Text: Anita Lehmeier Fotos: Lucia Hunziker
Das Handwerk des Hofmetzgers. Christian Lussi aus Stans/Oberdorf – de Chrigu, wie ihn alle nennen – hat alle Hände voll zu tun. Im wahrsten Sinn: In seiner Hofmetzgerei ausgangs Stans, Richtung Engelberg, wird alles von Hand gemacht. Das Handwerk des Metzgers ist eine der tragenden Säulen, auf der sein Betrieb steht. Dieser heisst denn auch «Wärch 303». Seit 2014 ist Chrigu auf dem Hof des Elternhauses am Werk, als einer der letzten Hofmetzger weitherum. Er hat sein Handwerk gelernt, in einer dritten Berufslehre. «Zuerst machte ich den Landmaschinen-Mechaniker, dann lernte ich Bauer, danach Metzger. Jetzt stimmts, jetzt kommt alles zusammen», meint der Mittdreissiger mit den kräftigen Händen und den veilchenblauen Augen. Als Kleinstmetzg, die voll auf Handarbeit setzt, hat er eine Nische entdeckt und besetzt. Schaut man ihm beim Handwerken zu, ob beim Wursten oder wenn er ein Reh aus der Decke schlägt, sieht man bald, dass da einer sein Ding gefunden hat und durchzieht. Damit der Betrieb mit drei Angestellten läuft, muss sich Lussi aber ranhalten, die Corona-Krise drückt auch auf seine Umsätze; die Bankett-Caterings, Festivals und Veranstaltungen, an denen seine Grilladen, Würste und Spanferkel heiss begehrt sind, fehlen. Grosses Bild oben: Die Köche Andrea Troxler und Christoph Koller, Metzger Chrigu Lussi.
Chrigu tourt durch die Dörfer. Wie geht’s weiter? – eine Frage, die sich Lussi schon letztes Jahr stellte. Und die Antwort lag nah, beziehungsweise in der Ferne. Zumindest so fern wie der Nachbarkanton. Seit gut einem Jahr tourt der schwarze «Wärch 303»-Wagen mit der rollenden Fleischtheke durch Obwaldens Dörfer, täglich an einem anderen Standplatz, immer von neun bis 13 Uhr. In der gut drei Laufmeter langen Kühltheke finden Fleisch-Fans das grosse Sortiment aus Lussis Hand-Werkstatt: Brat- und Rosswürste, Rollbraten, Steaks, Koteletts am Stück, Voressen, Plätzli, Rind- und Wildburger, edle Teile und Second Cuts. Schliesslich gilt es bei Lussi, das ganze Tier zu verwerten. «Nose to tail», wie die Städter das neudeutsch nennen.
Heisse Tipps? Ein Koch ist der Frontmann. Für Auskünfte, woher das Fleisch kommt und wie man es zubereitet, ist Philipp Infanger der Richtige. Der gelernte Koch (vormals «Bistro 54», Stans) ist der Frontmann von «Wärch 303». Er steht an der rollenden Fleischtheke im Anhänger, verkauft mit ebenso viel Charme wie Know-how Feines aus der Metzg-Manufaktur. Ein Service, den die Leute in Sachseln, Giswil, Sarnen, Alpnach und Engelberg zu schätzen wissen und immer fleissiger nutzen. Gab es kein Zoff mit dem heimischen Gewerbe, dass da ausgerechnet ein Nidwaldner in ihr Revier eindringt? «Nein. Mit wem auch?», sagt Lussi. «Es gibt in ganz Obwalden noch in einem Dorf, in Kerns, einen Metzger. Alle anderen haben schon lange aufgegeben.» Dass das Metzgerhandwerk in einem ländlichen Kanton einfach ausstirbt, das wollte Lussi nicht hinnehmen. Er kaufte einen Anhänger, die «Wärch»-Mannen brachten diesen optisch, technisch und hygienisch auf Vordermann, im August 2019 ging es los. Seither packt Lussi jeden Morgen seine Theke voll und schickt den coolen Wagen los nach Obwalden. Auch Nidwalden wird rollend bedient, donnerstags in Stansstad. Chrigus Versprechen auf seiner Webseite? «Saugut!»
Hoflieferant des «Culinarium Alpinum». Lussi hat neben dem Spielbein «Rollende Fleischtheke» in Obwalden noch ein Standbein in Nidwalden. Er ist einer der handverlesenen Lieferanten vom «Culinarium Alpinum» im Kapuzinerkloster Stans. Heimische Produzenten liefern liebend gern in die Klosterküche, fühlen sich dabei ein wenig wie die Hoflieferanten der Königin, die ihre Waren mit der Auszeichnung «By Appointment With Her Majesty The Queen» adeln. «Peter Durrer fragte mich früh an, ob ich dabei bin. Natürlich sagte ich zu!» Lussis Angebot und Philosophie passt perfekt zum Geist des Genuss-Hauses, das sich ganz der Regionalkulinarik, der Nachhaltigkeit und der Tradition verschrieben hat. Lussis oberstes Kriterium beim Einkauf von Schlachttieren, das Tierwohl, gehört ebenso zum Culinarium-Credo. Bei Lussi wird ein Tier ums andere angeliefert und dann verarbeitet, vom Anfang bis zum Ende.
Tüftlen für die perfekte Streckwurst. Zusammen entwickelte das Dream Team Lussi/Durrer zum Beispiel die Streckwürste, eine Spezialität, bei der man einst in mageren Zeiten das Fleisch in der Wurst mit Brot oder Früchten «streckte». Bis das Resultat zu beider Zufriedenheit war, gingen viele Versuche durch den Fleischwolf. «Wir haben mit allerlei Geschmackskompositionen getüftelt, und Dominik Flammer hat alte Rezepte beigesteuert», erzählt Lussi. Mit der Expertise des Food-Historikers und Mastermind des Alpenkulinarik-Instituts und nach einigem try and error ist die Streckwurst mit Dörr-Zwetschgen und-Birnen nun ein Signature Dish im Culinarium Alpinum – und eine Exklusivität.
Apfelsenf, Marroni-Härdöpfelstock & Vogelbeeri. Andrea Troxler, the new kid on the Kloster-Block, haut die Würste für unser Shooting in die Pfanne, bereitet ein Marroni-Härdöpfelstock und buntes Ofengemüse zu. Dazu gibt es den hausgemachten Apfelsenf und eingelegte Vogelbeeren. Die hat Andrea Troxler von Werner Tobler vom «Bacchus» Hildisrieden geschenkt bekommen und in Sirup eingelegt. Sie krönen zusammen mit Kräutern die Streckwurst und den Quarkklecks auf dem Rollbraten vom Mittagsmenü. Wilden Thymian, Kamille, Wiesenknopfkraut, Ringelblumen, Schafgarbe und Franzosenkraut («eine echte Eisen-Bombe!») sammelt Andrea vor Dienstantritt auf den Wiesen rund ums Kloster und im Vorgarten.
Erst zu den Stars, dann ins Kloster. Die junge Nebikonerin mit dem minimalistischschen Gretchen-Zopf und dem «Petit-Prince»-Tattoo hat im legendären «Adler» die Lehre gemacht und ist dann zu den Sternen ausgeflogen: zu Joël Robuchon in London («eine heftige Erfahrung!»), zu «Le Benjamin» und «Maaemo» in Oslo («ich wollte unbedingt die nordische Küche kennenlernen») und zu Ana Ros in Slowenien, (World’s best female Chef 2017). Dank Netzwerk erfuhr Andrea Troxler, die im Lockdown ihren Souschef-Job in Moritz Stiefels Hopfenkrank in Luzern verloren hatte, vom freien Platz in der Klosterküche. Die grosse weite Welt, den Sternenglanz, den Stress, die Städte vermisse sie nie. «Wenn mir was fehlt, dann höchstens die Fische und die Meeresfrüchte, mit denen ich in Oslo zu tun haben durfte. Diese Meer-Aromen!» Aber die ausgesuchten Regionalprodukte, die durch die Klosterküche gehen, seien ebenso einzigartig. Und herausfordernd. Ganz das, was Andrea Troxler sucht am Herd.