Fotos: Andrea Furger

Hongkong, Singapur, Dubai. «Er kocht japanischer als ich selbst», sagt Hideaki Sato und lacht dabei herzlich. Der 47-jährige Koch aus Nagano, der heute im «Tavie» in Hongkong arbeitet, deutet auf seinen Kollegen Tristin Farmer. Der 38-Jährige mit dem auffälligen «Man Bun» als Frisur hat eben seinen Job als Executive Chef im «Zén» in Singapur gekündigt und macht auf dem Weg zu seiner nächsten Arbeitsstelle in Dubai Halt in St. Moritz. «Ich bin mit all meinen Sachen in Koffern hierher gereist, Ende Woche fliege ich dann weiter, um in Dubai etwas Neues anzufangen», sagt Farmer.

Japanisch kochender Europäer. An diesem Abend am St. Moritz Gourmet Festival geht es in einer Ecke der grossen Küche des Swiss Deluxe Hotels Badrutt’s Palace allerdings eher um mentale oder geschmackliche als um tatsächlich physische Reisen. Sato und Farmer haben ein 4-Hands-Dinner geplant, dies ist ein neues und – wie der weitere Verlauf des Abends zeigen wird – vielversprechendes Format am Festival, das 2024 zum 30. Mal stattfindet. «Es war nicht sehr kompliziert, zusammen ein Menü zu schreiben», sagt Hideaki Sato, weil sein Kollege ein grosses Interesse an japanischen Produkten habe. So stellen die beiden gut gelaunten Köche fest, dass der Europäer eigentlich japanischer kocht als der Japaner selbst.

4-Hands-Dinner Hideaki Sato & Tristin Farmer, Badrutt's Palace Hotel

Gute Laune in der Hotel-Grossküche: «Badrutt's»-Küchenchef Jeremy Degras und sein Gastkoch Hideaki Sato.

Faszination Umami. Hideaki Sato, der seit 2015 mit drei Sternen für das «Tavie» ausgezeichnet wird, hat seine Laufbahn mit französischer Küche begonnen. «Als 30-Jähriger realisierte ich, dass ich nichts über die japanische Küche weiss», sagt er. Nachdem er sich in der Kunst der traditionellen Kaiseki-Küche weitergebildet hat, versteht Sato heute beides ziemlich gut und erklärt auch gleich, warum die Japaner so fasziniert sind von umami, dem so genannten Wohlgeschmack. «Umami ist für uns ein sehr klares Konzept. Es ist die geschmackliche Grundlage für jedes Gericht, erst danach kommen andere Elemente wie Säure, Salzigkeit, Süsse oder Bitterkeit hinzu», sagt er.

Kein Gericht mit Fugu-Sperma. Der gebürtige Schotte Tristin Farmer, der nach seiner Zeit in der Frantzén-Gruppe nun ein Steakhouse und ein Fine-Dining-Konzept mit 18 Sitzplätzen plant, hat während seiner Jahre in Singapur eine tiefe Faszination und ein grosses Verständnis für japanische Produkte und Aromen entwickelt und wendet diese Möglichkeiten meisterhaft an. Umami spielt auch in seinen Gerichten eine grosse Rolle. «Oft legen wir verschiedene Quellen von umami wie Schichten aufeinander», sagt er. Ursprünglich sollten neun Gänge serviert werden, ein Gericht fiel dann allerdings mangels Zutaten weg: «Es war leider nicht möglich, die Milch des Fugu Shirako zu besorgen», sagt er. Das Sperma des giftigen Kugelfisches ist eine beliebte Zutat, die auch Tristin Farmer gerne verwendet.

4-Hands-Dinner Hideaki Sato & Tristin Farmer, Badrutt's Palace Hotel

Reismehl und Kartoffeln: Gnocchi auf japanische Art mit weissem Trüffel aus Alba und Käsesauce.

4-Hands-Dinner Hideaki Sato & Tristin Farmer, Badrutt's Palace Hotel

Eine Brücke zwischen Japan und Europa: bretonischer Hummer mit violetten Ritterlingen, japanischen Seeschnecken und Schwarzwurzeln.

4-Hands-Dinner Hideaki Sato & Tristin Farmer, Badrutt's Palace Hotel

Teams aus Hongkong und Singapur: Vorbereitungsarbeiten in der «Palace»-Küche.

Fasan, Gnocchi, Abalone. Stattdessen arbeitet er mit Koji-Pilzen, welche zusammen mit roter Miso für einen feinen Umami-Ton bei der trockengereiften, sanft gegarten und auf der Haut grillierten Fasanenbrust sorgt. Ähnlich wie Mochi, die es in jedem Sushi-Restaurant zum Dessert gibt, werden Farmers Gnocchi mit Reismehl hergestellt und haben auch eine vergleichbare, gummig-zarte Konsistenz. Dazu gibt es eine Sauce aus Parmesan, Pecorino und Vacherin Mont d’Or sowie weissen Trüffel, den der Chef selbst von einer apfelgrossen Knolle des Piemonteser Edelpilzes darüber hobelt. Bemerkenswert ist auch die Kombination aus in Ingwer-Dashi gegarter Abalone mit gedämpfter Schwertmuschel und fermentierten Jalapeños, die Farmer als Vorspeise serviert.

Die Kunst der Klarheit. Hideaki Sato hat sich dafür entschieden, seine «eher französischen Gerichte» zu kochen. Nicht zuletzt, weil die von ihm favorisierten Muscheln, Fische oder Krustentiere aus Japan in den Schweizer Bergen nicht zu bekommen sind. Und um das Produkt gehe es in der japanischen Küche grundsätzlich. «Wir wollen den möglichst unverfälschten Geschmack darstellen wie ein Winzer, der sein Terroir abbilden möchte», sagt er und macht noch einen treffenden sprachlichen Vergleich: «‹Ich liebe dich›, ist die ausdrucksstärkere Aussage als ‹Ich liebe dich sehr›.» Mehr hinzuzufügen, sei oft nicht hilfreich. Das sei auch der Grund für die Popularität der japanischen Küche. «Diese Klarheit wird überall verstanden», findet Sato.

Gänseleber, Hummer, Wagyu. Eine Foie-Gras-Creme mit Enten-Consommé und schwarzem Trüffel zeigt dann anschaulich, wie Sato französische und japanische Küche auf eigene Art zusammenführt. Die Creme ist wie ein Chawanmushi zubereitet, gleichzeitig schmeckt alles sehr vertraut. Beim bretonischen Hummer mit violetten Ritterlingen, japanischen Seeschnecken und Schwarzwurzeln, sind bekannte und exotische Elemente fein kombiniert. Und auch mit dem grillierten Kagoshima-Wagyu, das in einem Magnolienblatt («Hoba») zusätzlich geräuchert und mit einem süsslichen Arima-Pfeffer sowie leicht scharfem Randensenf gewürzt wird, baut der Koch eine filigrane Brücke zwischen den Geschmackswelten von Ost nach West, was als bestimmendes Thema des 4-Hands-Dinner äusserst reizvoll bleibt.

 

>> Hideaki Sato und Tristin Farmer kochen noch bis zum 3. Februar 2024 am St. Moritz Gourmet Festival.