Fotos: Olivia Pulver
Der Neue im 1. Stock. Es ist ein Bild, auf das die Schweiz fast ein Jahr verzichten musste. Oscar de Matos steht in einem verwaschenen Band-Shirt in der Küche des Restaurants «An» in Zürich. Diesmal ist es der Schriftzug der 90er-Rockband Tool, der seine Brust ziert. Er diskutiert mit Executive-Chef Marcus G. Lindner darüber, ob sie für das Fotoshooting eine Kochjacke anziehen sollen. «Ich hasse Kochjacken!», sagt de Matos. «Die sind wie eine Zwangsjacke.» Er lacht laut und zieht das ungeliebte Tenue an. Oscar ist auch nicht wegen seines Aussehens im «An», sondern wegen seines Talents. «Ich hatte sechs Bewerbungen für die Stelle auf dem Tisch liegen. Oscar war ganz klar meine erste Wahl», sagt Lindner, der im «An» die kulinarischen Strippen zieht und für die Küche im Erdgeschoss verantwortlich ist. Oscar de Matos leitet neu im ersten Stock das Fine-Dining-Restaurant. Seine Freundin Nadine Baumgartner managt die Front.
Zurück in der Schweiz. Das Restaurant im ersten Stock öffnete Anfang Februar. Maximal 22 Gäste finden hier von Mittwoch bis Samstag Platz. Das Interieur des Restaurants ist in dezenten Altrosa- und Blautönen gehalten. Die Einrichtung ist schlicht. «An» ist der Kosename der Gastgeberin Yifei Ledermann. Er bedeutet ruhig. Der volltätowierte und laute Oscar de Matos ist ein ziemlicher Kontrast in diesem Ambiente. «Das eine schliesst das andere ja nicht aus», sagt Oscar. «Und ich bin in der Küche völlig frei, kann meinen Stil so fortführen, wie ich das in den letzten Jahren schon gemacht habe.» In den letzten Jahren war der gebürtige Katalane im «Maihöfli» in Luzern. Wegen Uneinigkeiten mit dem Besitzer haben Oscar und seine Freundin Nadine Baumgartner Luzern verlassen. Dann schlugen sie ihre Zelte vorübergehend im Schwarzwald auf. «Es gab konkrete Pläne für ein Restaurant in Waldshut, aber die Investoren sind abgesprungen. Ich war ehrlich gesagt am Boden zerstört. Ich habe die Schweiz extra dafür verlassen.»
Oscar und seine «Helferlein». Doch Oscar ist einer, der nach vorne schaut. Mit dem Fine-Dining-Restaurant im «An» hat er jetzt die Möglichkeit, in der Food-Hauptstadt der Schweiz Fuss zu fassen und die Gäste von seinem Talent zu überzeugen. Oscar de Matos lernte im weltberühmten «El Bulli». Und er schaffte etwas, das vor ihm nur wenige geschafft haben. Er steigerte sich im GaultMillau 2021 direkt von 14 auf 16 Punkte. «Für mich ist Oscars Küche absolut Next Level», schwärmt Marcus Lindner. Oscar kocht klassisch französisch, setzt hie und da japanische Akzente. Aktuell serviert er ein Gericht mit mexikanischem Twist: fermentierter Kohlrabi mit Salzkaramell-Chipotle, Buttermilch-Vinaigrette und Chiliöl. «Wie er die Fermentation als natürliche Helferlein einsetzt, ist einfach genial.» – «Danke, Lindner», entgegnet Oscar. «Fermentation interessiert mich einfach. Es ist ja nicht so, dass ich das erfunden habe.»
Fucking Crazy. Der Spanier tut auch einiges, um sich neues Wissen anzueignen. Auf seinem Nachttisch liegen etliche Bücher über Fermentation. In einem Ikea-Regal in seiner neuen Zürcher Wohnung stapeln sich die Einmachgläser mit verschiedenen Experimenten und bereits bewährten Produkten. «Ich habe einen Raum, der die perfekte Temperatur hat. Wenn man fermentiert – also mit Bakterien arbeitet –, muss man darauf achten, dass die Produkte nicht kontaminiert werden», erklärt Oscar. «Meine Sauce Fucking Crazy gibt es auch im An», sagt Oscar. Die Sauce schmeckt intensiv nach Blauschimmel. «Schuld» daran ist der Schimmelpilz Aspergillus flavus var. oryzae. «Diesen Pilz kann man auch auf Fleisch geben. In wenigen Tagen verändert sich die Struktur des Fleisches. Es wird zarter und entwickelt einen anderen Geschmack.»
Umami-Bomben. Oscar macht all diese natürlichen Geschmacksverstärker und Umami-Bomben selber. Tempeh-Kichererbsen-Miso, Steinpilz-Garum oder Buchweizenshoyu. «Die Miso kann man zum Beispiel für eine XO-Sauce verwenden oder eine Beurre-blanc damit abschmecken. Das hat richtig Power.» Marcus G. Lindner kann nur staunen. «Wir haben auch schon fermentiert, aber das ist ein anderes Level. Da kann ich noch viel lernen.»
Black Cod und Bauchspeck. Einige Gerichte auf der Karte sind Signature Dishes, die Oscar schon so oder ähnlich im «Maihöfli» serviert hat. Den Black Cod drapiert Oscar auf einer Creme aus Piemonteser Haselnüssen. Obendrauf legt er eine Scheibe Bauchspeck von Joselito. Andere Gerichte sind neu. So wie die Auster. «Ich habe nie viele Austern gegessen. Aber als wir nach dem Ende des Maihöfli durch Europa reisten, haben wir uns auch eine Austern-Farm in der Bretagne angeschaut. Das war sehr faszinierend und ich wollte die Austern unbedingt einbinden», so Oscar. Die Gillardeau-Auster No.2 kommt mit einem Szechuan-Schalotten-Kompott und einer Plankton-Beurre-blanc. Obendrauf gibt es einen guten Löffel Oscietre-Kaviar von Kaviari.