Fotos: Lucia Hunziker
Achte & neunte Generation. Die Liste der Restaurants, die das Mehl bei Familie Tschudi beziehen, ist eindrücklich: Über hundert Betriebe dürften es sein, darunter das «Magdalena» in Rickenbach SZ, das «Cervo» in Zermatt oder auch das «Pop des Jahres 2025», das Alba in Zürich, das unvergleichlich knusprige Pizzas bäckt. Zur Kundschaft der Altbachmühle gehört nicht zuletzt Pascal Melliger vom «Wein & Sein» in Bern. Er möchte heute höchstpersönlich sehen, wer hinter dem Mehl steht, das er für Spätzli, Ravioli und vor allem für sein selbstgebackenes Sauerteigbrot verwendet. Die achte und neunte Müller-Generation, Dölf und Lukas Tschudi, nehmen den 15-Punktekoch vor dem hübschen Haus im aargauischen Wittnau in Empfang. Grosses Bild oben: Pascal Melliger, Lukas & Dölf Tschudi (v.l.).
Hitze? Nicht beim Getreidemahlen. Schnell taucht man ein ins Gespräch – und landet bei einer kniffligen Frage. Was macht eigentlich gutes Mehl aus? «Bei eurem Mehl spüre ich, dass da Leben drin ist», sagt der Küchenchef aus Bern. Und Senior-Müller Dölf Tschudi hat dafür auch gleich eine Erklärung: Bei ihnen werde das Getreide möglichst schonend gemahlen. Sprich: Der Druck auf die Körner während der Verarbeitung soll möglichst gering gehalten werden, damit keine unnötige Wärme entsteht. «Hitze verändert die Inhaltsstoffe merklich, also Mineralien, Vitamine, Enzyme.» Ein weiterer Faktor: Es werden in der Regel bis zu drei Jahrgänge Mehl gemischt, um allfällige Qualitätsschwankungen zu minimieren. «2021 war diesbezüglich kein optimales Jahr.» Kann man gutes Mehl von blossem Auge erkennen? Tatsächlich. Es kommt nicht als kompakte Masse aus dem Papiersack, sondern rieselt heraus.
Arbeiten vom Bett aus. Zwar trägt die Mühle das klassische Mühlrad noch im Logo, doch ist man hier inzwischen zeitgemässer unterwegs: Lukas Tschudi zeigt Pascal Melliger das Herzstück der seit 2014 elektrisch angetriebenen Apparatur, ein auffallend kompakter Kasten, gespeist von verschiedenen Rohren. Es ist der sogenannte Walzenstuhl, in dem die Getreide in mehreren Schritten gemahlen werden. Besagte Walzen sind heutzutage nicht mehr aus Stein, sondern aus Metall, «damit die Zähne beim Brotessen nicht mehr unter dem Quarzsand leiden», erklärt der Müllersmann. Es riecht im Raum intensiv nach Mehl, es wummert. Mehrere breite Lederriemen treiben die über drei Stockwerke eingebaute Maschine an – sie wird allerdings ganz modern zentral von einem Computer gesteuert. Damit sei es möglich, die Mühle auch 24 Stunden täglich laufen zu lassen. «Wir können alles mit dem Handy vom Bett aus steuern», sagt Dölf Tschudi lachend.
Umsatzsteigerung zehn Prozent. Dass er sein Handwerk und die Mühle an die nächste Generation weitergeben konnte, ist keine Selbstverständlichkeit: Existierten in den frühen Achtzigerjahren schweizweit noch über 600 Mühlen, ist deren Zahl auf rund 50 zurückgegangen. Solche «Bijouterie-Betriebe» wie die Altbachmühle sind also alles andere als im Trend, sie verkaufen ihr Mehl deutlich teurer als die Industrie. Einer der Kunden – die wachsende Kette Pizzaway – hat ausgerechnet, dass pro Teigfladen rund 20 Rappen Mehrkosten anfallen. Ein ziemlicher Batzen, aber: «Weil sie damit den Umsatz um 10 Prozent steigern konnten, rentiert es trotzdem.»
Profilierung mit selbstgebackenem Brot. Pascal Melliger bestätigt, dass die Produkte aus Wittnauer Mehl bei den Gästen auf offene Arme stossen: «Und es passt zu unserer Philosophie, dass wir wissen, woher unsere Zutaten kommen – am Tisch nennen wir meist den Namen der Mühle.» Im «Wein & Sein» kommt je ein Sauerteigbrot aus Roggen- und Weissmehl auf den Tisch, sechs Arbeitsstunden wöchentlich werden dafür aufgewendet, der Teigansatz begleitet den Küchenchef seit mittlerweile sechs Jahren. Das Brot soll den Gast, so will es das Konzept, bis zum Hauptgang begleiten: «Allerdings haben die meisten schon vor der Hauptspeise alles weggeputzt», so Melliger, «weshalb wir eine zweite Portion nachreichen.» Wer frisches, selbstgebackenes Brot anbietet, ergänzt Lukas Tschudi, könne sich ganz einfach profilieren: «Sogar ein einfacher grüner Salat macht so einfach mehr her.»
Von Hand zugebundene Säckchen. Sichtbaren Mehrwert bietet auch ganz bestimmt die Verpackung des Altbachmühle-Mehls. Die Führung durch die Mühle ist nun beim Abpacken der Mehlsäcke angelangt: Hier lernt Pascal Melliger Erika Tschudi – die Mutter von Lukas, die Frau von Dölf – kennen. Sämtliche kleinformatigen Mehlsäcke bis 2,5 Kilo werden von ihr und einer weiteren Mitarbeiterin einzeln abgefüllt, oben hübsch zusammengefaltet, schliesslich verschlossen. Von Hand wird das Papierpaket mit weisser Schnur zugebunden: «Zu zweit schaffen wir bis zu 380 Verpackungen stündlich.»
Brot ist üben, üben, üben. Nach einer Besichtigung des Mehllagers landen die Müllersleute und Pascal Melliger zuletzt im Verkaufsraum. Wer hier vor Ort Zopf- oder Knöpflimehl einkauft, bekommt ein ausgeklügeltes Rezept von Mutter Erika Tschudi auf den Weg. Nicht umsonst testet sie jede Mehl-Charge der Mühle und wird darum hier auch «Testbäckerin» genannt. In der Regel gibt sie einem Brotteig «viereinhalb Stunden Gärzeit». Und auf was sonst gilt es zu achten für gutes Brot? «Es ist Übungssache. Man muss dranbleiben – wer keine Zeit dafür hat, wird ja nicht zum Backen gezwungen», sagen die Müllersleute einhellig. Lust es zu probieren, bekommt man in der Altbachmühle Wittnau aber auf jeden Fall.
>> www.altbachmuehle.ch
>> www.weinundsein.ch
Fotos Brot: Digitale Massarbeit