Text: David Schnapp Fotos: Thomas Buchwalder
Hilfe vom Team «IGNIV». Um 19.15 Uhr ist Sergio Herman noch erstaunlich gelassen. Die ersten Gäste am St. Moritz Gourmetfestival sitzen schon im grossen Saal des «Badrutt’s Palace» und auf der Vorspeisen-Station zupfen zwei Köche Kräuter. «IGNIV»-Chef Marcel Skibba hat Herman die Küche zur Verfügung gestellt. Und Herman erzählt, die Kräuter hätten sie aus dem Zeeland mitgebracht, ebenso wie Austern und Muscheln – essentielle Produkte von Hermans Küche, die immer auch eine Zeeland-Küche war. In dieser Provinz im Südwesten der Niederlande stieg Herman zum wohl einflussreichsten Koch seiner Generation auf.
Neue kulinarische Coolness. Der 48-Jährige ist eine kulinarische Legende: Als er 2013 sein «Oud Sluis» schloss, hatte er mit 20 Punkten im GaultMillau und drei Sternen im Michelin mehr erreicht, als jeder andere Berufskollege – mit Ausnahme von Marc Veyrat, der ebenfalls 20 Punkte erkocht hatte. Viel wichtiger aber: Sergio Herman hat die Art, wie wir auf höchstem Niveau essen, nachhaltig verändert. Junge Kellner in Jeans und Turnschuhen, eine verglaste Küche, Rockmusik im Gastraum und eine unverwechselbare Handschrift der Aromen: frisch, leicht, säuerlich. All das hatte er eingeführt, lange bevor die neue kulinarische Coolness selbstverständlich wurde.
Keine Zufälle. «Fucking perfect» heisst ein Dokumentarfilm über Sergio Herman, der «immer besser sein möchte als die andern», wie er uns in St.Moritz erzählt. So entspannt er zu Beginn des Abernds noch ist, beim Anrichten der Langoustine oder der geräucherten, grillierten Anjou-Taube herrscht höchste Kozentration. Auch wenn die Kreationen Hermans oft aussehen, als wären sie locker in Schalen geworfen worden, werden sie akribisch genau aufgebaut. Dort eine Creme, da ein Gel, ein Öl – nichts ist zufällig an einem Ort platziert.
Weltstars im Engadin. Sergio Herman hat immer ein Handtuch über die Schulter gelegt, zwischendurch serviert ihm «Palace» Executive-Chef Dirk Haltenhof eine Cola Zero mit Eis und Zitrone. Die beiden Köche sind befreundet, Haltenhof hat Herman nach St. Moritz ans Gourmetfestival geholt. Seit 1994 kommen die Weltstars der Küche Mitte Januar ins Engadin (Festival-Partner: BMW und Julius Bär).
«Common, guys!» In der Küche ist Herman immer im Zentrum des Geschehens, appliziert Jus und Essenzen und wird dann plötzlich ungehalten, weil er ganz alleine am Pass steht und eigentlich loslegen möchte mit Anrichten. «Common, guys!», ruft Sergio laut, sofort sind die Leute wieder da, das Konzentrations-Level hoch. Herman klatscht in die Hände, treibt den Service an und wirkt zwischendurch wie Roger Federer auf dem Court, wenn er sich im lauten Selbstgespräch selbst zu Höchstleistungen pusht.
«100 Prozent sind unmöglich.» Es gibt gewissermassen zwei Sergio Hermans: Den einen erleben wir gerade jetzt, hochkonzentriert, fokussiert und getrieben, immer das Beste geben zu wollen. «Ich will 90 bis 95 Prozent Leistung liefern können. Mit 75 Prozent bin ich nicht zufrieden und 100 Prozent sind unmöglich. Man darf nicht vergessen, das ist ein sehr menschliches Geschäft. Und Menschen verlieren die Konzentration, plötzlich hat einer den Kopf nicht bei der Sache, das ist normal», sagt Herman. Sobald der Service vorbei ist, wird aus dem Getriebenen ein sehr entspannter, freundlicher Zeitgenosse ohne Starallüren. Sergio Herman ist zufrieden, der Abend verlief meistens nach seinem Geschmack, zwei drei Unaufmerksamkeiten im Service seien alles gewesen, was ihn gestört hätte, sagt er zum Schluss.