
Frozen Tomahawk. Einer von ihnen ist Sebastian Rösch, Chef im Zürcher «Lindenhofkeller». Angefixt mit dem Seveler Wagyu-Fleisch hat ihn wie viele andere Claudio Engler, der bei «Wagyu Swissbeef» das Marketing betreut. Rösch hat einen engen Bezug zu der Sache, ist er doch auf einem Hof in Franken aufgewachsen, der eigene Tiere hatte. «Beim Schlachten hat man Nose to Tail alles verwertet, hat selbst gewurstet. Das ist mit ein Grund, weshalb wir das Seveler Wagyu verwenden. Hier kann man alles beziehen bis zum Ochsenschwanz, nicht nur einzelne Cuts, wie es bei japanischem Beef meistens der Fall ist.» Sympathisch findet Rösch auch die Ruhe der Tiere auf der Weide - zweifellos eine Folge der Mutterkuhhaltung. Der Tiefkühlraum ist eine eine wahre Schatzkammer. Der Chef (16 Punkte im GaultMillau) hat leuchtende Augen, wenn er die riesigen Tomahawks in die Hand nimmt. «Mir gefällt der Schmelz, aber auch die Eleganz beim Kauen.» Den Beweis tritt Christian Vetsch gleich selber an. In der Küche des Eventraums brät er mit Hilfe seiner Frau Sandra Tafelspitz à la minute - funktioniert bei diesem Fleisch hervorragend.
Das Steak von Muni Bruno. Zwei Wochen später im «Lindenhofkeller» in Zürich: Sebastian Rösch hat ein Wagyu-Menü vorbereitet. Sein Sommelier Alexander Schmidt bietet eine durchdachte und inspirierte Weinbegleitung. Zur Eröffnung gibt es Tartelettes mit Tatar von der Schulter und Rande mit Bärlauchknospen auf Knochenmarkcrème, auch Tafelspitzröllchen mit Apfelmeerrettich und Wurzelgemüse. Es folgen offene Herrgottsbscheisserle mit Beeftea sowie Brisket mit Spargeltempura, Erbsen und Zürcher Miso. Besonders schön drückt sich das Fleisch als Carpaccio auf Entenlebercrème aus, dreijähriger Alpsbrinz, Pfifferlinge und Schwamendingen Wildkräuter runden ab. Ein erstaunlicher Gang ist die geflämmte Zunge. Auch sie ist durchmarmoriert wie das andere Fleisch. Fränkischer Coleslaw mit bayerischen Zutaten wie Obatztem und Augustiner-Bier begleitet die Sache. Der Hauptgang: Tomahawk-Steak vom Muni Bruno mit Kartoffelsoufflé, Belper Knolle und wildem Brokkoli - hervorragend. Einzig die vorzüglichen Desserts blieben fleischfrei.
Traumhaft: Die «Lindenhofkeller»-Terrasse. Kann man überhaupt noch mit anderem Fleisch kochen? Sebastian Rösch: «Wir lassen schon einiges von dem Wagyu raus, würden auch mehr nehmen. Aber es muss nicht immer das sein. Ich mag auch geerdete Produkte.» Im «Lindenhofkeller» stehen wunderschöne Zeiten an: Service auf der romantischen Terrasse im Innenhof. Eine Stadtoase.
Die Alternative zu Filets, Plätzli und anderen Edelstücken? Nose to tail! Es macht Sinn, alle essbaren Teile eines Tieres zu konsumieren. Das ist besser fürs Klima, vielfältiger auf dem Teller und respektvoller gegenüber dem Tier. Immer mehr GaultMillau-Chefs gehen diesen Weg: Sie setzen auch unbekanntere Stücke («special cuts») geschickt in Szene, bieten auch Innereien an. Und zu Hause? Diverse Schnitte wie etwa das Flank Steak eignen sich bestens fürs Grillieren.