Text: David Schnapp
Breitwandblick auf Zürich. Die Aussicht, da ist sich die Tischrunde schnell einig, ist die wohl beeindruckendste der Stadt: Nirgends hat man einen so ungestört breitwandigen Blick auf die Stadt Zürich wie vom Restaurant Sonnenberg aus. Seit kurzem ist Niklas Oberhofer verantwortlich für die beiden Konzepten an diesem magischen Ort für zwei Konzepte verantwortlich: Bistro unten, Fine Dining im «Epoca by Tristan Brandt» eine Etage darüber – mit noch besserem Blick über Zürich natürlich. Grosses Bild oben: Niklas Oberhofer (r.) mit Mentor und Geschäftspartner Tristan Brandt.
Kein Unbekannter. Der erst 27-jährige ist kein Unbekannter, im «Epoca» im mittlerweile geschlossenen Hotel Waldhaus in Flims wurde Niklas Oberhofer «Entdeckung des Jahres» im GaultMillau 2022 und verabschiedete sich dieses Jahr mit 17 Punkten und einem Michelin-Stern aus dem Bündnerland. Ein erster Eindruck bei einem Abendessen mit Champagner-Begleitung von Laurent-Perrier (u.a. Brut Millésimé 2008 und Grand Siècle No23 und 26) lässt schnell den Schluss zu, dass der junge Deutsche in Zürich dort anknüpfen wird, wo er in Flims aufgehört hat.
(Zu) viel Gedankenarbeit. Kleinigkeiten zu den fünf Geschmacksrichtungen (salzig, sauer, bitter, süss und Umami) eröffnen den Abend und zeigen nicht nur die handwerkliche, sondern auch die konzeptionelle Richtung: Es steckt viel Gedankenarbeit im Menüablauf – bisweilen etwas zu viel, aber wir kommen darauf zurück. Der kleinteilige Auftakt wird fortgesetzt mit einer vietnamesisch inspirierten «Pho Bo», die allerdings nicht wie in der traditionellen Rezeptur mit Rindfleisch, sondern vegetarisch zubereitet wird. Kürbispüree wird als nicht zu süsser Kontrast zur hervorragenden Umami-Brühe eingesetzt, die leider nach zwei, drei Löffeln nur noch eine schöne Erinnerung bleibt.
Umami bestimmt. Ein Pilz-«Sandwich» im Trockeneisnebel macht den Auftakt zum ersten Gang, der als «Pilzsalat» angekündigt wird. Umami ist auch hier das bestimmende Thema, hausgemachte «Maggi»-Würzsauce und ein Liebstöckelsud bilden die geschmackliche Grundlage für das in zwei Wellen servierte Mini-Gericht. Der beste Gang des Abends folgt in der Kombination aus südafrikanischem Kaisergranat, der mit drei Monate lang fermentiertem schwarzem Topinambur und Haselnuss kongenial kombiniert wird. Eine fein ausbalancierte Krustentier-Beurre-blanc und ein Topinambur-Sud sind die Grundlage für ein harmonisches Geschmacksbild mit nussigen, herben und frischen Noten sowie – natürlich! – viel Umami.
Geschichten auf Kärtchen. Jeder Gang wird mit einem Kärtchen angekündigt, die das Gericht gewissermassen erzählerisch einbettet. Es geht um Sammelbegriffe wie «Geborgenheit», «Wertschätzung» oder «Intensität». Der gedruckte Text erspart den Service-Mitarbeitern lange Ankündigungen, andererseits wirkt dieses so genannte Story-Telling bisweilen etwas gar bemüht: «…spüren Sie die kulinarische Umarmung…», heisst es, bevor die perfekt gebratene Miéral-Taubenbrust aufgetragen wird. Rotkraut in einem kleinen Päckchen mit Gelée-Hülle, Marroni sowie ein Steifen Brioche mit Foie-Gras-Schicht obenauf begleiten das in einem klassischen Stil zubereitete Geflügel. Und den Schenkel gibt es als eine Art Lolli, er wird auf einem kleinen Tischgrill warmgehalten. Es ist ein Gericht, das für sich spricht, und keine längere Anmoderation benötigt.
Aussicht und Aussichten. Es folgt der gelungene Auftritt von Patissière Larissa Wehrli, die schon zuvor im «Aqua» (Hotel Alex, Thalwil) einen vielversprechenden Eindruck gemacht hat, und jetzt auf dem Hügel auf der anderen Seeseite wieder hervorragende Arbeit leistet: Ihre beiden Desserts sind aromatisch präzise, ästhetisch und technisch überzeugend. Effektvoll fügt die junge Frau Texturen und Geschmäcker zusammen und geht dabei durchaus Risiken ein: zuerst eine säuerlich-frische Kombination aus Joghurt, Preiselbeeren, Mohn und Roggen, danach die überraschende Kombination aus Banane, Petersilie sowie Ingwer. Der Abschluss des ersten Menüs von Niklas Oberhofer und seinem Team im «Sonnenberg» bietet am Ende nicht nur eine schöne Aussicht, sondern vielmehr auch gute Aussichten, was die Zukunft des talentierten Kochs in Zürich anbelangt.