Marius Frehner, Ihr Restaurant Gamper wird im Februar neun Jahre alt. Wie hat sich Ihre Küche in dieser Zeit verändert?
Mittlerweile bestimmen die Produzenten meines Vertrauens mein Menü. Ich überlege mir nicht mehr die verschiedenen Gerichte und schaue dann, wo ich die Zutaten bestellen kann. Sondern erkundige mich zuerst, was ich in der gewünschten Qualität kriege, auf eine Weise produziert, die ich für richtig halte. Das kann sich jede Woche ändern. Vor allem nach zu viel Regen oder Frost sind einzelne Gemüsesorten nicht immer dann am besten, wenn sie eigentlich Saison hätten.
Es gibt kein Gemüse, das über das ganze Jahr in einer guten Qualität erhältlich ist?
Nein, Rüebli ist nicht gleich Rüebli. Da gibt es krasse Unterschiede. Gäste können diese vielleicht nicht immer benennen, merken es aber schlussendlich am Geschmack. Was mir bei Berufskollegen oft passiert: Es ist super gekocht, die Kombination der Zutaten ebenfalls wohl überlegt. Aber dem Ausgangsmaterial fehlt es einfach an Geschmack. Deshalb optimieren sie die Gerichte dann mit viel Umami, Säure und Würzigkeit, um ihre Gäste zu beeindrucken.
Pflegen Sie zu all Ihren Produzenten eine persönliche Beziehung?
Immer mehr. Das Gemüse gehört neben dem Fleisch zu den wichtigsten Zutaten in meiner Küche. Ich tausche mich stets mit meinen Produzenten aus: Was würden wir gerne nächstes Jahr ernten? Welches Gemüse wäre mal spannend anzubauen? Kein einfaches Unterfangen, da immer mehr Helfer auf der Ernte fehlen. Es gibt nicht mehr viele Leute, die so viel arbeiten möchten bei vergleichsweise tiefem Lohn. Ein Problem, das wir in der Gastronomie genauso haben.
Wie würden Sie dieses Problem angehen?
Ich träume von einem Zukunftsmodell, wo eine Person, die mir in der Küche hilft, im Sommer ebenso mit aufs Feld kommt. Einerseits wäre das mehr Abwechslung als nur in der sterilen Küche zu stehen. Andererseits hätten so Leute, die regional und saisonal kochen möchten, ein besseres Verständnis für die Produktqualität, als wenn sie nur auf den Markt gingen. Wir könnten vor Ort auf dem Feld besser und schneller entscheiden. Auch mehr Gemüse abnehmen, das sonst niemand will. Einmal haben wir bereits aufgeplatzte Kohlrabi einfach in grosse Stücke zerrissen. Dann ansautiert, im Ofen geschmort, langsam dehydriert und mit Kräuterbutter überbacken wie Schnecken nach Burgunder Art.
Scouten Sie ständig nach neuen Produkten?
Mittlerweile beliefern mich Produzenten, denen ich zu 100 Prozent vertrauen kann. Was aus ihren Böden kommt, hat einfach mehr Geschmack und Power.
Die Qualität der Produkte steht bei Ihnen über allem. Spielt die Küchentechnik dann eine untergeordnete Rolle?
Im Gegenteil! Jetzt wo wir wissen, woher wir was in der richtigen Qualität bekommen, können wir auch technischer werden. Küchentechniken helfen uns, Gäste gegenüber der Terroirküche empfänglicher zu machen und Produkte aufzuwerten, die nicht viel kosten. Ein gutes Beispiel ist unsere Lauchterrine: Wir müssen den Lauch zuerst gründlich waschen, bis sich auch in den innersten Schichten kein Sand mehr versteckt. Danach backen wir ihn ganz langsam im Ofen auf Salz, schälen und schneiden ihn herunter. Geschmacklich könnten wir den Lauch so bereits servieren. Als Terrine sieht das Gemüse aber natürlich um einiges edler aus auf dem Teller und rechtfertigt für den Gast den Menüpreis.
Wie hat sich die Zürcher Gastronomie in den letzten neun Jahren verändert?
Das Angebot ist definitiv diverser geworden. Das Zürcher Publikum verhindert aber ein noch schnelleres Wachstum. Im internationalen Vergleich fehlen uns die grossen Communitys, die für ihre eigenen Leute kochen können wie beispielsweise ein Chinatown in New York oder London. Sie sind in Zürich zu klein, um ein Restaurant tagein, tagaus füllen zu können. Und wer es trotzdem wagt, stösst auf viel Ablehnung, da Schweizer Gäste generell eher konservativ eingestellt sind.
Sie haben dieses Jahr «Gamper easy» lanciert, ein einfacheres Drei-Gänge-Menü nach Grossmutter-Art am Mittwochabend. Was hat Sie dazu bewegt?
Seit Covid bleiben die Leute unter der Woche eher zu Hause und sparen ihr Geld für das Wochenende oder die nächsten Ferien. Dank dem günstigeren «Easy»-Menü können wir unser Restaurant auch am Mittwochabend füllen und starten so gut in die Woche. Wir verwenden Stücke, die im grossen Menü keinen Platz haben und schliessen damit den Produktekreislauf. Gleichzeitig sprechen wir ein jüngeres Publikum an, das dann vielleicht auch sonst mal an einem anderen Abend vorbeikommt. Wir sind sehr happy, dass das funktioniert.
«Gamper easy» ist also eine Erfolgsgeschichte.
Der Ertrag deckt den Aufwand nicht ganz: Wir arbeiten trotz günstigerem Menüpreis mit dem üblichen Team, produzieren alles von A bis Z mit demselben Qualitätsanspruch an die Produkte. Eigentlich müssten wir das «Gamper easy»-Konzept in einem Restaurant mit mehr Sitzplätzen umsetzen. Oder mit günstigerem Personal, damit es sich aus rein ökonomischer Sicht lohnen würde. Aber wahrscheinlich wäre dann Zürich wiederum zu klein, um ein solches Lokal mehrmals pro Tag füllen zu können.
Wie sieht Ihre Bilanz sonst so aus dieses Jahr?
Eigentlich positiv, da wir zwei Konzepte lanciert haben, die super angekommen sind.
Sie sprechen Ihr Pop-up «Wermuteria» an?
Genau. Der September nach den Sommerferien war bisher immer eher schwierig für uns. Mit unserer «Wermuteria» hatten wir aber jeden Tag eine volle Hütte.
Ein Pop-up, das pro Kopf ebenfalls günstiger war als Ihr reguläres Vier-Gänge-Menü. Ein Zeichen der Zeit?
Aktuell ist die wirtschaftliche Situation sicher ein bisschen angespannt, die Leute sind sensibler bei der Preisfrage. Aber wenn ich eine fixe «Wermuteria» aufbauen müsste, würde dasselbe gelten wie bei «Gamper easy»: Ich müsste mit anderem Personal und anderen Löhnen arbeiten.
Was hat sich bei Ihnen dieses Jahr sonst noch verändert?
Da musste ich kurz mein Team fragen. Sie meinen, ich sei viel gelassener geworden. Insbesondere zu den Technikern, die unsere defekten Küchengeräte reparieren müssen (lacht). Ich hatte immer den gleichen Anspruch an sie wie an mich als Koch. Und habe mich dabei oft geärgert, wenn sie das Gerät erst nach dem zweiten, dritten Besuch richtig repariert haben. Auch wenn heute mal was in der Küche schief geht, sehe ich das viel lockerer als früher. Dinge passieren halt.
Was ist Ihr «Gericht des Jahres»?
Da gibt es viele, an denen ich Freude hatte. Aktuell ist es der Nüsslisalat, den wir wie ein Kraut einsetzen. Wir waschen jedes Salatröschen einzeln und schneiden sie ganz fein runter. Mit Spargelessig und Baumnüssen kommt er dann als Vinaigrette zu Kardy oder Lauch zum Einsatz.
Und ein persönliches Highlight der vergangenen zwölf Monate?
Ich freue mich über alle Gäste, die uns besuchen und schätzen, was wir machen. Insbesondere wenn es Berufskollegen aus dem Ausland sind, die schon auf der ganzen Welt gegessen haben und gar Superstars sind in ihrer Heimat. Wenn so eine Person dann meint, sie hätte dieses Jahr im «Gamper» ihr bestes Essen gehabt, stimmt mich das zuversichtlich.
Wo haben Sie selbst dieses Jahr besonders gut gegessen?
Da fallen mir zwei Orte ein: Maison Sota in Paris sowie das «Ernst» in Berlin. Bei «Sota» fand ich insbesondere die grünen Spargeln mit dem Öl von verbranntem Lorbeer grandios, bei «Ernst» die beispiellose Qualität der Produkte und wie sie sie zubereiten. Wer so reduziert kocht, kann nichts vertuschen. Darüberhinaus war es auch technisch perfekt.
Und bei wem möchten Sie nächstes Jahr gerne essen gehen?
Ganz klar zu Flavia Hiestand und Markus Burkhard, dem ehemaligen Duo des Restaurants Jakob in Rapperswil. Sie haben gerade die Weinbar Olo in der Winterthurer Altstadt eröffnet. Zudem haben sie in Oberwinterthur ein Restaurant übernommen, wo sie im Frühling loslegen möchten.
>> Marius Frehner führt seit 2016 sein Restaurant Gamper (15 GaultMillau-Punkte) an der Nietengasse im Zürcher Kreis 4 und serviert ein ständig wechselndes Überraschungsmenü mit vier Gängen.