Maurice Marro, was ist die grössere Herausforderung für einen Executive Chef – ein Bankett für 150 Leute oder ein Clubsandwich, das nachts um drei Uhr ins Zimmer bestellt wird?
Weil ich den Job seit Jahren mache, ist beides für mich Routine. Das A und O in meiner Position ist ja, dass man sich mit einer guten Equipe umgibt. Man muss sich auf die Köche in den verschiedenen Outlets verlassen können, ebenso auf den Nachtkoch – schliesslich kann man nicht immer da sein. Wer die Brigade gut coacht, kann vieles problemlos stemmen.
Sie mussten im Winter jeweils ein Fondue-Chalet im Garten bewirten. War das vielleicht herausfordernd?
Ich bin Fribourger, das war nun wirklich keine Sache. (Lacht.) Die Direktion hatte 2015 diese Idee – mir gefiel sie natürlich ausserordentlich. Ein guter Executive Chef muss sowohl einfache als auch komplizierte Zubereitungen beherrschen. Das wird auch für Olivier Rais gelten, der meine Nachfolge antritt.
Zur Equipe gehörten und gehören Starchefs wie Laurent Eperon und Maximilian Müller. Sie sind der stille Schaffer. Wollten Sie nie ins Rampenlicht?
Meine Auffassung ist anders: In einem Fünfsternehotel muss der Executive Chef die Stars bedienen, er selbst ist keiner. Aber es gehört natürlich zum Job, solche Kochtalente wie Laurent oder Maximilian – der bei mir in der Hauptküche angefangen hat – zu finden und zu fördern.
Sie sind als Jungkoch 1981 erstmals ins Baur au Lac gekommen, haben ganze 36 Jahre hier gearbeitet. Inwiefern hat sich das Angebot verändert?
Da ist einiges gegangen. Früher war das Angebot in allen Restaurants des Hotels ähnlicher – heute ist Vielfalt gefragt. Und dann sind da noch die Gäste dazugekommen, die sich fleischlos ernähren oder Allergien und Unverträglichkeiten haben.
Ärgerlich für einen Küchenchef?
Nur, wenn sie sich erst melden, wenn der Teller schon vor ihnen steht. Wir bereiten solche Dinge gern im Voraus vor – gerade Allergien gilt es ja wirklich ernst zu nehmen.
Gab es, als Sie anfingen, schon Burger auf den Hotelkarten?
Burger gab es, aber sie wurden mit einer schönen Sauce auf dem Silbertablett serviert. Nicht in einem Bun! Der «Mc Donald’s»-Style kam erst vor etwa 20 Jahren, weil die Kundschaft das wünschte. Ganz generell gilt noch anzumerken: Die Produkte sind in den letzten Jahren exotischer geworden, sie kommen nicht immer aus Zentraleuropa. Einen Thaisalat muss man heute anbieten können.
Die technischen Möglichkeiten in der Küche haben sich wohl auch verändert.
In meiner Zeit in St. Moritz im Kulm arbeiteten wir noch mit einem Herd, der mit Öl betrieben wurde. Der war teuflisch heiss, in der Mitte glühte er. Die Temperatur zu regulieren, war ein Ding der Unmöglichkeit. Das erforderte unglaublich grosse Aufmerksamkeit von den Köchen. Seit es Induktionsherde gibt, ist es ja möglich, die Temperatur für eine Sauce aufs Grad genau zu bestimmen. Seit meiner Lehre 1976 hat sich technisch schon einiges getan, der Beruf ist weniger handwerklich als damals. Ob das gut ist oder nicht? Schwierig zu beantworten.
Ihre liebste Erfindung in der Küche?
Die Klimaanlage! Im «Baur au Lac» haben wir eine seit 1997, für mich ist das eine fantastische Sache. Für die Produkte, die länger frisch bleiben, aber auch für die Köche. Früher schwitzte man schon, bevor man etwas getan hatte.
Ist der Ton in der Küche damit auch «weniger heiss» als damals?
Der Umgangston ist ruhiger geworden, ja. Auch ich bin seltener am «kochen» als früher…
Wann haben Sie sich das letzte Mal geärgert?
Letzten Freitag! Aber ich möchte da nicht näher darauf eingehen, die Sache ist bereinigt. Man darf nicht nachtragend sein, sonst schadet das dem Teamgeist! Nur wer arbeitet, macht Fehler, ist diesbezüglich mein Motto.
In dem Fall war es kein Lieferant, der sie verärgert hat.
Nein, es war ein Mitarbeiter.
Was waren eigentlich die hektischsten Momente in all den Jahren?
Früher gab es noch das Sommerfest im Garten mit bis zu 2400 Gästen – das war anspruchsvoll. Auch die Opernbälle waren jeweils fordernd. Teilweise haben wir die Gerichte hier angerichtet und dann rüber ins Opernhaus transportiert. Auch dort waren es jeweils 600 bis 700 Gäste, die wir verköstigt haben – da gab es schon kurze Nächte.
Können Sie gut abschalten?
In der Regel schon. In der Zimmerstunde verlasse ich das Hotel – und kann das «Baur au Lac» dann problemlos für zwei Stunden vergessen. Sonst wäre ich wohl nicht so lange hier geblieben.
Gibt es Gäste, die Filets für ihren Hund bestellen?
Das kommt häufiger vor, als Sie denken. Wir haben eine Hundekarte – man wählt zwischen Rind-, Poulet-, Lammfleisch oder Bio-Lachs, mögliche Beilagen sind etwa Reis, Kartoffeln oder Gemüse.
Das bedeutet, es gibt eigentlich gar keine aussergewöhnlichen Gästewünsche?
Es gibt schon manchmal Produkte, die wir wirklich nicht vorrätig haben und dann in der Stadt einkaufen müssen. Vor einigen Jahren wollte ein Gast abends auf dem Zimmer unbedingt Tacos essen – während jemand die Maistortillas besorgte, bereitete die Küche die Saucen vor. Aber so speziell ist das in einem Fünfsternehotel ja auch nicht. Und es macht schliesslich unseren schönen Beruf aus: Wir können den Leuten täglich Freude schenken, anders als ein Zahnarzt!
Sie haben ein Heftpflaster am Finger. Es scheint also, dass Sie immer noch mit anpacken. Haben Sie sich geschnitten oder verbrannt?
Ich habe den Finger gequetscht, als ich einen Grill getragen und dann auf meiner Hand abgestellt habe. Das kann auch nach all den Jahren noch vorkommen!
>> Maurice Marro arbeitete während über dreissig Jahren im Zürcher Fünfsternehotel Baur au Lac. Seit 1997 belegte er die Funktion des Executive Chefs. Ende Oktober 2024 wird er in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Sein Nachfolger wird Chef de Cuisine Olivier Rais.