Text: Kathia Baltisberger Fotos: Olivia Pulver Video: Anna Menninger
Leben auf dem Bauernhof. «Wenn meine Oma Kuchen gebacken hat, versteckte sie ihn immer im Vorratsschrank. Ich habe dann ganz leise versucht, die Türe zu öffnen. Doch die hat so laut geknarrt, das ging gar nicht ohne erwischt zu werden.» Es ist eine der ersten kulinarischen Erinnerungen, die Sebastian Rösch an seine Kindheit hat. Heute kocht der 30-Jährige im «Mesa» in Zürich. Essen hat ihn schon als kleiner Knirps geprägt. Aufgewachsen ist er in einem kleinen Dorf in Bayern. In Franken um genau zu sein. Seine Grosseltern lebten auf einem Bauernhof, die Oma kochte jeden Mittag. Zur Vorspeise gab es oft ein rohes Ei mit Salz – meist noch warm, weil es eben erst gelegt wurde. Die Butter wurde selbst produziert.
Rosen und Geflügel. Sebastian Rösch ist einer dieser Köche, die den persönlichen Kontakt zu den Produzenten suchen. «Das hat sicherlich damit zu tun, dass ich auf einem Hof aufgewachsen bin. Ich bewege mich auch heute noch gerne dort», sagt er. Rösch kann auf ein Netz von ausgewählten Produzenten und Lieferanten zurückgreifen. Von Roman Clavadetscher bezieht er die Gänse für die Raviolifüllung. Lilo Meier züchtet Rosen am Uetliberg. «Genau solche Leute brauche ich, die das mit Leidenschaft machen. So wie Lilo, die mir zu liebe jetzt einfach noch diese vielen Kräuter zusätzlich macht.» Durch den direkten Kontakt werde der ganze Ablauf besser, Fehlerquellen lassen sich minimieren. «Klar, das ist auch immer teurer, wenn ich bei solchen Produzenten einkaufe.» Eine Investition, die sich definitiv lohnt.
A wie Ascona. Dass Sebastian Rösch in der Schweiz kocht und lebt, ist reiner Zufall. Die Lehre machte er in Laudensacks Parkhotel in Bad Kissingen. «Das war krass! Ich hatte 300 Überstunden in kürzester Zeit. Wir mussten auch nach der Berufsschule abends noch in die Küche. Das ist ja eigentlich nicht erlaubt», erinnert sich Rösch. «Die Ausbildung entsprach sicherlich nicht Berufsschulvorgaben, aber da habe ich so viel gelernt. Das war genial. Fachlich sowie menschlich hätte man sich keinen besseren Betrieb aussuchen können.» Nach der Lehre wollte er nach Dubai, doch die Bundeswehr machte ihm einen Strich durch die Rechnung, Rösch wird für neun Monate eingezogen. «Danach wollte ich einfach raus aus Deutschland. Also kaufte ich mir die Schweizer Ausgabe des GaultMillau. Ich habe das Buch bei A aufgeschlagen und da fand ich das Giardino in Ascona. Das fand ich ganz toll, also habe ich mich beworben.» Nach einer Saison bei Rolf Fliegauf kommt Rösch nach Zürich, macht halt im «St. Meinrad» bei Tobias Buholzer und geht anschliessend in den «Rigiblick».
Zwischenstopp Bistro. Doch nach fünf Jahren fragt er sich: Ist es das? Rösch sucht eine neue Herausforderung und hilft beim Aufbau des Marmite-Bistros in Zürich Altstetten. «Das war ein einfaches, aber tolles Bistro. Doch ich habe schnell gemerkt, dass mir die Präzision und die Produkte fehlen.» Dann kam die Anfrage von «Mesa»-Besitzerin Linda Mühlemann. Rösch folgt auf Starchefs wie Marcus G. Lindner und Antonio Colaianni. Ein grosser Druck? «Es gab schon Skepsis, auch von den Gästen. Das sind schliesslich grosse Fussstapfen.» Das «Mesa» kriegt eine Verjüngungskur, die Atmosphäre ist entspannter, das Niveau muss dennoch hoch bleiben. «Dieser Spagat, das war die Schwierigkeit. Manche Gäste waren irritiert, wenn ein spezieller Cut auf dem Menü stand. Heute wissen die Gäste Bescheid und kommen gerne mit auf die Reise. Ich konnte sicher viele alte Stammgäste wiedergewinnen.»
Seine Handschrift? Röschs Karte ist breit gefächert: Ennetbürger Short Rib, Swiss Alpine Kaviar, Ravioli mit Malanser Gans oder bretonischer Heilbutt. Am Mittwoch serviert er ein komplett veganes Menü. Rösch ist kein Veganer, doch er möchte Gästen die sich ganz ohne tierische Produkte ernähren, ein Gericht auf höchstem Niveau bieten. Was als Experiment angefangen hat, kommt gut an. Und hat auch den Chef weitergebracht. «Die Leute fragen mich immer: Was ist dein Stil? Was ist deine Handschrift? Ich bin noch so jung, ich will mich nicht gleich in eine Schiene drängen lassen. Ausserdem kann ich mich nicht entscheiden. Ich kann auf so viele tolle Produkte zurückgreifen. Ich möchte alles mal ausprobieren.»
Rösch lässt sich Zeit. Köche, die sich selbst inszenieren, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, aber nicht liefern, würden der Branche schaden. «Die Schweiz steht für Qualität bis ins kleinste Detail. Wenn man immer alles bis auf den letzten Rappen ausquetscht, leidet irgendjemand: das Tier, der Produzent, der Koch oder der Gast.» Rösch bleibt beim Kochen sich selbst, was auf dem Teller landet, ist authentisch. Röschs Lieblingsessen: Entenbraten mit Knödel zubereitet von seiner Mutter. Im «Mesa» greift er das wieder auf: Rösch brät die Brust, während die Karkasse noch dran ist. «So zieht sich das Fleisch nicht zusammen und bleibt saftig. Das Gericht kommt natürlich etwas edler daher, aber im Kern ist es das gleiche.»