Text: David Schnapp | Fotos: Olivia Pulver
Ein paar ruhige Minuten. Gleich geht es los mit prominenten Gästen in der Küche und im Restaurant zum Mittagessen, aber um 11 Uhr hat Andreas Caminada noch ein paar ruhige Minuten, um im Gespräch zurückzublicken: «Intuition hat man, oder man hat sie nicht», sagt der Bündner etwa, der sich vor 20 Jahren als Koch selbstständig gemacht hat und heute zu den international herausragenden Vertretern seines Berufsstandes gehört. Die Frage nach der Intuition zielt auf Caminadas untrügliches Gespür ab, als Koch, aber auch als Führungskraft und als Unternehmer scheinbar immer im richtigen Moment das Richtige zu tun. Grosses Bild oben: Marcel Skibba, Jan Hartwig, Andreas Caminada und Joan Roca (v.l.) im neu gestalteten Speisesaal.
Leuchtendes Beispiel. In 20 Jahren ist in «Schauenstein», welches ursprünglich das Schloss eines Bischofs war, viel passiert und vieles davon scheint mit Andreas Caminadas Intuition zu tun zu haben. Aber, sagt dieser ohne falsche Bescheidenheit, «man weiss ja nie, ob es gut herauskommt». Neben dem 19-Punkte-Restaurant führt der 46-Jährige in Fürstenau mittlerweile noch das vegetarische «Oz» und eine Beiz; zum Ensemble gehört eine Bäckerei, zwei Gasthäuser, und – das vielleicht wichtigste Zukunftsprojekt derzeit – ein grosser Permakulturgarten. Caminada hat in der übrigen Schweiz (und in Bangkok) mit seinen «Igniv»-Filialen dazu ein lizenzierbares Sharing-Konzept geschaffen, und er hat 2015 mit der Fundaziun Uccelin seiner ganzen Branche ein leuchtendes Beispiel gegeben, wie man den Personalmangel angehen könnte.
«Einmalig auf der Welt.» Zur Feier der Stiftung, und zum «Schauenstein»-Jubiläum, sind die beiden Starchefs Jan Hartwig (drei Sterne im Restaurant Jan in München) und Joan Roca (drei Sterne im Restaurant El Celler de Can Roca, bestes Restaurant der Welt 2013 und 2015) nach Fürstenau gereist. Sie gehören, wie viele herausragende Kollegen rund um den Globus, zum Uccelin-Netzwerk. Wer als Koch oder Service-Profi ins mehrmonatige Programm der Stiftung kommt, kann nach Wunsch zu Produzenten und Köchen in der Schweiz und im Ausland reisen, um dort zu lernen. Sämtliche Kosten werden dabei vollständig von der Organisation übernommen. «So etwas ist meines Wissens einmalig auf der Welt», sagt Jan Hartwig mit einem respektvoll-bewundernden Unterton.
Mehr Bedeutung für die Gastronomie. Wie vieles in Andreas Caminadas Berufsleben ist auch die Uccelin-Idee die Folge von Intuition und einem feinen Gespür für gesellschaftliche Bewegungen. «Es war schon 2015 klar, dass die Gastronomie in Zukunft Personalsorgen haben würden», sagt er. Es sein ihm einerseits darum gegangen, der Branche, der er so viel zu verdanken habe, etwas zurückzugeben. Aber das Engagement hat für Caminada auch eine zusätzliche Dimension: «Mir war es wichtig, mit Uccelin der Gastronomie eine gewisse Bedeutung zu verleihen, die sie meiner Meinung nach verdient. Die Kultur wird schliesslich auch durch viele Stiftungen und vom Staat gefördert. Warum soll das nicht auch bei der Gastronomie der Fall seiin?»
«Alle, alle im Einsatz.» Dass dies ziemlich gut gelungen ist, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass seit drei Tagen die Leute aus dem «El Celler de Can Roca» im Schloss sind, um ein besonderes Essen für Freunde und Gönner der Fundaziun Uccelin vorzubereiten. In einem der verzweigten Küchen-Räume im Schloss richtet der entspannte Spanier stundenlang sein vegetarisches «Surf ‘n’ Turf» an. Auch Jan Hartwig hat keinen Aufwand gescheut, um sich in Fürstenau von seiner besten Seite zu zeigen. Seine an der Karkasse gebratene Imperial-Taube mit Rande und Trüffel ist ein ästhetisches und geschmackliches Highlight. «Schauenstein»-Küchenchef Marcel Skibba koordiniert derweil die Arbeiten gleich dreier Teams: «Heute sind wirklich alle, alle im Einsatz», sagt er. Elf Köche und drei Spühler, dazu die Gast-Chefs und ihre Teams aus Spanien und Deutschland braucht es an diesem Tag.
«Konstante Erneuerung.» Für Andreas Caminada ist es schliesslich auch eine Gelegenheit, die jüngsten Veränderungen im Zentrum seiner Tätigkeiten den Gästen zu zeigen. Das Schloss-Restaurant hat ein neues Erscheinungsbild erhalten. «Wir wollten eigentlich schon vor zwei Jahren renovieren, aber das 20-Jahre-Jubiläum war jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür», sagt er. «Konstante Erneuerung» sei das Motto. Caminada will seine Gäste, und vielleicht auch sich selbst, immer wieder überraschen.
Mehr Transparenz im Schloss. Die Innenarchitekten von Space Kopenhagen, die auch für die Räume des «Mammertsbergs» verantwortlich zeichnen, haben für mehr Transparenz gesorgt. Eine grosse Glasscheibe am Pass erlaubt jetzt einen Blick in die – erstaunlich kleine – Küche. Ein neuer Raum zwischen den beiden Speiseräumen erleichtert dem Service die Arbeit und sorgt für mehr Offenheit. Zusammen mit der stilvollen Möblierung soll das historische Gebäude «besser zur Geltung» gebracht werden, wie Caminada erklärt: «Der neue Groove passt zu unserem Alter – zeitloser, klassischer, reduzierter», findet der Koch in seinem Schloss der Tausend Ideen. Und der nächste Einfall, das ist so sicher wie eine Zitrone sauer ist, wird von Sarah und Andreas Caminada bestimmt schon energisch diskutiert.