Text: Urs Heller I Fotos: Tina Sturzenegger
Entertainment pur. Das Swiss Deluxe Hotel «Victoria-Jungfrau» gönnt sich ein neues Top-Restaurant: «Radius». Was Chef Stefan Beer (Bild oben) in einem selbst auferlegten Radius von 50 Kilometern findet, ist schon erstaunlich: Forellen, Shrimps, Kaviar, Wagyu, Wasabi, Enten, Hecht, Hirsch und Reh; Kräuter, Gemüse, Beeren und Honig gibt es aus dem eigenen Garten. «Vo Hie» heisst denn auch sein Menü, und ein Abend im fensterlosen und dennoch eleganten «Radius» ist Entertainment pur: Beer surft elegant von Tisch zu Tisch, erzählt mit Leidenschaft die Story seiner Produzenten. Seine Brigade, geleitet von Michael Althaus, lässt derweil in der Küche nichts anbrennen. GaultMillau-Rating: Hohe 17 Punkte.
Die Highlights «Von Hie». Der Start ist fulminant: Oberländer Kalbszunge mit einem eleganten Gelee und mit Wasabisprossen aus Uetendorf. Und Sigriswiler Forellen, die in der «Grabenmühle» in kaltem Wasser langsam wachsen. Beer serviert sie roh (!), mit Uetendorfer Sauerklee in einer Kirchdorfer Gurken-Nage. Auch der Oona Kaviar aus Frutigen (beeindruckende 25 Gramm!) kriegt ein regionales Tuning: Meiringer Sauerrahm, Randensaft, Meerrettich aus Kirchdorf.
«Aemme Shrimps» aus dem Saustall. Die knackigen «Aemme Shrimps», die im «Eyhof» Burgdorf in einem ehemaligen Saustall gezüchtet und auf einem Bisque-Spiegel mit Buttermilch-Espuma, Hanslibirnen und schwarzem Knoblauch präsentiert werden. Ein Thuner Säuli: Die Brust wird angebraten und in Milch eingelegt, mutiert so zu Pulled Pork. Fantastisch die Sauce aus Mirabellen vom eigenen Baum dazu. Zum Hauptgang servierte Beer, was vor 26 Jahren am Ende der Lehre sein Prüfungsessen war: Szegediner Gulasch. Allerdings auf 17 Punkte-Niveau: Kalbsfilet aus Sigriswil, geschmorte Kalbsbäggli, Sauerkraut. Und das Gulasch? Steckte in den fantastischen Agnolotti, die Souschef Sarah Tombolelli liebevoll zubereitet.
Sandras Enten in der silbernen Presse. Etwas neidisch blickten wir zum Nebentisch: Canard à la Presse! Eine kleine Ente aus, von Sandra Gertsch in Einigen gezüchtet, wurde vor den Gästen in einer silbernen Entenpresse leicht martialisch vollendet. Gäste, die «Z’Menü für Zwöi» ordern, kriegen vom hochmotivierten Serviceteam noch einmal Besuch am Tisch: Der Flambierwagen wird vorgerollt: «Crêpes vo Hie», im «Suzette»-Style. Alternative: Ein wunderbares Dessert vom begabten französischen Pâtissier Pierre Cardona: Zwetschgen aus dem Garten, Meiringer Quark, hausgemachter Essig.
Der Menüpreis? Ziemlich saftig! Stefan Beer hat den Radius von 40 auf 50 Kilometer erweitert, damit die «Aemme Shrimps» (49 Kilometer!) ins Menü packen kann. Torsten Noak, Sommelier und Entenpresser in Personalunion, kriegt noch mehr «Auslauf»: 90 Kilometer. Gut so, denn so kriegen wir in der offiziellen Weinbegleitung zwei bemerkenswerte Weine vom Bielersee: Den Sauvignon Blanc «Jazz» von Lukas Hasler und den Pinot Noir «Bene», von Lukas Hasler und seinem Partner Martin Hubacher. Nicht aus der Gegend, aber immerhin auf der Karte: Die grandiosen Cos d’Estournel von Besitzer Michel Reybier. Alles gut also im neuen «Radius»? Nicht ganz. Der Menüpreis ist bei allem Respekt vor der Leistung der Brigade mit 260 CHF zu hoch angesetzt. Entspricht nicht gerade dem Ortstarif.
«La Terrasse» ist jetzt eine Brasserie. «La Terrasse», Beers frühere Wirkungsstätte im Haus, hat jetzt ein neues Konzept. Maître Gennaro, jahrzehntelang zwingend im dunklen Anzug unterwegs, trägt plötzlich weisse Sneakers. Auf der Karte «Militär-Chässchnitten», Babaganoush, Lachsforellen-Ceviche, Rindstatar und «Coq au vin blanc». Die neue Terrasse des «La Terrasse» ist zauberhaft und hat bei schönem Wetter Magnetwirkung.