Text: Urs Heller Fotos: Kurt Reichenbach
Ein Schüler von Tohru Nakamura. «Wir sind kein Zweitrestaurant. Wir sind ein Gourmet-Restaurant», sagt Thies Henkel ganz cool. Recht hat er: Das «Oh de vie», die zweite Adresse im «Lenkerhof», hat sich aus dem Schatten und aus der Durchschnittlichkeit gelöst. Der Münchner Chef, der früher unter anderem bei Deutschlands «Koch des Jahres» Tohru Nakamura gearbeitet hat, gibt Vollgas und holt sich den 15. Punkt; vor allem seine Fischgerichte sind beeindruckend gut. Hausherr Jan Stiller, Präsident von «Relais & Châteaux» in der Schweiz, hat da einen Volltreffer gelandet.
Der beste Gang: Thunfisch-Backen! Jakobsmuscheln kriegen wir immer wieder. Die Variante «Oh de vie» gehört zu den besseren: Randen, Randensaft, Ponzu, eine hervorragende Crème fraîche-Vinaigrette. Eine Prise Japan, eine Prise Tohru wohl auch. Beim zweiten Gang aus dem Meer lernen wir dazu: Auch die riesigen Tuna haben Backen, die man getrost servieren kann. Henkel setzt auf Balfego-Qualität, beizt die Backe drei Stunden, friert sie kurz an, damit er sie in elegante Scheiben aufschneiden kann, gibt, Rettich, Radiesli, Tuna-Essenz und Dillöl dazu. Das ist richtig gut!
Thermidor! Escoffier lässt grüssen. Der Chef ist 30 Jahre jung und ziemlich experimentierfreudig. Hindert ihn aber nicht, einen Klassiker auf die Karte zu setzen: Hummer Thermidor, ein Escoffier-Rezept! «Unser Ass im Ärmel», kündigt der freundliche Gastgeber Joel Werren stolz an. Tatsächlich hat sich dieser Prachtskrebs aus der Bretagne einen Stammplatz auf der Karte erobert. Vielleicht auch, weil der Hummer freundlicherweise sauber ausgelöst ist; man kann ihn samt Scheren mit dem Gourmetlöffel unkompliziert geniessen. Unser Tipp: ein halber Hummer reicht, Riesendinger! Die Lenkerhof-Gäste haben noch einen zweiten Favoriten: Engadiner Reh mit Quitten, in einer Pilzmiso mariniert, mit gewürzter Nussbutter konfiert, auf dem «Green Egg» zubereitet.
Der Pappardelle-Ring. Das «Oh de vie» verspricht Mittelmeer-Gerichte, also muss Pasta ran. Wir kriegen Pappardelle und staunen: Die breiten Nudeln sind zu einem Ring gerollt, mit Pilzen und Schalotten mittendrin und einer Grünkohl-Pesto. Wie isst man so was? «Mit Messer und Gabel», empfiehlt der Chef. Nicht Knigge-gerecht, aber praktisch. Beim «Risotto cacio e pepe» geht der Chef in seiner Kreativität einen Schritt zu weit. Der Reis ist unter einem Gelee aus Birnensaft versteckt und zu wenig körnig. Alles kann man mit dem Klassiker aus Rom nicht machen, selbst der ziemlich unerschrockene Massimo Bottura geht mit diesem «Nonna-Rezept» behutsamer um. Volltreffer dann wieder beim Dessert: Hausgemachter (!) Panettone, mit einer Mini-Zabaione von Felchlin-Schokolade und einem erfrischenden Mandarine-Sorbet.