Fotos: Rémy Steiner
Das Grandits-Geheimnis. «Wie macht sie das bloss?» Mit dieser Frage im Kopf habe ich mich nach Basel aufgemacht, um einen Tag lang im Restaurant Stucki bei Tanja Grandits als Praktikant mitzuarbeiten. Es geht um das Kochen, aber auch darum, etwas darüber zu erfahren, wie die beste Köchin der Schweiz scheinbar mühelos ein grosses Team auf unnachahmliche Art führt und zu Höchstleistungen motiviert, einen gut frequentierten Laden betreibt, eine Tochter liebevoll ins Erwachsenenleben schickt, und die dabei (fast) nie das Lachen verliert. Ganz werde ich das Geheimnis bis zum Ende nicht lüften können, so viel lässt sich hier schon verraten, aber immerhin die Grandits-Magie besser verstehen lernen. Grosses Bild oben: Tanja Grandits & GaultMillau-Autor David Schnapp.
Böhlers Programm. Und ich treffe auch nicht völlig unvorbereitet mit meiner Messertasche und der schwarzen Kochjacke, die ich schon lange nicht mehr getragen habe, morgens um 9 Uhr in Basel ein. Tanja und ich kennen uns lange, wir haben Kochbücher zusammen verfasst, auch eine Woche als Commis de Cuisine während des St. Moritz Gourmet Festival vor einigen Jahren steht in meinem Lebenslauf. Aber in der «Stucki»-Küche, deren Türe zum Gastraum hin immer offen ist, war ich noch nicht beschäftigt. Küchenchef Marco Böhler, der seit 16 Jahren mit Tanja Grandits zusammenarbeitet, und hier auch die Lehrlinge betreut, hat mir ein kleines Programm zusammengestellt. Es beginnt bei Poissonier Martin Harder, der mir vorzeigt, wie man Brüggli-Saibling entgrätet und zuschneidet.
Steinbutt «to go». Zuerst aber erfahren die acht Köche, die um den grossen Herdblock versammelt sind, was der Tag bringen wird: 45 Gäste haben zum Lunch reserviert, Auffälligkeiten sind dabei keine gemeldet, und zum Mittagessen für die Mitarbeiter ist Fried Rice mit Lachs und Crevetten vorgesehen. Mein neuer Kollege Martin wird das zubereiten. «Wir kochen zweimal täglich frisch für 35 bis 45 Leute», sagt Marco Böhler. Auf der Suche nach einem Grund für die auffallend gute Stimmung und den freundlichen Umgangston in dieser Küche, ist dieses Ritual wohl zentral. Für seine Kollegen zu kochen, beziehungsweise von ihnen Essen zubereitet zu bekommen, ist wie eine Art zwischenmenschlicher Geschmacksverstärker.
Bloss keine Fehler. Jetzt werden aber zuerst ein Dutzend Saiblings-Filets sorgfältig entgrätet. Eine Arbeit, bei der man keine Fehler machen will. Die Vorstellung, dass am Abend ein Gast eine Gräte in einem von mir behandelten Stück Fisch finden könnte, lässt mich kurz innerlich verkrampfen, bevor ich konzentriert an die Arbeit gehe. Mein Postenchef kontrolliert alle Fische, ist damit zufrieden und zeigt mir dann, wie sie zugeschnitten werden, bevor sie später, mit Ingwer-Lack bestrichen, auf einem dünnen Holzbrett auf dem Grill gegart werden. Das Ergebnis ist schliesslich ein leichtes, aromatisches und orangefarbenes Gericht mit Melone und einer Dashi, das auf den ersten Blick die Autorenschaft von Tanja Grandits verrät.
Frittierte Körbe. Als nächstes helfe ich Sous-Chef Manuel Engel beim Frittieren kleiner «Körbe», die erst abends zum Einsatz kommen und deren Daseinsberechtigung sich mir in dem Moment noch nicht erschliesst. Dafür wird eine eiserne Form in einen zähflüssigen Teig getaucht und dann in heissem Öl gebacken, bis daraus knusprig-goldbraune Form entstanden ist. Wäre ich 14 Jahre alt, wäre das heute mein «Zukunftstag», bei dem ich einen interessanten Einblick in einen vielfältigen, abwechslungsreichen Beruf des Kochs erhalte. Denn Marco Böhler hat als nächsten Programmpunkt für mich aus Eiern und Mehl – im Verhältnis 1:1 – einen Spätzle-Teig geschlagen. «Es gehört kein Mineralwasser und kein Griess in den Teig, sonst wartet die schwäbische Hölle auf dich», sagt er lachend.
Beethoven und Spätzle. Wie man die dünnen langen «Schwarzwald-Nudeln» perfekt hinbekommt, wäre Stoff für mindestens eine ganze Praktikumswoche. Der Teig wird auf einem nassen Holzbrett glattgestrichen, dann trennt man mit einer Palette und schnellen Bewegungen dünne Streifen direkt in siedendes Wasser. Was erfahrene Köche und jede Schwäbische Hausfrau im Wortsinn locker aus dem Handgelenk schütteln können, erscheint mir etwa so anspruchsvoll, als würde mir ein Starpianist beibringen wollen, eine Klaviersonate von Beethoven zu spielen. Unter Böhlers Anleitung gelingen mit immerhin zwei, drei Portionen in ordentlicher Form. «Die kann man verkaufen», sagt der Küchenchef zufrieden.
Harmonie statt Kleinkriege. Dann ist glücklicherweise Zeit zum Essen, einige ruhige gemeinsame Minuten an einem pinkfarbenen Tisch im Garten. «Die Leute, die hier arbeiten, mögen sich», sagt Tanja Grandits bei einem Teller Salat und Reis. Sie würde das kaum aussprechen, aber das hat sehr viel mit ihr zu tun. Mit der Kunst, die richtigen Leute auszuwählen, mit Kraft und Ausstrahlung der eigenen Persönlichkeit und dadurch, eine Art des Umgangs vorzuleben, der in professionellen Küchen nicht selbstverständlich ist. Auch wenn sich die Lage der Branche in dieser Hinsicht grossflächig entspannt hat, sind etwa Kleinkriege zwischen Service- und Küchenteam, subtile Gemeinheiten unter Kollegen oder ein Umgangston wie auf einer Baustelle im Tiefbau ebenfalls noch verbreitet. Obwohl im «Stucki» mit Mittag- und Abendservice ziemlich viel gearbeitet wird, gibt es scheinbar niemanden, der nicht gerne hier ist. Als wäre dies kein hochprofessionelles 19-Punkte-Restaurant, sondern eine kulinarische Bullerbü-Idylle.
Kräuter fürs Amuse-Bouche. Der Mittagservice verläuft anschliessend in geordneten Bahnen, kaum Allergien, keine Extrawünsche und alle Gäste bestellen den Business-Lunch in drei Gängen, wobei Tofu und Pulpo etwa gleich oft gewählt werden. Für meine nächste Aufgabe muss ich eine Pinzette zur Hand nehmen, um feine Kresse für das Amuse-Bouche zu platzieren: Es gibt ein Sablé mit Kräutern und Kohlrabi sowie einen Kräutersalat mit Kohlrabi-Tapioka, den Tanja Grandits persönlich an jeden Tisch bringt – ein Ritual, das sich im «Stucki» längst etabliert hat. Nach dem intensiven abwechslungsreichen Morgen falle ich auf einer Liege im Büro der Chefin in einen kurzen, tiefen und erholsamen Schlaf, bevor es mit dem zweiten Service des Tages weitergeht.
Steinbutt, geliefert. Abends haben 55 Gäste reserviert, dazu wird einmal «Take-Away de Luxe» ausgeliefert: Jemand im Quartier hat Steinbutt mit Erbsen und Krustentiersauce bestellt, dazu passe eine Flasche Krug Grande Cuvée, findet Gastgeber und Sommelier Grégory Rhomer. Ich bleibe auf dem Amuse-Bouche- und Vorspeisen-Posten im Rücken der Chefin und richte an: die frittierten Körbchen werden jetzt gefüllt mit gerösteten Mandeln, Mandelmousse sowie frischem und getrocknetem Kohlrabi. Nebenbei sehe ich, wie auch unter dem merklich höheren Rhythmus, der schnellen Taktfolge und trotz der gegen 400 Teller, welche die Küche an einem durchschnittlichen Abend verlassen, sich nichts an der Grundstimmung des kollegialen Wohlwollens ändert. Marco Böhler macht etwa drei Dinge gleichzeitig und unterhält das Team dazu noch mit heiteren Anekdoten aus seinem reichen Berufsleben. Auch unter Stress bleibt immer Zeit für einen Witz, nie gibt es Grund für ein unfreundliches Wort. Meine Kollegen geben mir auf so nette Art zu verstehen, wenn ich etwas falsch mache, dass ich ganz gerührt bin. Tanja Grandits hat als Köchin und Chefin beeindruckend viel erreicht. Eines ihrer vielleicht grössten Verdienste ist es aber, neben einem unverwechselbaren Koch- auch einen einmaligen Führungsstil etabliert zu haben, der Vorbild für viele sein sollte: Die Köchin der Herzen beweist mit kompromissloser Konsequenz, dass man auch mit Freundlichkeit Erfolg haben kann.