Text: David Schnapp Fotos: Rémy Steinegger
Grosses Publikum. Den Trüffeljus hat Sebastian Zier sorgfältig in Einmachgläser abgefüllt, im heissen Dampf sterilisiert und dann, verpackt in Styroporkisten, in einen Transportbus geladen. Auch Kabeljaufilets, Foie-Gras-Terrinen oder amerikanisches Short Rib vom Rind und 500 bis 600 Kilogramm weiteres Material haben er und sein Team für einen Anlass von St. Gallen nach Orselina verfrachtet. Man will schliesslich einen bleibenden Eindruck hinterlassen, denn an diesem Abend geben Zier & Co eine Art Comeback vor grossem Publikum im Rahmen des Gourmetfestivals San Pellegrino Sapori Ticino .
Motto: «angreifen». Monatelang war das «Einstein Gourmet» (18 Punkte, 2 Sterne) ausser Betrieb, Ziers Küchenpartner Moses Ceylan hat sich mittlerweile aus dem Hotel Einstein verabschiedet und verfolgt neue Karrierepläne. Und Sebastian Zier selbst hat in der Zeit des geschlossenen Restaurants verschiedenste Aufgaben im Betrieb übernommen, Bankette veranstaltet, im Bistro gearbeitet – nur das, wofür er 2015 ursprünglich von Sylt nach St. Gallen gezogen war, konnte er nicht tun: «Auf höchstem kulinarischen Niveau «angreifen», wie er das nennt.
Die «Einstein»-Crew in der «Villa Orselina»: Pascal Hobler (Service), Alexander Fink (Patissier),
Richard Schmidtkonz (Head Chef), Sebastian Zier (Küchenchef), Loris Lenzo, Mathias Schranz (v.l.).
Geschmack und Handwerk. Langsam wärmt Zier jetzt in vier verschiedenen Töpfen einen konzentrierten Trüffeljus, einen herb-fruchtigen Krustentier-Tomatenfond, eine jodig-säuerliche Dashi-Beurre-blanc und einen Umami-reichen Pilzfond auf. «Geschmack, Geschmack, Geschmack – und Handwerk!», sagt er. Darum gehe es ihm beim Kochen und dafür solle die «Einstein»-Küche wieder stehen, wenn das Restaurant am 6. November 2020 endlich wieder öffnet.
Start ins Menü: Kürbis-Rose mit Quinoa und Dashi-Beurre-blanc.
Geschmack und Ästhetik: Foie gras mit Shiso und Zwetschgenreduktion.
Details im Dessert. Praktisch das ganze bisherige Team konnte Sebastian Zier beisammenhalten. Der hochtalentierte Patissier Alexander Fink kehrt nach einer Zwischenstation in einem bayrischen Wirtshaus zurück nach St. Gallen und ist auch im Tessin dabei, obwohl sein Arbeitsvertrag erst am 1. November beginnt. Sein Dessert aus einer Buchweizengalette mit Buchweizen-Ivoire-Schokoladecreme, Apfelkompott, Milcheis und Apfelsauce ist für einen Anlass dieser Grössenordnung schon ausserordentlich detailliert und arbeitsintensiv.
Neuer Head Chef. Schon seit acht Jahren an Ziers Seite kocht Richard Schmidtkonz, er wird künftig die Funktion des Head Chefs übernehmen. «Es ist schön, mit den Kollegen wieder in der Küche zusammenzustehen», sagt Zier, während seine Leute konzentriert Creme-Punkte auftragen, geröstete Haselnüsse hacken und sieben, Fisch portionieren oder auch einfach nur versuchen, den Dampf-Ofen in der fremden Küche im Boutique-Hotel Villa Orselina in Betrieb zu nehmen.
Am Tisch bei den Gästen: Sebastian Zier mit dem Saucentopf.
«Einstein»-Klassiker: Eigelb-Tagliatelle mit Kaisergranat und Krustentier-Tomaten-Sauce.
Keine Zufälle. Ausser Haus zu kochen, sei immer eine Gratwanderung, sagt Zier. Um möglichst viele Fehlerquellen auszuschliessen, wurde nichts dem Zufall überlassen, sogar Teller hat das «Einstein»-Team im Gepäck und ein Dutzend Isi-Siphonflaschen mit Nussbutter- und Rauchpaprikaschaum sowieso. 75 Festival-Besucher werden erwartet und Zier macht sich Gedanken, wie er seine mit viel Liebe und Aufwand zubereiteten Saucen so zu jedem Gast bringen kann, damit jeder die richtige Menge auf dem Teller hat, und ohne dass die Flüssigkeit auf dem Weg von der Küche an den Tisch umherschwappt. «Ich werde wohl mindestens teilweise selber die Sauce am Tisch einschenken», sagt der 43-jährige Aufsteiger des Jahres von 2019 und geht zwei, drei Stunden später tatsächlich mit dem Saucentopf in der Hand durch den Speisesaal.
Stundenlang geschmort: Beef Short Rib mit Kohl und Pilz-Jus.
Detailliert: Dessert aus Buchweizen, Ivoire-Schokolade, Apfel und Milcheis.
Saucen-Religion. Sebastian Zier kommt aus der Schule von Harald Wohlfahrt in der «Schwarzwaldstube», Saucen haben da eine fast schon religiöse Bedeutung und wenn Zier davon erzählt, wie er seinen «Beef Tea» kocht, den es am 6. November zum Steinbutt im neuen «Einstein»-Menü geben wird, versteht man, was diese Bedeutung ausmacht. Für die Sauce macht Zier einen ersten Ansatz mit gerösteten Kalbsknochen, zwei weitere mit Gemüse und Kalbsschwanz und einen vierten mit Kalbfleisch, um den Fond zu klären. Seine Küche müsse «Bums» haben, bringt er den ganzen Aufwand auf den Punkt.
Applaus und Lob. In Orselina holt sich das Team Zier mit seinen Saucen, mit punktgenau konfiertem Kabeljau und Trüffeljus, langsam geschmortem Short Rib vom Rind mit Pilzjus oder mit einem Quinoa-Kürbis-Salat mit Dashi-Beurre-blanc langanhaltenden Applaus des Publikums und das Lob von Festival-Präsident Dany Stauffacher ab: «Wir haben sehr gut gegessen und sind stolz darauf, dass Sebastian Zier hier war», fasst der erfahrene Tessiner Feinschmecker den Abend kurz, knapp und treffend zusammen.
