Text: David Schnapp
Reto Brändli, wie lange haben Sie gestern gefeiert?
Gar nicht, ich bin früh ins Bett, davor habe ich ein Glas Champagner getrunken. Das Restaurant ist voll, und ich habe viel zu tun. Heute haben wir alle General Manager der grossen Berliner Hotels zu Gast.
Sie sind kaum ein Jahr in Berlin. Wie wichtig sind die zwei Sterne, die Ihnen der «Guide Michelin» verliehen hat?
Für mich und das Hotel war es mit das wichtigste Ziel überhaupt. Dafür bin ich hierher gekommen, dafür hat man mich geholt.
Wie schwierig war es, in einer neuen Stadt mit einem neuen Team in kurzer Zeit auf dieses Niveau zu kommen?
Die ersten sechs Monate waren wirklich hart. Ich musste in einer angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt ein Team von acht Leuten aufbauen, zuerst waren wir deshalb wochenlang nur zu viert. Ich habe sehr viel gearbeitet und habe nicht immer daran geglaubt, dass es gelingt. An manchen Tagen waren wir super, an anderen weniger.
Waren Sie unter Druck, die Bewertung Ihres Vorgängers Henrik Otto halten zu müssen?
Den Druck habe ich mir selbst gemacht, aber ich kann gut damit umgehen. Nach meiner Einschätzung bleibe ich auch unter Stress ein angenehmer Zeitgenosse. Aber ich schlafe schlecht, ich war viele Nächte wach. Abschalten fällt mir tatsächlich schwer.
Seit gestern können Sie besser schlafen…?
Uns allen ist ein grosser Stein vom Herzen gefallen. Das ist ja eine Mannschaftsleistung, und ich bin sehr stolz auf meinen Sous-Chef Christian Hoffmann und das ganze Team. Wie es mit dem Schlafen geht, werden wir sehen.
Wie haben Ihre Vorgesetzten reagiert?
Gerade eben war Karina Ansos, die General Managerin des Hotel Adlon Kempinski hier – sie ist sehr begeistert!
Gab es schon eine Feier mit dem Team, oder wird das nachgeholt?
Bisher hatten wir keine Zeit, aber am Samstag lade ich alle aus Küche und Service zu Champagner ein.
Regionale Küche ist angesagt und wird vom «Michelin» honoriert. Hatten Sie die Befürchtung, dass ihr Bekenntnis zu Edelprodukten nicht ankommt?
Was ich koche, passt zu diesem Haus und ist einfach mein Stil. Und darauf kommt es an. Wenn man eine eigene Handschrift hat, wird das vom «Michelin» auch honoriert.
Sie haben ein wichtiges Ziel erreicht, was kommt als nächstes?
Jetzt wird ins «Lorenz Adlon Esszimmer» investiert, es gibt neues Porzellan, neue Teppiche und Vorhänge. In der Küche werden die Arbeitsflächen aufgefrischt. Wir wollen uns auf diesen zwei Sternen nicht ausruhen, sondern den Aufwand weiter erhöhen und die Qualität steigern, indem wir noch bessere Produkte einkaufen. Ich bin ja zum Beispiel der Einzige in Berlin, der bretonischen Hummer serviert. Wir sind sehr motiviert, weiter vorwärts zu gehen.
>> RETO BRÄNDLI, 31, ist seit Frühling 2022 Küchenchef im «Lorenz Adlon Esszimmer» im Hotel Adlon Kempinski in Berlin. Davor hat er unter anderem im «Kempinski» St. Moritz, bei Rolf Fliegauf im «Ecco», bei Andreas Caminada auf Schloss Schauenstein und bei Benoît Violier im Hôtel de Ville in Crissier gekocht. GaultMillau hat Brändli als «Schweizer Star im Ausland 2023» ausgezeichnet und wurde jetzt vom «Guide Michelin» mit zwei Sternen bewertet.
Fotos: Maria Schiffer, HO