Fotos: Olivia Pulver
Respekt vor Schenkon. «Der OX’n ist keine One-Man-Show», das stellt Sebastian Rensing, 32, gleich zu Beginn klar. Seit 2017 führt er den «OX’n» in der Luzerner Gemeinde Schenkon mit seiner Frau Katharina (34), und seinem Bruder Samuel, (forever 29). Alles, was hier entsteht, ist ein Resultat von Teamarbeit. Der «OX’n» sticht heraus – optisch und kulinarisch. Das Restaurant befindet sich in einem rostroten Neubau. Rensings Fine-Dining-Konzept findet Anklang in der Region. «Wir hatten zu Beginn viel Respekt vor Schenkon», erzählt er. Das Amt Sursee ist eine grosse und schnell wachsende Region, Schenkon eine wohlhabende Gemeinde. «Wir haben gemerkt, dass die Leute etwas Exklusives suchen. Etwas, das sich abhebt.»
Provokation Vegi-Tatar. Das Überraschungsmenü setzt sich aus vier bis sieben Gängen zusammen. Der Start macht ein Tatar. Auf den ersten Blick sieht es aus wie Rindfleisch. «Wir machen es aus Auberginen und Okara, ein Nebenprodukt bei der Herstellung von Tofu», erklärt Sebi. Den Gästen erklärt er das nicht. Zumindest nicht beim Servieren. «Die wenigsten Kommen auf die Idee, dass es sich hier um vegetarische Komponenten handelt. Solche Gerichte provozieren auf dem Land natürlich. Hätten die Gäste die Wahl, würden sie das Gericht vermutlich nicht bestellen», glaubt Rensing. Als Gang im Überraschungsmenü sind aber alle begeistert. Die Lorbeeren behält der 14-Punktechef nicht für sich. «Das Tatar ist eine Kreation meines Souschefs John.»
Vereinbarkeit von Job und Familie. Der «OX’n» ist auch innovativ, wenn es ums Organisatorische geht. «Wir haben die Viertage-Woche eingeführt», sagt Rensing. Er und Frau Katharina sind Eltern zweier kleiner Kinder. «Uns hat man oft gesagt, man müsse sich zwischen Kindern und einem Restaurant entscheiden. Aber wir finden, es muss beides möglich sein. Man muss halt die Lebensweise anpassen», sagt Rensing. «Ich bin nicht der Koch, der morgens um sechs im Wald Wildkräuter pflückt. Um diese Uhrzeit wechsle ich Windeln. Und meine Souschefs Tino Scodeller und John Richter probieren gerne Neues aus, so dass ich nicht in meiner Freizeit noch die neue Karte schreiben muss.» – «Es geht nicht easy peasy, aber es funktioniert», ergänzt Katha. «Wir wollen zeigen, dass das auch in der Gastronomie möglich ist.»
Auf keinen Fall Koch! Sebastian Rensing ist in Mauensee, nur wenige Kilometer vom «OX’n» entfernt, aufgewachsen. Ein Schicksalsschlag hat ihn zum Kochen gebracht. «Meine Mutter, eine leidenschaftliche Köchin, hat sich sehr schwer am Fuss verletzt. Als sie in der Reha war, musste jemand für die Familie Zmittag und Znacht kochen», erzählt Sebi. So kommt es, dass der 14-Jährige für seinen Vater und seine drei Geschwister täglich die Mahlzeiten zubereitet. Logisch, dass der Teenager eine Kochlehre in Erwägung zieht. «Ich schnupperte einen Tag und war mir danach ziemlich sicher: Das mache ich niemals! In der Küche war es laut und hektisch. Damals konnte ich das überhaupt nicht einordnen.» Viel lieber will Sebi Sportartikelverkäufer werden. Das Problem dabei: «Während der Schnupperlehre ist mir fast das Gesicht eingeschlafen.»
Palace, Jamie Oliver, Cervo. Am Ende zieht es ihn doch in die Küche. Sebastian Rensing absolviert die Lehre im Palace in Luzern bei Ulrich Baumann. «Eine lebende Legende», schwärmt Sebi. «Hier habe ich die Leidenschaft für den Beruf gelernt und wie man Sorge trägt zu den Lebensmitteln.» Nach der Lehre verschlägt es den Jungkoch nach Zermatt ins Hotel Julen. «Ich dachte, das mach ich spielend leicht, schliesslich kam ich vom Palace!» Heute muss er über seine leicht arrogante Haltung lachen. Denn schnell hat er gemerkt, dass jeder Betrieb auf seine Art fordernd ist. Eine Herausforderung war auch, mit Frauen ins Gespräch zu kommen, die kein Deutsch sprechen. «Also ging ich nach London, um Englisch zu lernen. Gleichzeitig bewarb ich mich überall.» Rensing landet im «Barbecoa», einem Grill-Restaurant von Kultchef Jamie Oliver. «Dort habe ich gelernt, was es heisst, 200 Essen in zwei Stunden zu schicken. Wir haben viel gearbeitet für wenig Geld. Aber das hat den Zusammenhalt noch gestärkt.» Auch über Jamie Oliver kann er nur Gutes berichten. «Er ist sehr bescheiden und betont immer, wie viel Glück er hatte, um dort zu sein, wo er ist.»
Was für ein Zufall! Glück hatte auch Sebastian Rensing. Zum Beispiel in Zermatt, wo er im «Cervo» anheuerte und von Dani und Seraina Lauber sehr rasch befördert wurde. Dort lernte er auch seine zukünftige Frau Katharina kennen. Und das Glück schlug wohl am heftigsten zu, als Sebi und Katha das Angebot für den «OX’n» erhielten. Der «Ochsen» in Schenkon war ein Kultbetrieb. Doch das Gebäude sollte abgerissen und neu gebaut werden. «Per Zufall waren wir an einem Abend im selben Restaurant in Sursee essen wie die Investoren.» Der Koch im Lokal machte die Geschäftsleute auf den jungen Chef aufmerksam. Der Rest ist Geschichte. Heute führen Sebi und Katha auch «Theo’s Gastropub» in Sursee, wo es unkomplizierte Sharing-Gerichte und Cocktails gibt. Letztes Jahr hat die OX’n-Crew zusammen mit einem Partner die Bar «Kweer» im Zürcher Niederdorf eröffnet, wo in erster Linie Samuel an der Front steht.
«Klar, bin ich neidisch!» Fast sechs Jahre nach der Eröffnung haben Sebi und sein Team ihren Stil gefunden. «Wir kochen unsere Gerichte so, wie wir sie gerne hätten. Und hoffen, dass unsere Gäste auch den Plausch daran haben.» Den «Plausch» haben sie mit Sicherheit am Schweinebauch. Der hat sich zum Signature Dish gemausert und kommt aktuell auf einem Spitzkohlsalat und mit einem Tsatsiki-Espuma. «Dazu hat mich Fabian Fuchs an der Magdalena-Kitchen-Party inspiriert», sagt Rensing, ohne diesen Fakt verheimlichen zu wollen. «Ich schaue gerne, was andere machen und überlege dann, wie wir das auf den OX’n adaptieren können ohne zu kopieren.» Allerdings blickt Rensing zwischendurch auch etwas wehmütig nach Zürich und auf die dortige Gastroszene. Die Stimmung, das Netzwerk, die Vibes – all das können weder Schenkon noch Sursee bieten. Auch die Aufmerksamkeit ist in der Stadt wesentlich grösser. «Klar, bin ich manchmal neidisch!», sagt er offen und ehrlich – und genau das macht Sebastian Rensing so sympathisch und nahbar.