Text: David Schnapp | Fotos: Joan Minder
Grosse Fussstapfen. In der Küche hört man eher Gitarren als Standmixer: «Maybe California» von The Struts und gleich danach «Cheap Thrills» von den Himalayas tönt ziemlich laut aus dem Soundsystem. Dazu schneidet ein junger Mann Kalbstatar, ein anderer sticht eine Aubergine ein und Küchenchef Marcel Koolen feuert mit einem Heissluftgebläse den orangefarbenen japanischen Tischgrill ein. Seit etwas mehr als einem Monat ist Koolen für das «7132 Silver» zuständig, sorgt für Rock-n-Roll-Atmosphäre und tritt in grosse Fussstapfen: Vor ihm haben hier Sven Wassmer und zuletzt Mitja Birlo das Gourmetrestaurant im Bergdorf Vals auf das beeindruckende Niveau von 18 Punkten und zwei Sternen geführt und wurden von Talenten zu Stars der Küche. Grosses Bild oben: Marcel Koolen mit Partnerin und Restaurant-Leiterin Franziska Wölfle.
Nicht zu wild. Der Holländer Marcel Koolen lebt und arbeitet allerdings auch schon zwei Jahre in Vals, davor gehörte er zum Team von Jeroen Achtien, das im «Vitznauerhof» am Vierwaldstättersee eine neue kulinarische Ära eingeleitet hat. Die schwere Aufgabe, nach Mitja Birlo (Koch des Jahres 2022) ein erstes neues Menü zu schreiben und eine eigene Handschrift zu entwickeln, hat Koolen zusammen mit dem ebenfalls im neu engagierten Executive Chef Matthias Schmidberger, gelöst. «Gemeinsam haben wir entschieden, zunächst nicht zu wild ans Werk gehen zu wollen», sagt Koolen.
«Entertainer-Qualitäten». Schmidberger selbst hilft im sechsköpfigen «Silver»-Team aktiv, aber diskret im Hintergrund mit, filetiert Steinbutt und portioniert Pulpo, während Marcel Koolen das Team führt, Aufgaben verteilt und für gute Laune sorgt: «Ich habe sicher gewisse Entertainer-Qualitäten», sagt er. Er sei gerne draussen bei den Gästen, kümmere sich aber auch um den Zusammenhalt seiner kleinen Truppe: «Wenn die Stimmung nicht gut ist, und man nicht ab und zu zusammen einen Grill-Abend macht, fällt das alles schnell auseinander.» Manchmal braucht es auch gar nicht viel: Heute hat Koolen allen eine Tüte Capri-Sonne Multivitamin-Drink aus dem Volg im Dorf mitgebracht – sonnige Stimmung, die mit einem Strohhalm getrunken werden kann.
Leise Töne. Während die Musik in der morgendlichen Mise-en-Place-Phase ziemlich laut ist, wirkt das Menü, das rund sieben Stunden später serviert wird, streckenweise stellenweise überraschend fein und leise. Gekocht ist das alles in bewundernswerter Perfektion. Auf ein Quartett von hervorragendem Fingerfood folgt Mi-cuit gegarter Val-Lumnezia-Saibling oder leicht geräucherter und sanft pochierter Steinbutt von aussergewöhnlicher Qualität.
Laute Beurre-blanc. Den Süsswasserfisch kombiniert Koolen mit einer Rotkohlsauce und Gurken, den Steinbutt mit karamellisiertem Fenchel und 15 Jahre altem Pedro-Ximénez-Essig, was beides vollendet harmonisch ist, aber ohne starke Kontraste und grosse Spannungselemente auskommt. Nur beim Pulpo, zusammen mit Gambero Rosso und im Tempura-Teig gebackene Codium-Algen aus Holland angerichtet, sorgt eine fantastischen Beurre-blanc für so etwas wie Lautstärke: Statt mit Weisswein und Essig wird die klassische Buttersauce mit fermentiertem Paprika-Saft angesetzt und zusätzlich mit Korianderöl versetzt. Das wirkt, um im Bild der Rockmusik zu bleiben, als hätte man die Stromgitarren eingestöpselt und ein kraftvolles, melodiöses Riff angestimmt.
Starker Dreiklang im Hauptgang. Auch beim Hauptgang, einem während zwei Stunden mit der On-Off-Methode grillierten Entrecôte vom Swiss Wagyu Beef sorgt die Sauce für eine erinnerungswürdige Melodie: Der Rinderjus wird mit einem Pulver aus getrockneten Zwiebeln gebunden und mit einem Thymian-Öl gesplittet. Die Säure und Tiefe des Fonds, die dezente Süsse der Zwiebeln und die feinen Bitternoten der Kräuter ergeben einen starken Dreiklang.
«Alice im Wunderland». Darauf folgt der starke Auftritt der italienischen Patissière Alice Stancanelli, die vor ihrem Engagement im 7132 Hotel unter anderem im Drei-Sterne-Restaurant Geranium in Kopenhagen tätig war und dem Menü zum Schluss nochmals eine besondere Musikalität verleiht. Zuerst serviert «Alice im Wunderland», wie sie ihren eigenen Namen erklärt, nicht mehr als einen Löffel Eiscreme. Das Glace stellt sie aus selbst gesammelten Moos her, welches an den Bergkiefern der Region wächst und am Gaumen einen langanhaltenden Geschmack von Wald, Pilzen, Holz- und Harznoten hinterlässt. Der Wald bleibt das bestimmende Thema der Desserts, zu marinierten Erdbeeren und einer leicht salzigen, fermentierten Erdbeersauce gibt es Kiefern-Eis. Zum Schokoladen-Sorbet werden Sauerklee vom Waldrand, Mädesüss-Schaum sowie Kirschen kombiniert und etwas Chili sorgt hier für eine spezielle Note und einen Hauch nachklingender Schärfe.
Vielversprechender Koch. Das erste Menü von Marcel Koolen im «7132 Silver» mag zwar stellenweise noch etwas verhalten wirken, aber dass der 33-Jährige ein begabter, vielversprechender Koch ist, steht auch nach nicht einmal zwei Monaten im neuen Job ausser Frage. Es wird interessant zu beobachten sein, wohin er dieses aussergewöhnliche Restaurant zusammen mit seiner ebenso fachkundigen wie charmanten Partnerin Franziska Wölfle an der Front und seinem talentierten multi-nationalen Team führen kann.