Text: Urs Heller I Fotos: Thomas Buchwalder
Die Schweiz hat ein neues Spitzenrestaurant: «Mammertsberg», 9306 Roggwil. In der modernen Küche mit Blick auf den Bodensee der Luzerner Silvio Germann, aus dem «Igniv» Bad Ragaz angereist, nach sieben erfolgreichen Jahren im Resort reif für die nächste Herausforderung. Sharing Dishes im Auftrag von Andreas Caminada war mal. Jetzt geht Chef Silvio mit einer blutjungen, aber bis in die Pinzettenspitze hochmotivierten Brigade seinen eigenen Weg. Caminada hat ihn am «Mammertsberg» beteiligt. Und lässt ihm im über 100jährigen, raffiniert renovierten Haus bei Konzept und Karte freie Hand. Grosses Bild oben: Die junge Küchenbrigade im «Mammertsberg».
Gesamtkunstwerk Mammertsberg. Der «Mammertsberg», direkt beim Bahnhof Roggwil SG, war schon immer eine feine Adresse: Altmeister August Minikus hat neun Jahre lang die Gourmets der Region begeistert. Jetzt wurde das über 100jährig Landschloss geschickt renoviert, von dänischen Architekten mit nordischem Touch eingerichtet. Der Abend im «Mammertsberg» wird zelebriert: Man trifft zum Apéro in einem wunderschönen Salon im oberen Stock. Junge Köche bereiten in einer zweiten (!) Küche die Häppchen zu, die auf einem Trolley serviert werden. Über die ikonische Treppe von Tilla Theus, mittlerweile frech in schwarze Folie verpackt, geht es dann zum Diner runter ins Restaurant: Kerzenlicht, angenehme Atmosphäre. Die jungen Köche lernt man schnell einmal kennen. Sie bringen die einzelnen Gänge an den Tisch, geben dem Gericht beim Gast den letzten Kick, sind für einen kurzen Small Talk zu haben. Sich Chef Germann taucht immer wieder an der «Front» auf, versteckt sich nicht in der Küche.
Geschmack, Geschmack, Geschmack! Silvio Germann will die Kochkunst nicht neu erfinden und verliert sich nicht in Spielereien. Aber er weiss, was zählt: Geschmack, Geschmack und nochmals Geschmack! Also zündet er eine Geschmacksbombe nach der anderen, bereits bei den Aperohäppchen und den Starters. Die Knaller: Ein Rindstatar aus der der Staader Hinterhofmetzg, mit gepökeltem, mariniertem und eingelegtem Kürbis, vor allem aber mit einer atemberaubend intensiven Ochsenschwanz-Essenz. Und (Marroni-) Gnocchi von einem anderen Stern: Die kleinen Dinger liegen gut versteckt unter einem Nussbutterschaum. Noch mehr Umami gibt es nur beim «Surprise»-Gang des Abends: Älplermagronen, mit Caprinello-Käse von Willi Schmid, mit Speck, Eigelb und dem ersten weissen Trüffel der Saison!
Felchen, Lachs, Gams. Start ins Menü: Felchen. Nicht etwa vom Bodensee (zu sauberes Wasser!), sondern aus dem Zugersee. Die Filets liegen unter Regenbogenrettich, eine Verjus-Vinaigrette gibt den erwarteten Kick. Der kleine Waldspaziergang bringt’s auch: Portobello und Austernseitling, Totentrompeten getrocknet und gehackt für die Sauce. Man taucht die Pilze in eine BBQ-Dashi und staunt über soviel Harmonie im Teller. Chef Silvio setzt in seinem ersten Mammertsberg-Menü auf Lostallo-Lachs, aber dabei wird’s nicht bleiben: «Ich mag Scampi, Steinbutt und Langustinen viel zu sehr, als dass ich darauf verzichten würde.» Den Alpenlachs gibt’s in perfekt-glasiger Konsistenz, mit gegrilltem Lauch, Buttermilch-Beurre Blanc und Backbohnen für den Crunch. Und die Gams im Hauptgang (mit geräucherter und geraspelter Gamszunge auf einer Tartelette)? Korrekt, mehr nicht. Es fehlte die leicht animalische, «wilde» Komponente. Vielleicht ist der Gamsrücken in einer Landbeiz besser aufgehoben als im Fine Dining-Restaurant.
Honig direkt von der Wabe. Silvio Germann hat eine komplett neue Brigade zusammengestellt, mit bemerkenswert hoher Frauenquote. Gut besetzt ist der Pâtissier-Posten. Stephanie Mittler stellt sich mit Quitte, Schokolade und hervorragenden Friandises vor. Den Honig zur Quitte zupft sie mit der Pinzette direkt von einer Wabe (!), die ihr Bienenflüsterer Gion Grischott überlassen hat. Die Gastgeber im historischen Haus: Carolin Gierling (kümmert sich auch um die Hotelzimmer) und Giuseppe Lo Vasco. Der Profi aus Napoli leitet den Service, wacht über den beeindruckenden Keller und rührt die alkoholfreien Cocktails und Shots, vorzugsweise mit Produkten aus der Region; der «Thurgoni», Giuseppes Negroni-Interpretation, ist der Signature Drink des Hauses.